Tödliches Bakterium mit ungewöhnlichen Eigenschaften
Erbgut des Erregers von Morbus Whipple entschlüsselt – Internationale Kooperation von Heidelberger Wissenschaftlern mit Sanger Institute, Cambridge
Einem internationalen Wissenschaftlerteam ist es erstmals gelungen, das gesamte Genom (Erbgut) des Erregers einer ungewöhnlichen Infektionskrankheit, des Morbus Whipple, zu entschlüsseln. Die Ergebnisse ihrer Forschungsleistung werden heute in der renommierten britischen Fachzeitschrift „The Lancet“ veröffentlicht (Band 361, S. 637-644).
Beim Morbus Whipple handelt es sich um eine chronische Infektion des Dünndarms und meist auch weiterer Organe, die durch das Bakterium Tropheryma whippelii hervorgerufen wird. Ihr Name geht auf den amerikanischen Pathologen George Whipple zurück, der die Erkrankung im Jahre 1907 als erster beschrieben hat. In Deutschland werden jedes Jahr etwa 30 Neuerkrankungen festgestellt. Meist leiden die Betroffenen an unspezifischen Beschwerden wie chronischem Durchfall, Bauchschmerzen und Gewichtsverlust. Seltener, wenn auch das Gehirn befallen ist, klagen sie über Doppelbilder, Vergesslichkeit oder Schlaflosigkeit. (Die Erkrankung wurde vor zwei Jahren über Fachkreise hinaus durch einen Patienten in der Freiburger Universitätsklinik bekannt, der mehrere Wochen lang nicht schlafen konnte.)
Die Patienten infizieren sich wahrscheinlich über den Mund; ihre Infektionsquelle ist nicht bekannt. Die Bakterien wandern in den Dünndarm und dringen in seine Schleimhaut ein. Über die anatomischen Lymphgefäße gelangen sie in den Blutkreislauf und können weitere Organe besiedeln, einschließlich des Gehirns. Bis zu 20 Jahre später kann es zu tödlichen Komplikationen durch Befall des Herzens oder des Gehirns kommen. Merkwürdigerweise ist der Morbus Whipple viel häufiger bei Männern als bei Frauen (Verhältnis 8:1).
Heidelberger Wissenschaftler sorgten für ausreichende Menge an Erbsubstanz
Die Entschlüsselung des Whipple-Genoms, die Sequenzierung und Analyse der Erbsubstanz, wurde von Wissenschaftlern des britischen Genomforschungszentrum, des Wellcome Trust Sanger Institute in Cambridge, vorgenommen. Zwei Wissenschaftler des Universitätsklinikums Heidelberg haben maßgeblich zu der Forschungsarbeit durch ihre langjährige Beschäftigung mit dem Erreger beigetragen: der Mikrobiologe Privatdozent Dr. Matthias Maiwald, zur Zeit an der amerikanischen Stanford Universität, und Privatdozent Dr. Axel von Herbay vom Pathologischen Institut des Universitätsklinikums Heidelberg.
Denn um das Erbgut von T. whippelii analysieren zu können, mussten ausreichend große Mengen der Erbsubstanz (DNS) zur Verfügung stehen. Da es nicht, wie die meisten anderen Bakterien, in der Kulturschale gezüchtet werden kann, musste erst ein Verfahren zur Vervielfältigung des Erregers entwickelt werden. Französische Wissenschaftler hatten bereits gezeigt, dass sich Whipple-Bakterien gemeinsam mit Zellen des menschlichen Bindegewebes sehr langsam, aber stetig vermehren. Mit diesem Trick gelang es den Wissenschaftlern an der Stanford Universität und in Heidelberg, ausreichend DNS für die Genomanalyse zu gewinnen. Wie schwierig dieses Unterfangen dennoch war, zeigt die Tatsache, dass es länger dauerte den Erreger zu züchten (17 Monate), als das Erbgut zu analysieren (12 Monate).
Das entschlüsselte Erbgut des Whipple-Bakteriums bietet einige Besonderheiten. Es umfasst etwas weniger als 1 Million Basenpaare, die Bausteine des Erbguts, und enthält 784 Gene, relativ wenig für ein Bakteriengenom. So fehlen T. whippelii zum Beispiel Gene für eine Drehscheibe des normalen Zellstoffwechsels, dem Zitronensäurezyklus. Auch fehlen ihm Gene für die Bildung von drei Aminosäuren, es muss daher diese lebensnotwendigen Eiweißbausteine als Nährstoffe aufnehmen. Das Bakterium benötigt zum Überleben einen Wirt, der ihm anbietet, was es selbständig nicht leisten kann.
Nationales Referenzzentrum für Tropheryma whippelii in Heidelberg
Überraschend groß ist die Vielzahl an Genen, die für Gestaltung der Zelloberfläche zuständig sind, sowie deren Wandlungsfähigkeit. Dies könnte erklären, warum T. whippelii über Jahre hinweg im Körper verbleibt, ohne vom Immunsystem des Patienten beseitigt zu werden: die ständige Veränderung der bakteriellen Oberfläche verhindert, dass die Immunzellen sich auf den unwillkommenen Eindringling einstellen und ihn beseitigen können.
Eine zuverlässige Diagnose kann bislang nur der Pathologe anhand einer Dünndarmschleimhautprobe unter dem Mikroskop stellen. Seit 1992 ist es auch möglich, kleine Teile eines Gens des Whipple-Bakteriums in Untersuchungsproben nachzuweisen. Dr. von Herbay und Dr. Maiwald entwickelten einen diagnostischen Test, der inzwischen weltweit angewendet wird. Seit 1997 nehmen die Heidelberger Spezialisten im Auftrag des Robert-Koch-Instituts in Berlin die Funktion eines Nationalen Referenzzentrums für das Whipple-Bakterium wahr. Bislang konnten sie pathologische und molekularbiologische Untersuchungen bei mehr als 150 Patienten mit einem Morbus Whipple durchführen.
Kontaktadresse für weitere Auskünfte:
Dr. med. Axel von Herbay, Privatdozent für Pathologie
Pathologisches Institut. Universitätsklinikum
Im Neuenheimer Feld 220, 69120 Heidelberg
Telefon + Fax: 06221 – 56-2675
Mobiltelefon: 0160 – 92359004
Email: Whipple@vonHerbay.de
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