Negatives Menschenbild macht egoistisch

Die Erwartungshaltung über das Verhalten der Mitmenschen bestimmt maßgeblich, ob Menschen miteinander kooperieren. Die ursprüngliche Erwartung ist zudem schwer zu revidieren.

„Dies gilt vor allem, wenn es sich um eine negative Vorstellung handelt“, fasst Michael Kurschilgen vom Max-Planck-Institut für Gemeinschaftsgüter in Bonn eines der wichtigsten Ergebnisse einer Studie zusammen, bei der er gemeinsam mit seinen Kollegen Christoph Engel und Sebastian Kube die Ergebnisse von Gemeinwohlspielen unter die Lupe nahm. Die eigene Erwartung wird so zur selbsterfüllenden Prophezeiung: Wer von Egoismus ausgeht, trifft dann tatsächlich häufiger auf unkooperatives Verhalten bei seinen Mitmenschen.

In früheren Studien hatten andere Forscher Teilnehmer in Bonn und London mit solchen – in der experimentellen Ökonomie sehr beliebten Spielen – erfolgreich in eine soziale Zwickmühle gebracht. Engel, Kube und Kurschilgen nutzten die Vorlagen für ihre Studie, die sie auf einen Aspekt fokussierten, der auch Sozialpolitiker und Stadtplaner interessieren dürfte. „Wir wollten herausfinden, ob die „broken windows“-Theorie auch im Labor funktioniert“, erläutert Michael Kurchilgen.

Dieser Theorie zufolge können kleine Details wie kaputte Scheiben in verlassenen Gebäuden oder Müll auf den Straßen desolate Zustände wie die komplette Verwahrlosung eines Quartiers nach sich ziehen. „Solche Anzeichen der Verwahrlosung vermitteln Menschen den Eindruck, dass dort die sozialen Normen außer Kraft sind“, erklärt Kurschilgen die Idee dieser Theorie, die auch den New Yorker Bürgermeister Rudy Giuliani zu seiner Null-Toleranzstrategie bewegte, mit der er in den 1990er Jahren in seiner Stadt erfolgreich aufgeräumt hatte.

Mit ihrer Studie setzten die drei MPI-Wissenschaftler die Theorie in ein wissenschaftliches Experiment um. Anhand von Gemeinwohlspielen wie sie in der experimentellen Ökonomie gern eingesetzt werden, wollten sie herausfinden, inwieweit der erste Eindruck das Verhalten von Menschen bestimmt und wie stark dieser durch ausgewählte Informationen beeinflussbar ist. Der Aufbau der Spiele spiegelt das klassische Dilemma zwischen Eigennutz und sozialem Verhalten wider: Gruppen aus vier Spielern erhalten einen Geldbetrag von jeweils 20 Talern, der entweder für sich behalten oder in ein Gemeinschaftsprojekt investiert werden kann. Jeder in das Gemeinschaftsprojekt investierte Taler wird mit 0,4 Taler vergütet. Wenn alle vier Gruppenmitglieder ihre 20 Taler investieren, erhält jeder 32 Taler, also 12 Taler mehr, als wenn alle ihr Geld für sich behalten. Investieren nur drei ihr Geld für die Gemeinschaft, erhält der egoistische vierte Mitspieler dagegen 44 Taler.

Auch der Trittbrettfahrer profitiert also vom Einsatz seiner Mitspieler in den Gemeinschaftsfonds. „Das Gemeinwohlspiel kreiert so ein soziales Dilemma“, erklärt der Ökonom. Denn am besten für die Gemeinschaft wäre es, wenn alle in das Kollektiv investierten, doch auf individueller Ebene fahren die Trittbrettfahrer am besten. Schließlich bekommen sie den Bonus auch ohne Investition.

Überraschenderweise gibt es in Bonn und London deutliche Unterschiede in der Bereitschaft, ins Gemeinwohl zu investieren. Gerade einmal 43 Prozent hatte der Londoner im Schnitt in das Gemeinschaftsprojekt eingezahlt. In Bonn dagegen waren es 82 Prozent. „Das liegt wahrscheinlich an unterschiedlichen Erwartungen darüber, was normales Verhalten ist“, vermutet Kurschilgen. Wer davon ausgeht, dass auch die anderen sich egoistisch verhalten, neigt selbst auch kaum zu altruistischen Taten. „So gesehen haben die Londoner ein pessimistischeres Menschenbild als die Bonner“, folgert er aus der Zurückhaltung der Briten. Ob sich jemand für ein kooperatives Verhalten entscheidet oder nicht, hängt folglich stark von seiner Annahme darüber ab, wie sich seine Mitspieler entscheiden.

In ihrer Versuchsreihe informierten Engel, Kube und Kurschilgen ihre neu rekrutierten Bonner Mitspieler über das Ergebnis der Londoner Studie. Wie sich zeigte, reagierten die Teilnehmer der neuen Runde deutlich negativ auf die Information, dass in London in den Experimenten zuvor nur wenige Teilnehmer kooperatives Verhalten gezeigt hatten. Anders als die braven Bonner der Vorrunden, zeigten auch sie wesentlich geringere Ambitionen zum Gutmenschentum: Statt über 80 Prozent für das Gemeinwohl zu geben, waren es in diesen Versuchen nur noch durchschnittlich 51 Prozent. Die Negativinformation reichte also, um das zuvor positive Bild der Bonner zu revidieren. Hingegen funktionierte dieses Muster andersherum kaum – Gute Beispiele machten aus schlechten Mitspielern keine Musterknaben.

„Unsere Ergebnisse zeigen, dass der Kern der „broken windows“-Theorie tatsächlich stimmt. Angesichts eines sozialen Dilemmas lassen sich Menschen sehr stark von ihrer ursprünglichen Erwartungshaltung gegenüber ihren Mitmenschen leiten, aber sie sind dabei auch besonders sensibel gegenüber negativen Impressionen“, schließt Kurschilgen aus dieser Beobachtung. Mit diesem Fazit steht für ihn auch fest: Jeder Cent, der in den Substanzerhalt von Wohnvierteln fließt, ist keine reine Stadtkosmetik, sondern eine gute Investition gegen Kriminalität.

Ansprechpartner
Michael Kurschilgen
Max-Planck-Institut zur Erforschung von Gemeinschaftsgütern, Bonn
Telefon: +49 228 91416-38
E-Mail: kurschilgen@coll.mpg.de
Originalveröffentlichung
Engel C., Kube S., Kurschilgen M.
Can we manage first impressions in cooperation problems? An experimental study on “Broken (and Fixed) Windows”

Preprints of the Max Planck Institute for Research on Collective Goods, 2011/05

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