Schlafmangel erhöht die Fitness

Ein aufmerksames Männchen auf der Hut vor Konkurrenten<br><br>Foto: Wolfgang Forstmeier<br>

Männliche Graubruststrandläufer, die während der Brutzeit am wenigsten schlafen, zeugen die meisten Jungen. Diesen erstaunlichen Zusammenhang hat nun eine Forschergruppe, angeführt von Bart Kempenaers vom Max-Planck-Institut für Ornithologie in Seewiesen herausgefunden.

Während drei Wochen intensiver Konkurrenz im Dauertag des arktischen Sommers werben die Männchen aktiv um die Weibchen im Wettstreit mit anderen Männchen. Mit Hilfe einer innovativen Sender-Kombination, die Bewegungen, Interaktionen und Gehirnaktivität der Tiere aufzeichnen, konnten die Autoren in Verbindung mit einer Vaterschaftsanalyse zeigen, dass die „schlaflosesten“ Männchen die höchste Anzahl an Nachkommen hatten. Dies ist der erste Hinweis für Schlafmangel als ein evolutionär angepasstes Verhalten. Die Ergebnisse stellen daher die allgemeingültige Auffassung in Frage, dass Schlafmangel unweigerlich zu einer verminderten Leistungsfähigkeit führt.

Wer träumt nicht manchmal davon, einen Tag 24 Stunden lang zu nutzen? Jedoch beeinträchtigt das Bedürfnis nach Schlaf zwangsläufig unsere Leistungsfähigkeit oder führt sogar dazu, in gefährlichen Situationen einzuschlafen, zum Beispiel beim Autofahren. Täglicher Schlaf ist aber essenziell für die Regeneration des Gehirns und der Leistungsfähigkeit. Dies gilt für den Menschen genauso wie für Tiere. Nun fanden jedoch Wissenschaftler, angeführt von Bart Kempenaers vom Max-Planck-Institut für Ornithologie in Seewiesen, dass männliche Graubruststrandläufer (Calidris melanotos) während der dreiwöchigen Balzzeit bis zu 95 Prozent der Zeit aktiv sind. Das ist überaus bemerkenswert, da die Vögel gerade von ihrem langen Zug aus den Überwinterungsgebieten auf der Südhalbkugel in den Brutgebieten in Alaska ankommen.

Graubruststrandläufer haben ein polygynes Paarungssystem, ein Männchen paart sich also mit mehreren Weibchen. Da die Männchen nicht bei der Jungenaufzucht helfen, definiert sich der Fortpflanzungserfolg ausschließlich über den Zugang zu fortpflanzungsfähigen Weibchen. Dieser Zugang ist bei Graubruststrandläufern aber nicht so einfach: „Die Männchen müssen ständig Konkurrenten mittels Territoriumsverteidigung und Zweikämpfen abwehren und gleichzeitig Weibchen durch umfangreiches Balzgehabe überzeugen“, sagt Bart Kempenaers. Da im arktischen Sommer die Sonne nie ganz untergeht, sollten diejenigen Männchen im Vorteil sein, die diesen extremen Anforderungen rund um die Uhr standhalten können.

Tatsächlich konnten die Wissenschaftler nachweisen, daß die aktivsten Männchen nicht nur die meisten Kontakte mit Weibchen, sondern auch die meisten Nachkommen hatten. Die Vaterschaft der Nachkommen bestimmten die Forscher aus DNA-Proben aller Männchen, Weibchen und Jungtiere im Untersuchungsgebiet. Um die Aktivitätsmuster zu messen, klebten die Wissenschaftler allen Männchen und vielen der Weibchen im Brutgebiet Sender auf den Rücken. Diese Radiotelemetrie-Sender gaben dem Team Aufschluß, ob sich ein Tier bewegt oder nicht. Letztlich bestätigten Aufzeichnungen der Gehirn- und Muskelaktivität, dass aktive Tiere wach waren und inaktive Tiere tatsächlich schliefen.

Die Aufnahmen der Gehirnaktivität belegen auch einen Unterschied in der Intensität des Schlafes. „Männchen, die am wenigsten schliefen, hatten den tiefsten Schlaf“, sagt Co-Autor Niels Rattenborg, der in Seewiesen Schlafforschung betreibt. Obwohl dies darauf hindeuten könnte, dass die Vögel durch den Tiefschlaf den Schlafmangel kompensieren, fanden die Forscher, dass selbst diese Tiere noch ein Schlafdefizit aufwiesen.

Langzeitdaten von Vögeln, die zu ihrem Brutgebiet zurückkehrten, lassen die Forscher schlußfolgern, daß der verminderte Schlaf offenbar keine langfristigen Einschränkungen in der Lebenserwartung hat. Im Gegenteil, erfolgreiche Männchen kehrten öfter ins Brutgebiet zurück als Männchen mit geringerer Nachkommenschaft und hatten im zweiten Jahr eine höhere Wahrscheinlichkeit auf Nachkommenschaft als andere Männchen. Wird durch die Studie die vorherrschende Ansicht in Frage gestellt, dass Schlaf die Funktion hat, das Gehirn zu regenerieren? So weit wollen die Wissenschafter nicht gehen, auch wenn die Ergebnisse klar zeigen, dass Tiere unter bestimmten Voraussetzungen die Fähigkeit erwerben können, auf große Mengen von Schlaf zu verzichten oder ihn aufzuschieben und gleichzeitig eine hohe Leistungsfähigkeit des Gehirns und des Verhaltens beizubehalten.

Es war wichtig zu zeigen, dass diese Fähigkeit nicht alle Männchen haben, selbst wenn fortpflanzungsfähige Weibchen vorhanden sind. „Daher könnten den lange schlafenden Männchen genetische Merkmale fehlen, die den Kurzschläfern die hohe Leistungsfähigkeit auch bei Schlafmangel ermöglichen“, so Bart Kempenaers. Die Forscher sind der Ansicht, dass die Antwort auf die Frage, warum nur manche Männchen diese Anpassung der Schlaflosigkeit zeigen, sowohl dabei hilft, die Entwicklung dieses extremen Verhaltens als auch die Funktion des Schlafes und dessen Beziehung zu Gesundheit und Langlebigkeit zu verstehen.

Originalveröffentlichung:
John A. Lesku, Niels C Rattenborg, Mihai Valcu, Alexei L. Vyssotski, Sylvia Kuhn, Franz Kuemmeth, Wolfgang Heidrich, Bart Kempenaers
Adaptive Sleep Loss in Polygynous Pectoral Sandpipers
Science, veröffentlicht online am 09.08.2012.

Kontakt:
Prof. Dr. Bart Kempenaers
Abteilung Verhaltensökologie und Evolutionäre Genetik
Max-Planck-Institut für Ornithologie, Seewiesen
Tel.: 08157 932 334
Email: b.kempenaers@orn.mpg.de

Dr. Niels Rattenborg (spricht nur Englisch)
Forschungsgruppe Schlaf und Flug bei Vögeln
Max-Planck-Institut für Ornithologie, Seewiesen
Tel.: 08157 932 279
Email: rattenborg@orn.mpg.de

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Dr. Sabine Spehn Max-Planck-Institut

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