Licht schafft Ordnung
Internationaler Forschergruppe gelingt mit „Röntgen-Schnappschüssen“ erstmals der Nachweis lichtgesteuerter Umstrukturierungen in Materialien
Dass ein Material unter Lichteinwirkung von einem ungeordneten (paramagnetischen) in einen geordneten (ferromagnetischen) Zustand wechseln kann, hat jetzt eine internationale Wissenschaftlergruppe aus Deutschland, Frankreich, Polen und Japan erstmals direkt beobachtet. Die Forscher untersuchten, wie sich die Struktur eines organischen Kristalls verändert, der mit einem ultraschnellen Laser bestrahlt wird. Mit extrem kurzen Röntgenstrahlpulsen von mehreren Pikosekunden gelang es ihnen an der European Synchrotron Radiation Facility (ESRF) in Grenoble, die durch Laserpulse induzierten Phasenübergänge in dem Material direkt messen (Science, 25. April 2003). Lichtinduzierte Phasenübergänge ermöglichen es somit, ein paramagnetisches Material durch extrem kurze Bestrahlung mit optischen Photonen vom ungeordneten in den geordneten Zustand extrem schnell hin und her zu schalten. Dieser Effekt ist von großem Interesse für die Optoelektronik und Photonik und kann dort zur (reversiblen) Datenspeicherung oder -übertragung genutzt werden.
Die Struktur fester Materie kann geordnet oder ungeordnet sein. Im ungeordneten Zustand weisen ihre Bausteine, wie zum Beispiel Moleküle, alle möglichen Orientierungen auf, so dass im Mittel keine makroskopischen physikalischen Eigenschaften messbar sind, obwohl die einzelnen Bausteine selbst diese Eigenschaft besitzen. Im geordneten Zustand hingegen sind alle Bausteine gleich ausgerichtet, so dass sich die kleinen Beiträge der molekularen Eigenschaften im gesamten Festkörper aufsummieren und makroskopisch messbar werden. Eine Konsequenz dieser inneren Ordnung ist beispielsweise der Magnetismus: Ein ungeordneter Festkörper aus Eisen ist nicht magnetisch („paramagnetisch“), ein geordneter sehr wohl („ferromagnetisch“). Deshalb besteht schon seit langem in vielen Anwendungsbereichen des Magnetismus (Elektrooptik, Optoelektronik oder elektronische Datenspeicherung) großes Interesse daran, Möglichkeiten zu finden, um ein Material zeitlich reversibel zwischen dem ungeordneten und dem geordneten makroskopischen Zustand hin- und her schalten zu können.
In jüngster Zeit versucht man, die Magnetisierung und Demagnetisierung von Materie durch Bestrahlung mit Licht zu steuern und zu schalten, da Lichtphotonen das schnellste Transportmedium schlechthin sind. Mit Hilfe der so genannten lichtinduzierten Phasenübergänge (photo-induced phase transition) ist es tatsächlich möglich, unter geeigneten Bedingungen ungeordnete Materie durch Bestrahlung mit optischen Photonen im sichtbaren Bereich in einen zeitlich limitierten, also vorübergehenden geordneten Zustand zu überführen. Dieser zeitlich begrenzte geordnete Zustand stellt sich innerhalb von einem Millionstel einer Millionstel Sekunde (einer Pikosekunde) ein und „lebt“ eine Millionstel Sekunde lang (eine Mikrosekunde), um sich dann wieder in den ungeordneten Anfangszustand zurück zu wandeln (vgl. Abbildung 1). Auf diese Weise ist es möglich, paramagnetische Materialien unter Lichteinstrahlung vorübergehend in den ferroelektrischen Zustand zu überführen (und umgekehrt).
Obwohl dieser Effekt seit einiger Zeit bekannt ist und erforscht wird, gab es bisher keinen eindeutigen Beweis für diese lichtinduzierte Ordnung. Dies hängt vor allem damit zusammen, dass die Stärke dieser Methode auch zugleich ihre Schwäche ist: Da die Ordnungsphänomene von sehr vorübergehender Natur sind, braucht man nicht nur extrem schnelle optische Methoden, um diese Ordnungen in fester Materie – mit Laserpulsen – herzustellen, sondern auch mindestens genauso schnelle optische Methoden, um diese (vorübergehende Ordnung) zu charakterisieren. Lichtpulse optischer Laser haben zwar die zeitlichen Eigenschaften, liefern aber durch die Art ihres Signals nur indirekte Hinweise und keine direkten Beweise für die vorübergehende Ordnung fester Materie, da optisches Licht die Energie von Materie, nicht aber die Position von Molekülen oder Atomen in der Materiestruktur bestimmt.
Um diesen strukturellen Übergang nun direkt zu beweisen und die Positionen der Moleküle in der vorübergehend geordneten Materie zu bestimmen, haben sich die Forscher eine neuartige Methode – die zeitaufgelöste Röntgenstrukturanalyse – zu Nutze gemacht. Denn mit Hilfe von Röntgenstreuung lässt sich die Struktur von Materie und somit auch Ordnung und Unordnung direkt untersuchen (siehe ebenfalls Abbildung 1). Wurde Röntgenlicht in der Vergangenheit lediglich für statische Messungen herangezogen, ist es nunmehr möglich, wie in einem Film viele schnell aufeinander folgende Schnappschüsse von der sich ändernden Struktur von Materie zu machen und die strukturellen Änderungen in Echtzeit zu verfolgen. Für diese sehr anspruchsvollen Techniken benötigt man allerdings sehr große Forschungsanlagen, wie die European Synchrotron Radiation Facilty (ESRF) in Grenoble. Nur dort – in einer einzigartigen Konstellation aus ultraschnellen Lasersystemen und harten Röntgenpulsen – ist die Zeitauflösung der Röntgenpulse so kurz und ihre Röntgenphotonenintensität so groß, dass man die vorübergehenden Ordnungsphänomene überhaupt „sehen“ kann (vgl. auch S. Techert, F. Schotte und M. Wulff, Phys. Rev. Lett. 86 (10), 2030 (2001)).
In der jetzt in Science veröffentlichten Arbeit haben die Forscher mittels zeitaufgelöster Röntgenstrukturanalyse (Zeitauflösung im Pikosekundenbereich) die photoinduzierte Ordnung in Tetrathiofulvalen-p-Chloranil, einer Modellsubstanz für einen so genannten eindimensionalen Elektronenleiter, untersucht. Den Wissenschaftlern gelang es zu beobachten, wie ein solcher Kristall – durch Anregung mit einem 300 Femtosekunden-Laserpuls (= 3 x 10-13 s) – innerhalb von Pikosekunden von der neutralen paramagnetischen in die ionische ferroelektrische Phase höherer Ordnung übergeht und in diesem Zustand einige Mikrosekunden verweilt. Diese Umwandlung vollzieht sich hochgradig selbstorganisierend und kooperativ im gesamten Festkörper. Damit gelang den Wissenschaftlern erstmals der direkte Beweis für eine lichtinduzierte vorübergehende Ordnung in einem Festkörper.
Umgekehrt zeigt dieser Erfolg aber auch, dass wissenschaftliche Fragestellungen der Materialforschung und Nanotechnologie bei extrem kleinen Dimensionen und extrem schnellen Prozessen nur dann beantwortet werden können, wenn dazu moderne und leistungsstarke physikalische Methoden und Apparaturen, wie neue Synchrotronstrahlungsquellen, zur Verfügung stehen. Die zeitaufgelöste Röntgenstrukturanalyse ist hierbei sicherlich eine Methode, die man künftig nicht nur zur Strukturaufklärung biologischer Makromoleküle, sondern gerade auch in den Materialwissenschaften einsetzen wird. Gebraucht werden dazu jedoch Synchrotronstrahlungsquellen mit noch höheren Zeitauflösungen und gleichbleibend hoher Strahlungsintensität, wie sie durch Röntgenlaser (so genannter x-ray free electron laser, X-FEL) erreicht werden sollen. Für den Bereich harten Röntgenstrahlung soll künftig der X-FEL am Deutschen Elektronen Synchrotron DESY in Hamburg dienen, für den weichen Röntgenbereich besteht am DESY bereits ein entsprechender X-FEL und am BESSY in Berlin ist ein weiterer geplant.
Dr. Simone Techert
Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie, Göttingen
Abt. Spektroskopie und Photochemische Kinetik
37077 Göttingen
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