Der lange Abschied vom Ernährermodell

Der Mann schafft das Geld ran, die Frau sorgt sich um Haushalt, Kinder und pflegebedürftige Angehörige und verdient vielleicht noch etwas dazu. So sieht die Rollenverteilung zwischen den Geschlechtern in der Familie hierzulande oftmals aus. Für die Frauen ist diese Aufgabenteilung mit Risiken verbunden: Sie zahlen weniger in die Rentenkasse ein und verfügen über ein geringeres Eigenvermögen. Wie dringend der Handlungsbedarf ist, will man Altersarmut und Pflegenotstand verhindern und mehr Gleichstellung schaffen, wurde auf der Tagung „Zeit für Verantwortung im Lebensverlauf – Politische und rechtliche Handlungsstrategien“ deutlich, zu der das Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Sozialrecht und das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Vertreter aus Parlament, Fachverbänden und Wissenschaft zum Abschluss des langjährigen Forschungsprojekts „Was kommt nach dem Ernährermodell?“ geladen hatten.

“Ein wesentliches Anliegen ist es, den Menschen Zeit für die Übernahme von Verantwortung zu geben, Umbrüche und kritische Übergänge im Lebensverlauf in den Blick zu nehmen und dabei Unterstützung anzubieten”, so Eva Maria Hohnerlein vom Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Sozialrecht über die Aufgabe der drei eigenständigen Arbeitsgruppen, die sich im Rahmen der Projektarbeit mit der Unterstützung von Pflegepersonen, dem Ehegüterrecht und Frauen als Familienernährerinnen befasst haben. Gemeinsam mit der Rechtssoziologin Edda Blenk-Knocke – ebenfalls vom MPI für ausländisches und internationales Sozialrecht – war sie für die wissenschaftliche Koordination des vom Bundesfamilienministerium geförderten interdisziplinären Forschungsprojekts zum Wandel der Rollenbilder von Frauen und Männern in Gesellschaft und Recht verantwortlich.

Auf der Tagung präsentierten die Arbeitsgruppen ihre Ergebnisse der politischen Öffentlichkeit. Neben einer detaillierten Sicht auf die Rollenverteilung im familiären Pas-de-Deux lieferten sie dabei auch realitätsnahe Vorschläge für neue gleichstellungspolitische Handlungsstrategien. “Die Geschlechterrollen sind heute im Fluss. Nicht selten verändern sich die von Männern und Frauen gelebten Rollen – geplant oder ungeplant – im Lebensverlauf. Alle drei Arbeitsgruppen haben sich daher auf Themenfelder konzentriert, die beispielhaft die Rollenbilder bei bestimmten Weichenstellungen oder kritischen Übergängen im Lebensverlauf von Männern und Frauen betreffen”, so die Soziologin Edda Blenk-Knocke.

Unterstützung von Pflegepersonen
Mit der Pflege im häuslichen Bereich befasste sich die Arbeitsgruppe „Unterstützung von Pflegepersonen“ unter der Leitung von Max-Planck-Direktor Ulrich Becker. „Der in der Pflegeversicherung verankerte Grundsatz des Vorrangs der häuslichen Pflege impliziert indirekt, dass die Verantwortung für pflegebedürftige Angehörige de facto den Frauen zugewiesen wird“, sagt Edda Blenk-Knocke. Zwar gibt es in Deutschland durchaus pflegende Partner und Söhne, aber sie stellen eine Minderheit dar. 75 Prozent der Pflege im häuslichen Bereich wird von Frauen geleistet. „Das Rollenleitbild, das der Pflege durch Angehörige in Deutschland zugrunde liegt, ist immer noch das traditionelle männliche Ernährermodell, das von einer nicht erwerbstätigen oder gering beschäftigten Ehefrau ausgeht, die über ihren Ehemann mittelbar gesichert ist und auf ein existenzsicherndes Einkommen und eine eigenständige soziale Sicherung verzichten kann“, berichtet die Soziologin.

Doch wie das Forschungsprojekt gezeigt hat, sieht die Realität der Rollenbilder weitaus vielfältiger aus. „Eine eigenständige Existenzsicherung wird in unserer Gesellschaft überwiegend durch Erwerbstätigkeit erreicht“, so die Forscherin über die sozio-ökonomische Ausgangslage. Voll berufstätige Frauen könnten zwar ihre eigene Altersvorsorge leisten, stünden aber unter der Doppelbelastung, wenn sie selbst Familienangehörige in ihrer Freizeit betreuen müssten. Bei Teilzeitkräften hingegen seien die Beiträge in die Vorsorgekassen geringer. Damit stehe die Gleichstellungs- und Sozialpolitik vor der Herausforderung, für eine bessere Vereinbarkeit von Pflege und Beruf zu sorgen. „Sonst stehen wir bald vor einem Riesenproblem“, mahnt ihre Kollegin Hohnerlein angesichts der demografischen Entwicklung und Statistiken, nach denen damit zu rechnen ist, dass das Risiko einer Pflegebedürftigkeit ab dem 85. Lebensjahr deutlich zunimmt.

Die Arbeitsgruppe stellte verschiedene Optionen vor, die die Situation pflegender Angehöriger verbessern können, z. B. durch die Möglichkeit einer arbeitsrechtlichen Freistellung, die über das geltende Recht hinausgeht. Aus gleichstellungspolitischer Perspektive sei ein wichtiger Ansatzpunkt, rechtlich abgesicherte Ausstiege und Übergänge für Frauen und Männer zu ermöglichen, die Pflegeverantwortung im häuslichen Bereich übernehmen wollen, so die Forscherinnen. Um die finanziellen Nachteile einer Pflegezeit zu mindern, seien verschiedene Lösungswege denkbar, sagt Hohnerlein. „Das geht vom Entgeltersatz für Berufstätige bis hin zu einer finanziellen Anerkennung der Pflege durch Angehörige, die mit einer Professionalisierung dieser Tätigkeit verbunden und dadurch aufgewertet werden könnte.“

Begleitende Maßnahmen etwa in der Krankenversicherung oder in der Arbeitslosensicherung könnten dazu beitragen, die finanziellen Risiken für die pflegenden Angehörigen zu minimieren. „Und über eine verbesserte Anrechnung der Pflegezeiten auf die Altersrente nach dem Vorbild der Kindererziehungszeiten steigen die Chancen auf eine angemessene Existenzsicherung im Alter“, zählt sie eine weitere Option zur Verbesserung der Lage auf. „Wie auch immer die Anreize für eine stärkere Beteiligung von Männern an der häuslichen Pflege in der Zukunft aussehen mögen, ohne hinreichende finanzielle Kompensation sind weder der absehbare Pflegenotstand noch die ungleiche Risikoverteilung zwischen Männern und Frauen aufgrund der Übernahme von Pflegeverantwortung zu bewältigen“, betont Blenk-Knocke.

Gemeinsame Entscheidungen – gemeinsame Verantwortung
Die Arbeitsgruppe zum Ehegüterrecht unter Leitung von Barbara Dauner-Lieb, Universität zu Köln, befasste sich mit der Änderung der Lebenssituation, die bei der Eheschließung eintritt. Insbesondere ging es dabei um die Frage, welcher rechtliche Rahmen für die Ehe zur Verfügung steht und gewählt werden soll, speziell in Fällen, in denen die Arbeitsteilung nicht ausgewogen zwischen beiden Partnern erfolgt. Ausgangspunkt war der Befund, dass die meisten Eheleute keine klare Vorstellung von Bedeutung und Funktionsweise des gesetzlichen Güterstandes der Zugewinngemeinschaft haben. „Dieser Güterstand schließt beispielsweise jegliche Mitentscheidungsrechte bei der Verwendung der Einkünfte des anderen Ehegatten aus“, erklärt Hohnerlein Außerdem untersuchte diese Gruppe, mit welchen Risiken eine asymmetrische Arbeitsteilung für die Partner verbunden ist – insbesondere für den, der zugunsten von Familie und Pflege beruflich und damit auch finanziell zurücksteckt. „Die letzten Familienrechtsreformen haben implizit modernisierte Rollenmuster vorausgesetzt und die Frage des Ausgleichs jener Risiken ausgeblendet, die sich durch Arbeitsteilung in der Ehe bei einem Partner ergeben können. Doch entsprechen diese neuen rechtlichen Regelungen noch keineswegs der gesellschaftlichen Realität“, so Hohnerlein.
Familienarbeit bleibt überwiegend weiblich
„Das traditionelle Ernährermodell hat zwar an Bedeutung verloren, doch bleibt es in unterschiedlicher Ausprägung erhalten“, fasst Hohnerlein die Quintessenz von zwei europäisch vergleichenden Expertenkonferenzen zu Fragen des Rollenwandels zusammen, die im Rahmen des Forschungsprojektes 2007 und 2008 stattgefunden haben. Insgesamt zeigen die inzwischen publizierten Forschungsberichte zu den Rollenleitbildern und Geschlechterarrangements einen jeweils länderspezifischen Pluralismus. Danach dominiert in Dänemark und Frankreich das Zwei-Vollzeit-Erwerbstätigenmodell, in Großbritannien und Deutschland das Vollzeit-Teilzeit-Erwerbstätigenmodell als sogenanntes Zuverdienermodell und in Italien das traditionelle Alleinernährermodell.

„Tatsächlich kann von einer partnerschaftlichen Neuverteilung von Erwerbsarbeit und Familienarbeit bisher kaum die Rede sein“, resümiert Blenk-Knocke. Allen Bekenntnissen moderner Männer zum Trotz, lasse ihre Mitarbeit im Bereich der Familie nach wie vor zu wünschen übrig. „Wir haben hier zwar einen Einstellungswandel zu verzeichnen, aber noch keinen Verhaltenswandel“, beschreibt Hohnerlein das inkohärente Bild des modernen Mannes. Selbst bei voller Berufstätigkeit der Frauen sei es in den meisten Fällen nach wie vor so, dass Haus- und Familienarbeit auf ihren Schultern lasten. „Das Erstaunliche ist, dass die Frauen selbst bei den Doppelverdienern die Hauptverantwortung für den häuslichen Part haben“, ergänzt ihre Kollegin Blenk-Knocke. „Deshalb ist Doppelbelastung primär ein Problem von erwerbstätigen Frauen, nicht von Männern.“ Auch hänge die Bereitschaft, Fürsorgearbeit in der Familie zu übernehmen, von strukturellen Faktoren ab. So seien die Lohnunterschiede zwischen Frauen und Männern ein Faktor bei der Rollenverteilung: der Einkommensstärkere bleibt im Beruf.

Familienernährerinnen – eine neue Rollenkonstellation
Eine weitere Arbeitsgruppe unter Leitung von Ute Klammer Universität Duisburg-Essen und Christina Klenner, WSI in der Hans-Böckler-Stiftung, widmete sich einer neuen, bislang noch wenig erforschten Rollenkonstellation, wie sie in Deutschland immer häufiger zu beobachten ist: den so genannten Familienernährerinnen, die es in etwa 18 Prozent der Mehrpersonenerwerbshaushalte hierzulande gibt. Über die Hälfte von ihnen lebt dabei in einer Paarbeziehung, die anderen sind allein erziehende Mütter. „Oft geraten Frauen durch eine Notlage ungeplant in die Rolle der Familienernährerin, zum Beispiel durch Arbeitslosigkeit oder prekäre Beschäftigung des Partners“, wissen die Forscherinnen aus den empirischen Studien. „Das bedeutet, sie müssen die volle ökonomische Verantwortung im Erwerbsleben für ihre Familie übernehmen, ohne auf diese Rolle vorbereitet zu sein“, so Blenk-Knocke über die Folgen dieses Wandels. Mit Emanzipation habe dieses Modell derzeit noch wenig zu tun. „Die Annahme, dass es sich hier um das männliche Alleinernährermodell mit umgekehrtem Vorzeichen handelt, trifft nicht zu“, betont sie. „Vielmehr handelt sich um eine eher schwierige Lebensform, die durch eine immense Doppelbelastung von Erwerbs- und Familienarbeit charakterisiert ist.“

Insgesamt präsentiert sich die Gruppe der Familienernährerinnen als äußerst heterogen: Sie umfasst Frauen in Paarbeziehungen mit und ohne Kinder, alleinerziehende Mütter, die sich vielfach im unteren Einkommensbereich und in prekären Beschäftigungsverhältnissen befinden, aber auch Familienernährerinnen in Doppel-Karriere-Paaren, die ihre Partner in der Einkommenshöhe überholt haben. Letztere sind jedoch eher in der Minderheit. Die meisten Alleinverdienerinnen müssten mit weniger Geld wirtschaften als männliche Alleinverdiener, weil sie weniger Gehalt für den gleichen Job erhalten oder gleich in geringer bezahlten Berufen tätig sind. Vor diesem Hintergrund ist eine der zentralen Fragen dieser Arbeitsgruppe, wie die Erwerbs- und Einkommenschancen strukturell verbessert werden können. Außerdem bleibt die bislang ungelöste Frage, wie Männer darin unterstützt werden können, sich an Haushalt und Fürsorge zu beteiligen, meint Blenk-Knocke.

Patentlösungen gibt es nicht
Eine Patentlösung für alle Gruppen konnten die Arbeitsgruppen zum Projektabschluss nicht präsentieren. „Dazu sind die Rollenmodelle zu vielfältig“, sagen die beiden Koordinatorinnen. Doch gab es zu guter Letzt neben der eher recht desillusionierenden Bestandsaufnahme zur Rollenverteilung zwischen den Geschlechtern doch einige Vorschläge, wie mehr Chancengleichheit in den unterschiedlichen Lebensmodellen und -phasen erreicht werden kann. Zum Beispiel durch Reformen im Ehegüterrecht, um die die Lasten und Risiken einer ungleichen Rollenteilung bereits während der Ehe fair zu verteilen. „Zu diesem Zeitpunkt ist auch die Bereitschaft zu einem Nachteilsausgleich erfahrungsgemäß weitaus stärker als zum Zeitpunkt einer Scheidung“, so Hohnerlein. Beim Thema der Unterstützung pflegender Angehöriger plädiert die Arbeitsgruppe für eine nachhaltige Verbesserung und den ernsthaften Ausbau von ambulanten Pflegediensten und Tageseinrichtungen. „Außerdem muss dies auch für jedermann bezahlbar sein“, so die Forscherin. Generell sei eine Aufwertung von Pflegeberufen notwendig. „Dann werden sie vielleicht auch für Männer attraktiver“, meint Edda Blenk-Knocke. Es bleibt zu hoffen, denn soviel steht fest: Nach dem Abschied vom klassischen Ernährermodell müssen auch Männer neue Rollen und Verantwortung in der Familie übernehmen.
Kontakt:
Dr. Monika Nisslein, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Max-Planck-Insitut für ausländisches und internationales Sozialrecht
+49 (89) 38602 – 230
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