Alter schützt vor Straftat nicht – Berliner CRIME Studie untersucht die Lebensverläufe Straffälliger
Der Einstieg in die Kriminalität ist keine reine Jugenderscheinung. Die CRIME Studie ergab, dass Erststraftaten auch im fortgeschrittenen Alter nicht ungewöhnlich sind. Nun wollen die Wissenschaftler prüfen, welchen besonderen Einfluss biographische Faktoren auf die kriminellen Lebensverläufe haben. Ziel des Projektes ist es, Methoden zu entwickeln, um Rückfalldelinquenz und Effektivität von sozialtherapeutischen Maßnahmen über lange Zeitverläufe vorhersagen zu können.
Während sich bisherige Untersuchungen meist auf Phänomene der Jugendkriminalität konzentrierten, haben die FU-Wissenschaftler um Dr. Klaus-Peter Dahle des Institutes für Forensische Psychiatrie seit 1976 die Lebensverläufe von fast 400 männlichen deutschen ehemaligen Strafgefangenen analysiert, die heute durchschnittlich rund 54 Jahre alt sind. Die Erstuntersuchung bestand aus dem Studium der Gerichtsakten, aus psychologischen Tests, Einzelbefragungen sowie körperlichen und neurologischen Befunden. Danach wurden anhand der Gefangenenakten die Haftverläufe rekonstruiert und mit Hilfe des Bundeszentralregisters (BZR) die weitere strafrechtliche Entwicklung bis heute nachgezeichnet.
Im Ergebnis dieser Langzeituntersuchung differenziert Klaus-Peter Dahle fünf typische Formen von Lebensverläufen: Die sog. Späteinsteiger (13%) fallen in ihrer Jugend strafrechtlich nicht auf, der Ersteintrag im BZR erfolgt durchschnittlich mit 24 Jahren. Am kriminell aktivsten sind sie zwischen dem 35. und 40. Lebensjahr. Doch auch danach nimmt die Zahl ihrer meist schweren Diebstähle, Betrugs- und anderer Vermögensdelikte kaum ab.
Auch die Gelegenheitstäter (47%) beginnen mit rund 25 Jahren eher spät, sich kriminell zu verhalten. Bei ihnen sind im Lauf ihres Lebens entweder wenige schwere Straftaten – meist Betrugs-, Wirtschafts- und Vermögensdelikte -, oder aber viele kleinere Verstöße im Strafregister verzeichnet.
Die Jungaktiven (16%) haben ihre aktivste Delinquenzphase schon im Jugend- und frühen Erwachsenenalter, wobei Häufigkeit und Schwere der Straftaten bereits vor dem 25. Lebensjahr deutlich abnimmt.
Die Gruppe der Altersbegrenzten Intensivtäter (11%) steigert hinsichtlich Anzahl und Schwere der Delikte bis zum 30. Lebensjahr ihre schon in der Kindheit und frühen Jugend begonnene kriminelle Karriere. Danach bricht sie weitgehend ab, nach dem 35. Lebensjahr finden sich kaum noch Straftaten. Auffällig ist hier das relativ abrupte Ende der Aktivitäten.
Die sog. Persistenten Intensivtäter (13%) zählen schließlich in jeder Lebensphase zu den aktivsten Straffälligen. Im Durchschnitt haben sie bislang 20 Einträge im BZR (u.a. schwere Raub-, Erpressungs- oder Sexualdelikte) und mit 17 Jahren mehr als dreimal so viel Lebenszeit im Strafvollzug verbracht wie die Täter aller übrigen Gruppen.
In der nächsten Erhebungsstufe wollen die Forscher anhand von Einzelauswertungen ermitteln, ob moderne Kriminalprognosemethoden für die Langzeitvorhersage krimineller Rückfälle brauchbar sind. Anschließend sind individuelle Nachbefragungen der Untersuchungsgruppe unter dem Aspekt vorgesehen, inwieweit kritische Ereignisse wie Krankheit, Unfall etc., aber auch positive Erfahrungen wie Berufseinstieg oder Partnerschaft die kriminelle Entwicklung beeinflussen können und ob es Indikatoren gibt, die eine Vorhersage über Rückfallrisiken über sehr lange Zeiträume gestatten.
Die Autoren sind aufgrund der bisherigen Ergebnisse zuversichtlich, dass die differenzierte Lebensverlaufsforschung auch langfristige Prognosen darüber zulässt, unter welchen Bedingungen Haftentlassene erneut straffällig werden und welche Interventionsmaßnahmen für die unterschiedlichen Tätergruppen am effektivsten sind. Das Forschungsprojekt wird in den kommenden zwei Jahren von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Literatur:
Klaus-Peter Dahle, Straffälligkeit im Lebenslängsschnitt. In: Kröber/Dahle (Hgg.), Sexualstraftaten und Gewaltdelinquenz. Verlauf-Behandlung-Opferschutz. Kriminalistik Wissenschaft & Praxis, Heidelberg, 1998, S.47-55.
Nähere Informationen erteilt Ihnen gern:
Dr. Klaus-Peter Dahle, Institut für Forensische Psychiatrie, Limonenstraße 27, 12203 Berlin, Telefon 030-8445-1417, E-Mail: dahle@zedat.fu-berlin.de
Carmen Tschirkov
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