Meereisrückgang und Ausbreitung chemischer Schadstoffe in der Arktis hängen zusammen
Durch den drastischen Rückgang des Meereises in der Arktis im vergangenen Jahrzehnt wird verstärkt Brom freigesetzt – mit Folgen. Zum einen wird dabei Ozon abgebaut, zum anderen lagert sich giftiges Quecksilber in der arktischen Lebenswelt ab.
Der Rückgang der Eisdecke im Arktischen Ozean ruft nämlich Interaktionen zwischen dem Salz im Meereis, frostigen Temperaturen und Sonnenlicht hervor. Das salzige Eis setzt dadurch vermehrt Brom frei und startet eine Kette chemischer Reaktionen, „Bromexplosion“ genannt, die zu immer mehr Brommolekülen in der Atmosphäre führt. Brom reagiert dann mit einer gasartigen Form von Quecksilber und verwandelt es in einen Schadstoff, der auf die Erdoberfläche fällt.
Dies hat ein internationales Team aus Kanada, Deutschland, Großbritannien und den USA unter der Leitung von Son Nghiem vom Jet Propulsion Laboratory der NASA in Kalifornien nachgewiesen. Die Wissenschaftler kombinierten dafür Satellitenmessungen, Beobachtungen sowie ein Modell zur Darstellung der Luftbewegungen in der Atmosphäre. Ziel war es, Veränderungen des arktischen Meereises mit den Bromexplosionen über der Beaufortsee bis hin zum Amundsen-Golf in der Kanadischen Arktis in Verbindung zu bringen. Möglich machte dies eine bisher einmalige Kombination von europäischen und US-amerikanischen Satellitenbeobachtungen sowie Messungen aus dem Programm des Internationalen Polarjahres. Die Ergebnisse erscheinen demnächst im Journal of Geophysical Research – Atmospheres.
Die Studie untersucht außerdem, wo in der Atmosphäre sich die Bromexplosionen ereignen – in der Troposphäre, der untersten Schicht und damit in der Luft, die wir atmen, oder in der darüber liegenden Stratosphäre. Die Wissenschaftler nutzten dabei die Topographie der Bergketten in Alaska und Kanada als eine Art Lineal, um die Höhenlage der Bromexplosionen zu messen.
Im Frühjahr 2008 entdeckten Satelliten erhöhte Konzentrationen von Brom, während gasförmiges Quecksilber und Ozon zurückgingen. Nachdem die Forscher die Satellitendaten mit Messungen vor Ort überprüft hatten, verwendeten sie ein atmosphärisches Modell, um zu untersuchen, wie der Wind die Bromwolken über die Arktis trug. Das Modell zeigte, dass die Brooks Range in Alaska sowie die kanadischen Richardson Mountains und Mackenzie Mountains das Brom daran hinderten, in das Innere Alaskas vorzudringen. Da die meisten Bergketten niedriger als 2.000 Meter sind, zogen die Forscher den Schluss, dass die Bromexplosionen auf die untere Troposphäre beschränkt waren. Mit diesem Wissen konnten die Forscher die Ereignisse mit Prozessen auf der Erdoberfläche in Zusammenhang bringen: Ihr Modell, das die vom salzhaltigen Eis aufsteigende Luft verfolgte, verknüpfte die Freisetzung von Brom mit den jüngsten Veränderungen im arktischen Meereis, die zu einer deutlich salzhaltigeren Oberfläche führten.
Im März 2008 verringerte sich die Fläche des mehrjährigen Meereises sogar noch stärker als 2007. Damals war die Fläche im März geringer als in den 50 Jahren zuvor und schrumpfte um eine Million Quadratkilometer – ein Gebiet, das fast dreimal so groß ist wie Deutschland. Entsprechend nimmt heute erstjähriges Eis, das sich den Winter über formt, den Raum des verlorenen mehrjährigen Eises ein. Dieses jüngere Eis ist wesentlich salzhaltiger als sein älteres Pendant, weil die Zeit für Prozesse fehlte, die das Meersalz herausfiltern. An der Oberfläche von jungem Eis wachsen außerdem salzige Eisblumen, Klumpen von Eiskristallen, die bis zu viermal salzhaltiger sind als Ozeanwasser und damit als Salzquelle für die Freisetzung von Brom dienen können.
Die Umweltphysiker folgern: Bromexplosionen können in Zukunft vermehrt auftreten, wenn Meereis weiterhin von jüngerem, salzhaltigeren Eis dominiert wird und aufgrund des Klimawandels häufiger extreme Kälteperioden in der Arktis auftreten. „Andererseits könnte die Erwärmung auch zu einer Abnahme der Bromexplosionen und damit zu einer Zunahme der bodennahen Ozonkonzentrationen führen“, erklären die Professoren Lars Kaleschke von der Universität Hamburg und John Burrows von der Universität Bremen bestehende Unsicherheiten.
Die Quecksilbermenge, die aufgrund von Bromexplosionen in die Umwelt gelangt, ist deshalb ein Gebiet für weitere Untersuchungen. So läuft derzeit eine neue Messkampagne in der Arktis, das so genannte Brom-, Ozon- und Quecksilber-Experiment der NASA (BROMEX). Beteiligt sind mehr als 20 Institutionen, darunter auch erneut die Universitäten Bremen und Hamburg.
Finanziert wurde die Studie aus Mitteln der US-amerikanischen Luft- und Raumfahrtbehörde NASA, der Wetter- und Ozeanografiebehörde der Vereinigten Staaten (NOAA), der National Science Foundation, dem Office of Naval Reserach, dem internationalen Programm des Polarjahres, dem kanadischen Umweltministerium, dem kanadischen Natural Sciences and Engineering Council, der Europäischen Raumfahrtbehörde (ESA), dem Land Bremen, dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) und der Europäischen Organisation für die Nutzung meteorologischer Satelliten (EUMETSAT).
Weitere Informationen:
Prof. Dr. John Burrows, Universität Bremen, 0421-218-62100
Prof. Dr. Lars Kaleschke, Universität Hamburg, KlimaCampus, 040-42838-6518
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Weitere Informationen:
http://www.uni-bremen.deAlle Nachrichten aus der Kategorie: Studien Analysen
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