Weitreichende Maßnahmen für ein zukunftsfähiges Deutschland

Im Verbundprojekt „Global zukunftsfähige Entwicklung – Perspektiven für Deutschland“ untersuchten Wissenschaftler verschiedener Forschungseinrichtungen der Helmholtz-Gemeinschaft und der Fraunhofer Gesellschaft, was getan werden müsste, um Deutschland auf dem Weg zur Nachhaltigkeit voranzubringen. Es zeigte sich, dass Maßnahmenbündel von erheblicher Eingriffstiefe notwendig sind, um wichtige Nachhaltigkeitsziele zu erreichen.

So müssten zur Begrenzung des Flächenverbrauchs eine Versiegelungsabgabe sowie eine kombinierte Bodenwert- und Bodenflächensteuer eingeführt werden. Darüber hinaus müsste die Eigenheimförderung auf den Erwerb im Bestand beschränkt werden. Die Reduzierung der CO2-Emission im Sinne der Enquete-Kommission „Nachhaltige Energieversorgung“ des deutschen Bundestages erforderte dagegen Maßnahmen wie eine Weiterführung der Öko-Steuer mit stark steigenden Steuersätzen, die Einführung einer Kerosinsteuer und die Einführung des Handels mit CO2-Zertifikaten. Ebenso sind durchgreifende Maßnahmen zur Lösung von sozialen Nachhaltigkeitsproblemen in den Bereichen Langzeitarbeitslosigkeit, Armut und soziale Sicherung notwendig. Vorgeschlagen werden eine steuerfinanzierte Grundrente, die staatliche Bezahlung gesellschaftlicher Arbeit und andere Maßnahmen, ebenso die Besteuerung internationaler Finanztransaktionen, aus deren Aufkommen die Lösung von Nachhaltigkeitsproblemen in Entwicklungsländern unterstützt werden könnte. Die verschiedenen ökologischen und sozialen Nachhaltigkeitsdefizite sollten simultan, integriert und in internationaler Zusammenarbeit in Angriff genommen werden.

Die Verantwortung für künftige Generationen und die Verwirklichung von mehr Gerechtigkeit heute stehen im Mittelpunkt der aktuellen Diskussionen zur nachhaltigen Entwicklung. Was es bedeutet, die in der Regel auf globaler Ebene formulierten Nachhaltigkeitskriterien für Deutschland umzusetzen, ist in vielen Feldern weiterhin hoch kontrovers. Die Situation ist geprägt von Wissensdefiziten und Bewertungsproblemen.

Die Helmholtz-Gemeinschaft widmet sich diesen Fragen seit 1999 in dem Verbundprojekt „Global zukunftsfähige Entwicklung – Perspektiven für Deutschland“, das vom Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse des Forschungszentrums Karlsruhe koordiniert und zusammen mit dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt, dem Forschungszentrum Jülich und den Fraunhofer Instituten für autonome intelligente Systeme und für Rechnerarchitektur und Softwaretechnik bearbeitet worden ist.

„Die Studie der Helmholtz-Zentren bietet keine simplen Antworten an“, erklärte der Vorstandsvorsitzende des Forschungszentrums Karlsruhe, Professor Dr. Manfred Popp, bei der Vorstellung der Ergebnisse des Verbundprojektes in Berlin. „Sie zeigt vielmehr den großen Umfang der notwendigen Eingriffe, die international einheitlich umgesetzt werden müssten, um zu einer ökologisch, ökonomisch und sozial nachhaltigen Entwicklung zu kommen. Angesichts der Skepsis über die Realisierbarkeit der Forderungen ist die Ausschöpfung des Potenzials neuer Technologien, wie zum Beispiel der Nanotechnologie, das die Studie ebenfalls aufzeigt, von umso größerer Bedeutung.“

Folgende Fragen werden in der Studie beantwortet:

  • Was heißt Nachhaltigkeit?
  • Wie kann Nachhaltigkeit gemessen werden?
  • Wo liegen die wesentlichen Nachhaltigkeitsprobleme in Deutschland?
  • Wie werden sie sich in Zukunft entwickeln?
  • Wie kann mehr Nachhaltigkeit in Deutschland erreicht werden?

Wesentliches Ergebnis zu der ersten Frage ist ein neues integratives Konzept nachhaltiger Entwicklung, das es erlaubt, ökologische, ökonomische, soziale und politisch-institutionelle Fragen gemeinsam zu betrachten. In Form eines Systems von 25 Regeln wird die Idee nachhaltiger Entwicklung präzisiert und konkretisiert. Diese stellen Prüfkriterien dar, mit deren Hilfe nachhaltige und nicht-nachhaltige Zustände und Entwicklungen ermittelt werden können.

Diesen Regeln sind Indikatoren zugeordnet, die Nachhaltigkeit messbar machen und dadurch die Beschreibung und Beurteilung der Nachhaltigkeitssituation in Deutschland ermöglichen. Die gegenwärtig dringendsten Nachhaltigkeitsprobleme in Deutschland sind gemäß der Analyse Armut, drastische globale Einkommensunterschiede, Arbeitslosigkeit, Bildungsdefizite, mangelnde Chancengleichheit, Flächenverbrauch durch Siedlung und Verkehr, Rückgang der biologischen Vielfalt, Belastung der Waldböden, Abbau nicht-erneuerbarer Ressourcen (wie fossile Energieträger), Klimawandel, ungleiche globale Verteilung der Umweltnutzungsmöglichkeiten, Gewässerverschmutzung, umweltbedingte Gesundheitsbeeinträchtigungen (Feinstaubemissionen, Ozon, Lärm), Staatsverschuldung und die mangelnde Wahrnehmung globaler Verantwortung.

Über diese allgemeinen Nachhaltigkeitsdefizite in Deutschland hinaus wurden die Bereiche Mobilität und Verkehr, Wohnen und Bauen, Ernährung und Landwirtschaft sowie Freizeit und Tourismus detaillierter untersucht. Hierbei zeigen sich eine ganze Reihe weiterer ernsthafter Nachhaltigkeitsprobleme, zum Beispiel durch weiter deutlich steigende Verkehrsleistungen im Bereich des motorisierten Individualverkehrs, des Straßengüterverkehrs und der Luftfahrt, durch eine Verstärkung von sozialen Ungleichgewichten im Wohnungsbereich sowie durch gravierende ökologische, ökonomische, soziale und gesundheitliche Defizite im Ernährungssystem, zu denen vor allem die agrarpolitischen Rahmenbedingungen und das Ernährungsverhalten in Deutschland beitragen. Die biologische Vielfalt wird durch Tourismus in ökologisch wertvollen Gebieten bedroht.

Analysen dreier Szenarien mit einem Zeithorizont bis 2020 zeigen, dass gegenwärtige Nachhaltigkeitsprobleme sich unter bestimmten gesellschaftlichen Randbedingungen nicht lösen lassen oder sich noch verschärfen könnten. Dies gilt insbesondere für ein Szenario, das für die Zukunft einen weiteren Rückzug des Staates unterstellt und auf den Marktmechanismus bei der Lösung der verschiedenen Nachhaltigkeitsprobleme vertraut.

Wie kann nun mit diesen Problemen umgegangen werden? Im Projekt wurden eine ganze Reihe von Maßnahmen und Instrumenten in Bezug auf ihre Nachhaltigkeitswirkungen unter anderem mit Hilfe von Simulationsrechnungen untersucht und in Form integrativer Maßnahmenbündel zusammengefasst. Es zeigte sich, dass Maßnahmenbündel mit erheblicher Eingriffstiefe notwendig sind, um wichtige Nachhaltigkeitsziele zu erreichen. Sie müssten international einheitlich von allen mit Deutschland vergleichbaren Staaten ergriffen werden; in nationalen Alleingängen ist eine nachhaltige Entwicklung nicht zu realisieren.

Die bisher eingeleiteten Maßnahmen reichen nicht aus, um beispielsweise das in der deutschen Nachhaltigkeitsstrategie für 2020 formulierte Ziel einer Begrenzung des Flächenverbrauchs auf 30 Hektar pro Tag zu erfüllen. Ähnliches gilt für das von der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages „Nachhaltige Energieversorgung“ formulierte Ziel einer Reduzierung der CO2-Emissionen um 40 % bis 2020. Im Projekt werden deshalb unter anderem die Einführung einer Versiegelungsabgabe, eine kombinierte Bodenwert- und Bodenflächensteuer, die Weiterführung der Ökosteuer mit stark steigenden Steuersätzen, die Einführung einer Kerosinsteuer, die Beschränkung der Eigenheimförderung auf den Erwerb im Bestand und die Einführung des Handels mit CO2-Zertifikaten als mögliche Maßnahmen zur Erreichung dieser Ziele diskutiert.

In Bezug auf die Lösung von Problemen wie Armut, Langzeitarbeitslosigkeit und soziale Sicherung werden unter anderem die Einführung einer steuerfinanzierten Grundrente und die staatliche Bezahlung gesellschaftlicher Arbeit in Erwägung gezogen. Ebenso wird eine Besteuerung internationaler Finanztransaktionen (Tobin-Steuer) erwogen, aus deren Aufkommen die Lösung von Nachhaltigkeitsproblemen in Entwicklungsländern unterstützt werden könnte.

Eine wesentliche Erkenntnis des Projektes ist es, dass eine erfolgversprechende Nachhaltigkeitsstrategie die Lösung der wesentlichen ökologischen und sozialen Probleme simultan und integriert angehen muss. Hierzu kann nicht allein auf den Markt als Steuerungsmechanismus gesetzt werden, sondern dies erfordert eine starke Rolle des Staates. Generelles Ziel muss es dabei sein, wesentliche nicht-nachhaltige Aktivitäten und Verhaltensweisen – Energieverbrauch, Emissionen, Flächenverbrauch oder Substitutionen von Arbeit durch Kapital – zu belasten. Mit den Einnahmen hieraus könnten zugleich die Behebung von Umweltproblemen, die Schaffung von Arbeitsplätzen und notwendige Investitionen im Bildungsbereich finanziert sowie die sozialen Sicherungssysteme armutsfest gemacht werden. Es wird deshalb ein tiefgreifender Umbau des bestehenden Steuer- und Abgabensystems im Sinne einer nachhaltigkeitsorientierten Finanzreform für notwendig erachtet.

Schritte auf dem Weg zu einer nachhaltigen Entwicklung sind ohne innovative Technikentwicklung nicht denkbar. Zu den Handlungsstrategien gehört daher auch die frühzeitige Abschätzung von neuen Technologien im Hinblick auf ihre Nachhaltigkeitswirkungen. Vertieft untersucht wurden Nanotechnologie, Bio- und Gentechnologie, regenerative Energietechnologien und Informations- und Kommunikationstechnologie. Es zeigt sich, dass diese Technikbereiche Potenziale zur Erfüllung von Nachhaltigkeitszielen eröffnen, deren Realisierung jedoch nicht von selbst eintritt. Es bedarf politischer und gesellschaftlicher Gestaltung, um die Potenziale in Realität zu überführen.

Technikgestaltung für nachhaltige Entwicklung ist mit den Bedingungen des Wissens unter Unvollständigkeit und Ungewissheit konfrontiert. Hieraus resultieren Anforderungen im Hinblick auf die Anpassungsfähigkeit der Technik an neue Erkenntnisse und Probleme, auf ihre Fehlerfreundlichkeit und auf die Reversibilität einmal getroffener Entscheidungen.

Mit einer Präsentation wesentlicher Ergebnisse am 26./27. Mai in Berlin wird dieses Projekt abgeschlossen. Der Abschlussbericht ist unter dem Titel „Nachhaltigkeitsprobleme in Deutschland. Analyse und Lösungsstrategien“ bei der edition sigma, Berlin, erschienen.

Das Forschungszentrum Karlsruhe ist Mitglied der Helmholtz-Gemeinschaft, die mit ihren 15 Forschungszentren und einem Jahresbudget von rund 2,1 Milliarden Euro die größte Wissenschaftsorganisation Deutschlands ist. Die insgesamt 24 000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Helmholtz-Gemeinschaft forschen in den Bereichen Struktur der Materie, Erde und Umwelt, Verkehr und Weltraum, Gesundheit, Energie sowie Schlüsseltechnologien.

Media Contact

Inge Arnold idw

Weitere Informationen:

http://www.fzk.de

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