Winziger Nanomotor steuert Muskelkontraktionen
Das Eiweiß Myosin treibt als molekularer Motor Bewegungsvorgänge in allen Lebewesen an. Dies gilt für den Transport innerhalb der Zellen ebenso wie für Muskelkontraktionen. Wie diese sogenannte Motilität funktioniert, haben Forscher des Interdisziplinären Zentrums für Wissenschaftliches Rechnen (IWR) an der Universität Heidelberg herausgefunden. Sie konnten zeigen, auf welche Weise Strukturänderungen des Motorproteins Myosin Bewegungen erlauben.
Mit Hilfe von computerbasierten Hochleistungsberechnungen ließ sich dabei der bislang noch unbekannte Teil des Bewegungsablaufs darstellen. Die Forschungsergebnisse des Wissenschaftlerteams unter der Leitung des Biophysikers Dr. Stefan Fischer wurden im Journal PNAS veröffentlicht.
„Ähnlich wie der Otto-Motor eines Autos, der aufgrund sich koordiniert bewegender Kolben und Ventile funktioniert, besteht auch das Motorprotein Myosin aus mehreren beweglichen Teilen“, erläutert Dr. Fischer. Das aufeinander abgestimmte Umstellen molekularer Hebel führt zur Bewegung. Bislang war jedoch unbekannt, auf welche Weise dies geschieht. Ausgangspunkt der aktuellen Untersuchungen bildete ein 1971 entdeckter, vierstufiger Zyklus, der beschreibt, wie die beiden Protagonisten des Bewegungsprozesses – die Proteine Aktin und Myosin – sich binden und lösen:
Als langkettige, sich gegenüberliegende Fasern bilden sie die molekulare Architektur des Muskels. Die beiden Fasern sind miteinander verknüpft über den Myosinkopf, der die eigentliche Motordomäne des Proteins ist. Bei der Muskelkontraktion löst sich die Bindung zwischen dem Myosinkopf und der Aktinfaser und wird in den folgenden drei Zyklusphasen unter Energieverbrauch wieder eingegangen, und zwar wenige Nanometer von der ursprünglichen Bindungsstelle entfernt. Dadurch verschieben sich die Fasern gegeneinander und die Muskelzelle kontrahiert.
Die Heidelberger Wissenschaftler haben untersucht, welche strukturellen Änderungen innerhalb des Myosinkopfes diesen nach seinen beiden Entdeckern benannten Lymn-Taylor-Zyklus vorantreiben. „Wir kannten die Anordnung der rund 8.000 Atome des Myosinkopfes am jeweiligen Ende der drei wesentlichen Phasen des vierstuftigen Zyklus. Der Vergleich dieser atomaren Architekturen gibt jedoch nur ungenügend Auskunft darüber, welche Bewegungsvorgänge diese drei Momentaufnahmen zusammenführen. Erst die Berechnungen klären dieses Detailwissen“, sagt Dr. Fischer. Der Biophysiker entwickelte am IWR für molekulardynamische Probleme wie dieses eine maßgeschneiderte Rechenmethode. Sie heißt „Conjugate Peak Refinement“ (CPR) und basiert auf der Theorie der Energieoberfläche von Proteinen.
Diese Theorie besagt, dass jede Konformation, also die räumliche Anordnung der Atome, eines Proteins ein bestimmtes Energieniveau hat, das sich durch eine mathematische Funktion darstellen lässt. Niedrige Energie-niveaus entsprechen den wahrscheinlichen und stabilen Atomanordnungen, hohe Energieniveaus dagegen den unwahrscheinlichen und kurzlebigen Konformationen. „Die Energiefunktion beschreibt eine hochdimensionale Energielandschaft, auf dessen Oberfläche die tiefen Täler die stabilen Konformationen darstellen. Benachbarte Täler sind durch Pässe über die Bergketten miteinander verbunden. Die CPR-Berechnung der Wege über die niedrigsten Pässe ist identisch mit den korrekten Bewegungsabläufen des Moleküls“, erläutert Dr. Fischer. So konnten die Wege zwischen der bekannten räumlichen Anordnung der Atome beim Myosin im Lymn-Taylor-Zyklus auf Hochleistungsrechnern ermittelt werden: „Für jedes der 8.000 Atome auf der Energielandschaft wird eine Linie vom Atom-Ort im ersten Zustand zum gleichen Atom im Endzustand gelegt. Rechts und links dieser Linie sucht der Computer nach den Punkten, die den geringst möglichen Energieaufwand für die Atombewegung darstellen.“ Dieser Vorgang, bei dem 128 Computer-Prozessoren zum Einsatz kamen, dauerte sechs Monate.
Zu den Ergebnissen dieser Berechnung zählt auch eine von den Wissenschaftlern erstellte Animation. Dabei handelt es sich um eine exakte Darstellung der koordinierten Bewegungen der Myosinbauteile während der Aktinbindung und des Lösens des Atkins. „Diese winzigen architektonischen Details sind wichtig für die biologische Funktion. Ist ein Bauteil des Myosin-Motors fehlerhaft, so kommt es zu Störungen bei den Bewegungsvorgängen, wie zum Beispiel bei der Cardiomyopathie, einer Erkrankung des Herzmuskels. Das gewonnene Verständnis des molekularen Mechanismus des Myosin-Nanomotors kann helfen an neuen Medikamenten zu forschen oder dazu dienen, die Herstellung von synthetischen Nanomotoren zu inspirieren“, so der Heidelberger Wissenschaftler. Die Animation ist unter: http://www.iwr.uni-heidelberg.de/groups/biocomp/fischer abrufbar.
Originalveröffentlichung:
Sebastian Kühner & Stefan Fischer: Structural mechanism of the ATP-induced dissociation of rigor myosin from actin. PNAS, May 10, 2011, vol. 108, no. 19, p. 7793-7798, doi: 10.1073/pnas.1018420108
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