Migration und Bildung: Was Lukas von Murat unterscheidet
Das lässt sich wohl nicht vermeiden: Wer vom neuesten Forschungsprojekt Würzburger Bildungsforscher hört, muss unweigerlich an Thilo Sarrazin und seine äußerst umstrittene These vom Deutschland, das sich selbst abschafft, denken. Denn im Zentrum dieser Studie stehen Schulleistungen und Bildungslaufbahnen von Schülern mit Migrationshintergrund im Vergleich zu deutschen Schülern. Sarrazin hatte in seinem Buch Migranten muslimischer Herkunft eine „sehr niedrige Bildung“ attestiert.
Leistungsunterschiede sind da
Tatsächlich: „Der Nachweis durchschnittlich geringerer Kompetenzen von Schülern mit Migrationshintergrund im Vergleich zu Schülern deutscher Herkunft ist in den Fächern Deutsch, Mathematik und den Naturwissenschaften hinreichend erbracht“, sagt Professor Heinz Reinders, Inhaber des Lehrstuhls Empirische Bildungsforschung an der Universität Würzburg und Leiter der Studie. Damit enden allerdings schon die Gemeinsamkeiten zwischen Sarrazin und dem Wissenschaftler.
Während Sarrazin über „Erbfaktoren“ als Hintergrund für ein „Versagen“ türkischer Migranten im deutschen Schulsystem spekuliert, wollen die Würzburger Forscher den Ursachen für diesen Unterschied mit wissenschaftlichen Methoden genauer auf den Grund gehen.
Die Familie macht den Unterschied
Eine ganze Reihe dieser Gründe sind bereits bekannt: „Bildung spielt in Familien mit Migrationshintergrund im Durchschnitt keine so große Rolle wie in deutschen Familien. Kindern aus diesen Familien fehlt es deshalb oft auch an der sprachlichen Kompetenz, um im Unterricht problemlos mithalten zu können“, sagt Reinders. Das Kind, das schon im Grundschulalter von seinen Eltern zum Ballett, Geigenunterricht und dem speziellen Angebot des städtischen Museums angemeldet wird, hat mit hoher Wahrscheinlichkeit eher deutsche Eltern und nicht türkische.
Ein genauerer Blick auf die Verhältnisse sorgt allerdings für Überraschungen: Wenn das private Umfeld sich gleicht, bringen Migrantenschüler annähernd die gleichen Schulleistungen wie deutsche Schüler, wie aktuelle Studien zeigen. Dann können sich die Verhältnisse sogar umkehren: „Grundschüler türkischer Herkunft mit vergleichbaren Leistungen und Umfeld wechseln häufiger auf das Gymnasium als Gleichaltrige deutscher Herkunft“, sagt Reinders.
Auf der Suche nach weiteren Faktoren
Neben der Tatsache des Migrationshintergrunds und den Bedingungen im Elternhaus – in der Fachsprache „sozio-ökonomischer Status“ genannt – sind die Wissenschaftler auf der Suche nach weiteren Verantwortlichen für den Unterschied der beiden Schülergruppen. Dazu zählen vor allem sogenannte lern- und lernerfolgsrelevante Variablen, die in dem Forschungsprojekt untersucht werden sollen.
„Wir werden den Fokus auf das Streben der Schüler nach Bildung, ihr akademisches Selbstkonzept und ihre Lernmotivation legen“, sagt Reinders. Mit dieser Auswahl von Faktoren folgen die Wissenschaftler bisherigen Befunden der Lehr-Lernforschung; darüber hinaus lassen sich diese Faktoren aus den Pisa-Studien ablesen.
Die Studie
Wie werden die Bildungsexperten dabei vorgehen? „Wir wollen zunächst mit Hilfe der Daten der Pisa-Studie das Zusammenspiel von Streben nach Bildung, akademischem Selbstkonzept sowie Lernmotivation mit den jeweiligen Fachkompetenzen bei Migrantenschülern prüfen“, sagt Reinders. Dabei werden sie auch ein Auge auf den jeweiligen bildungsspezifischen Hintergrund in der Familie werfen. Darüber hinaus werden Reinders und seine Mitarbeiter eine Längsschnittstudie mit zwei Messzeitpunkten entwickeln. Ziel ist es dabei, ein Werkzeug zu konzipieren, das Vorhersagen über die Bildungskarriere von Migranten ermöglicht.
Die Studie „Kompetenzunterschiede und Bildungsgangwechsel bei Schülern mit Migrationshintergrund“ ist für eine Laufzeit von drei Jahren angelegt. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung finanziert das Projekt mit 250.000 Euro.
Kontakt
Prof. Dr. Heinz Reinders,
T (0931) 318-5563,
heinz.reinders@uni-wuerzburg.de
Media Contact
Weitere Informationen:
http://www.uni-wuerzburg.deAlle Nachrichten aus der Kategorie: Gesellschaftswissenschaften
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