Fortschritt in der Erforschung von Morbus Crohn: Weltweite Studie identifiziert 71 Krankheitsgene

Diese Erkenntnisse sind jetzt auf der Internetseite von Nature Genetics veröffentlicht http://www.nature.com/ng/index.html. Sie resultieren aus der weltweit größten Genetik-Studie zu entzündlichen Darmkrankheiten, an der sich im Zeitraum Mai 2008 bis November 2010 mehr als 22.000 Patienten und 50 Forschungsteams aus 15 Ländern beteiligt haben. Federführend für die Studie war das „International IBD Genetics Consortium“ (IIBDGC), das von Professor Andre Franke, Exzellenzcluster Entzündungsforschung (Institut für Klinische Molekularbiologie), Kiel, geleitet wurde.

Professor Franke erläutert: „In jedem der Gene kann der Schlüssel stecken, mit dem Morbus Crohn endlich bekämpft werden kann. Wenn wir herausfinden, dass bestimmte genetische Abweichungen das Morbus-Crohn-Risiko erhöhen, können wir versuchen, diese gezielt mit Medikamenten zu bekämpfen. Ziel dabei ist, die Abweichungen zu manipulieren – also zu blockieren oder auszuschalten – um damit heraus zu finden, ob sie den Ausbruch der Darmentzündung begünstigen. Letztlich suchen wir nach einer Strategie, mit der bereits ein Ausbruch der Krankheit verhindert werden kann.“

„Wir wissen bereits, dass es eine Interaktion zwischen diesen abnormen Genen und externen Auslösern gibt, die für Morbus Crohn verantwortlich sind. Rund 50 Prozent des Krankheitsrisikos sind genetisch bedingt. Die andere Hälfte ist von Umweltfaktoren wie beispielsweise Rauchen abhängig. Die Forschungsergebnisse liefern uns mehr Informationen über diese potenziellen Auslöser und setzen damit neue Rahmenbedingungen für weitere Forschungen.“, so Professor Franke weiter.

Zusammenhang zwischen Virusinfektion und Morbus Crohn entdeckt
Mit der Studie konnte auch erstmalig der Zusammenhang zwischen einer Virusinfektion und Morbus Crohn hergestellt werden. Eine bekannte Mutation im sogenannten FUT2 Gen führt zu einer verminderten Immunantwort gegenüber Noroviren. Genau diese Mutation wurde auch in der Kieler Studie als weitere Krankheitsursache für Morbus Crohn identifiziert.

Durch die Analyse von sechs genomweit-durchgeführten Verbindungsstudien identifizierten die Forscher 39 zuvor nicht bekannte Krankheitsregionen im Erbgut des menschlichen Körpers, welche verschiedene Gene enthalten, die mit Morbus Crohn in Verbindung gebracht werden. Zuvor waren nur 32 solcher Regionen bekannt, mit den Ergebnissen dieser Studie sind nun insgesamt 71 Krankheitsregionen bekannt.

Hintergründe Morbus Crohn
In westlichen Industrieländern sind zirka 100 von 100.000 Einwohnern erkrankt, mit steigender Tendenz. Die meisten Patienten erkranken im Alter zwischen 18 und 30 Jahren, mit Entzündungen des Magen-Darm-Trakts, die zu starken Schmerzen, Gewichtsverlust, Erbrechen und Durchfall führen. Obwohl sich viele Menschen mit der Krankheit durch medikamentöse Behandlung und kontrollierter Diät arrangieren, werden langfristig dreiviertel der Patienten operativ behandelt und Teile des Darms aufgrund von Komplikationen im Krankheitsverlauf entfernt. Sämtliche vorhandenen Therapien bekämpfen bislang nur die Entzündungssymptome der Erkrankung, jedoch noch nicht die eigentlichen Ursachen von Morbus Crohn.
Durchführung der Studie und Ausblick
Ein Großteil der Proben wurde in den Kieler Laboren des Institutes für Klinische Molekularbiologie von David Ellinghaus, Doktorand in der Arbeitsgruppe von Professor Franke, analysiert. David Ellinghaus berichtet: „In den letzten Jahren ist es immer einfacher geworden, Millionen von Positionen im menschlichen Erbgut zu untersuchen, die sich zwischen verschiedenen Individuen unterscheiden. Und wenn man international zusammenarbeitet und dadurch große Datensätze zu noch größeren kombiniert, so findet man auch immer mehr Krankheitsursachen, wie auch in dieser Studie geschehen.”

Noch können sich die Kieler Forscher und das Internationale Konsortium aber nicht zurücklehnen, weil mit den 71 Genen erst knapp 25 Prozent der genetischen Ursachen des Morbus Crohn aufgeklärt sind, wie die Forscher der aktuellen Studie herausfanden. „Wir werden uns ab jetzt mit noch moderneren Technologien, wie der Entschlüsselung des gesamten Erbgutes von Patienten – der sogenannten Komplettgenomresequenzierung – auf die Suche nach den restlichen 75 Prozent begeben. Mit dem Neubau des Zentrums für Molekulare Biowissenschaften auf dem ehemaligen Parkplatz des neuen Kieler botanischen Gartens werden wir auch die dafür notwendige Infrastruktur haben.“, so Professor Franke. Die Studie wurde durch das Nationale Genomforschungsnetz (NGFN) gefördert.

TERMINHINWEIS: Professor Franke stellt die Studie auf der 3. Jahrestagung von NGFN-Plus und NGFN-Transfer in einem Vortrag vor.

Datum: 26. November 2010, Beginn: 12 Uhr. Ort: Henry-Ford-Bau der FU Berlin, Garystr. 35, 14195 Berlin-Dahlem

Der Exzellenzcluster Entzündungsforschung
Der Exzellenzcluster Entzündungsforschung verfolgt einen einzigartigen interdisziplinären Forschungsansatz, um die Ursachen der chronischen Entzündung zu entschlüsseln und Therapien zur Heilung zu entwickeln. Der Forschungsverbund bündelt die Kompetenzen von rund 200 Genetikern, Biologen, Ernährungswissenschaftlern und Ärzten der Universitäten zu Kiel und Lübeck, des Forschungszentrums Borstel und des Max-Planck-Instituts für Evolutionsbiologie, Plön. Mehrere Millionen Menschen leiden allein in Deutschland an chronischer Entzündung der Lunge (Asthma), der Haut (Schuppenflechte), des Darms (Morbus Crohn) und des Gehirns (Morbus Parkinson). Auslöser ist eine Fehlsteuerung des Immunsystems: Unaufhörlich aktiviert es entzündliche Botenstoffe und Abwehrzellen, zerstört dadurch gesundes Gewebe. Die Zahl der Betroffenen steigt täglich. Dieses Phänomen der modernen Zivilisation ist zur Herausforderung für die Medizin des 21. Jahrhunderts geworden.
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