Präzisionsmassenmessung im Labor gewährt Blick in die Kruste von Neutronensternen
Im Zusammenspiel mit Vorhersagen von Neutronensternmodellen kann damit die Zusammensetzung der äußeren Kruste von Neutronensternen tiefer ausgelotet werden.
Neutronensterne entstehen, wenn massereiche Sterne an ihrem Lebensende in Supernovae explodieren. Sie werden auch als mögliche Geburtsstätten schwerer Elemente gehandelt.
Die jetzt in den Physical Review Letters publizierten Ergebnisse demonstrieren das enge Wechselspiel zwischen experimentellen und theoretischen Untersuchungen und belegen insbesondere die Bedeutung von Labormessungen für die astrophysikalische Forschung. Die Zeitschrift wählte eine Abbildung des Artikels für das Titelblatt der neuesten Ausgabe aus.
Mit Durchmessern von wenigen Kilometern gehören Neutronensterne zu den kompaktesten Objekten unseres Universums. Sie entstehen, wenn massereiche Sterne einen Großteil ihres Materials durch Kernfusion in Eisen umgewandelt haben, den am stärksten gebunden Atomkernen. Danach kommt die Fusion im Sternzentrum zum Erliegen, sodass auf diese Weise keine schwereren Elemente gebildet werden können. Stattdessen kollabiert der Stern aufgrund seiner Gravitation und erstrahlt in einer Supernova.
Zurück bleibt ein Neutronenstern, ein Objekt welches nach gängigen Theorien im Wesentlichen aus Neutronen besteht, da der enorme Gravitationsdruck „die Elektronen in die Protonen presst“. Erst durch die extremen Drücke und Dichten, welche selbst in den äußersten Neutronensternschichten – der „Kruste“ – vorherrschen, entstehen eine Reihe von schwereren Elementen.
Durch Gezeitenkräfte, die z.B. bei Kollisionen mit einem weiteren Neutronenstern oder einem schwarzen Loch auftreten, könnten diese Elemente freigesetzt werden und so die Häufigkeitsverteilung der Elemente unseres Universums bereichern, eine der wichtigsten aber bis dato noch offenen Fragen der Astrophysik.
Die extremen Bedingungen im Inneren der Neutronensterne können in irdischen Labors nicht reproduziert werden. Daher versucht man, sich mittels theoretischer Modelle einen Zugang zum Aufbau der dichten Neutronenmaterie zu verschaffen. Entscheidende Eingangsgrößen für diese Berechnungen sind die Bindungsenergien neutronenreicher Atomkerne. Über Einsteins bekannteste Gleichung, E=mc2, hängen diese Bindungsenergien direkt mit den Kernmassen zusammen. Präzisionsmassenwerte der entsprechenden exotischen Kerne sind daher Voraussetzung zur Modellierung der Neutronensternkruste.
Bislang war die Zusammensetzung der Neutronensterne (mit typischen Radien von 10km und 1,4-fachen Sonnen-massen) bis zu einer Tiefe von etwa 210m bekannt. Dort vermutete man Zink-80, das kurzlebigste Zinkisotop, dessen Atommasse bisher noch experimentell ermittelt werden konnte. Darunter wurde als nächsttieferes Nuklid unter anderem Zink-82 vorausgesagt. Dessen Massenwert beruhte allerdings lediglich auf Abschätzungen, da eine direkte Messung bisher noch nicht möglich war. Einem internationalen Forscherteam ist es nun gelungen, mit dem Penningfallen-Massenspektrometer ISOLTRAP am CERN in Genf diese Messung durchzuführen. Die kurzlebigen Atome (mit einer Halbwertszeit von lediglich einer Viertelsekunde) wurden an der dortigen ISOLDE-Anlage durch Protonenbeschuss von Uran erzeugt.
Dabei entstand allerdings auch eine Vielzahl weiterer Atome, die nach Ionisation zum ISOLTRAP-Aufbau geleitet wurden. Daher war eine der Hauptschwierigkeiten, die kurzlebigen und in geringsten Mengen produzierten Zink-82-Isotope effizient von isobaren Kontaminationen zu trennen, also von Ionen, deren Kerne die gleiche Gesamtanzahl von Protonen und Neutronen besitzen und damit eine ähnliche Masse haben. Die Entfernung dieser Teilchen war eine entscheidende Voraussetzung für die nachfolgenden Präzisi-onsmassenmessungen.
Zur Isolation der Zink-82-Ionen wurde erstmals ein an der Universität Greifswald entwi-ckelter hochauflösender Flugzeitzeitmassenseparator verwendet, der diese Aufgabe in wenigen hundertstel Sekunden erfüllte. Dies bedeutete eine Zeitersparnis von über einer Größenordnung gegenüber den Methoden, die zuvor zur Verfügung standen. Damit war es möglich, die Masse von Zink-82 erstmals zu bestimmen – mit der extrem kleinen Unsicherheit von nur 1 zu 25 Millionen.
Der experimentelle Massenwert von Zink-82 erlaubt es, die Modellvorhersagen zu vergleichen. Dazu wird die Zusammensetzung der Neutronensternkruste jeweils neu berechnet. Die revidierte Bindungsenergie von Zink-82 führt kurioserweise dazu, dass dieses Nuklid in der Kruste gar nicht mehr vorkommt. Stattdessen verschiebt sich die Tiefe von Zink-80 nach unten, nun gefolgt von Nickel-78.
Neutronensterne wurden bereits in den 1930 Jahren als Überreste von Supernovaexplosionen vorausgesagt. Allerdings sind sie nur schwer zu beobachten. Einige von ihnen machen sich jedoch als „Pulsare“ bemerkbar und senden, ähnlich einem Leuchtturm, periodisch Pulse vom Radio- bis in den Röntgenbereich aus. Für die Entdeckung der Pulsare erhielt Antony Hewish 1974 den Nobelpreis in Physik. 1993 wurde ein weiterer Nobelpreis für den ersten indirekten Nachweis von Gravitationswellen durch Neutronensternbeobachtungen vergeben.
Allerdings ist die theoretische Beschreibung der Neutronensterne bis heute unvollständig, da deren extreme Eigenschaften auf der Erde nicht nachgeahmt werden können. Man kann aber mit entsprechenden Modellen in ihrem Aufbau mehrere Schalen unterscheiden, vergleichbar mit dem Schalenaufbau der Erde. Um einen homogenen Kern verlaufen die (inhomogenen) inneren und äußeren Krusten. In letzterer existieren noch isolierte Atomkerne umgeben von einem Elektronengas. In den obersten, wenige 10 m tiefen Schichten werden Isotope von Eisen, Nickel und Krypton vorhergesagt, welche auch unter terrestrischen Bedingungen stabil und damit gut bekannt sind. Dagegen bestehen die nächsten Schichten aus sehr kurzlebigen Nukliden, welche nur durch den ständigen Wiedereinfang von Elektronen im Gleichgewicht gehalten werden. Der Übergang zur „inneren Kruste“ erfolgt in einer Tiefe von 300m bis 500m, wo die Atomkerne nicht mehr alle Neutronen an sich binden können und in einem „See“ freier Neutronen schwimmen.
Mit dem Spektrometer ISOLTRAP am CERN werden seit etwa einem Viertel Jahrhundert Präzisionsmassenmes-sungen an kurzlebigen Nukliden durchgeführt. Die Ergebnisse gehen unter anderem in Kernstrukturberechnungen und Tests fundamentaler physikalischer Fragen ein. Die Apparatur wurde immer wieder verbessert und erweitert. Die jüngste Ergänzung, ein Multireflektions-Flugzeitmassenspektrometer, wurde von der Universität Greifswald beigesteuert. An der Zink-82-Messung waren weiterhin Wissenschaftler des CERN, des Max-Planck-Instituts für Kernphysik in Heidelberg, des Helmholtzzentrums für Schwerionenforschung in Darmstadt, des Helmholtz-Instituts Mainz, des japanischen Forschungszentrums RIKEN, sowie von Universitäten in Dresden, Leuven (Belgien) und Orsay (Frankreich) beteiligt. Die Neutronensternrechnungen wurden an der Université Libre de Bruxelles (Belgien) durchgeführt.
Weitere Informationen
Plumbing Neutron Stars to New Depths with the Binding Energy of the Exotic Nuclide 82Zn
R. N. Wolf, D. Beck, K. Blaum, Ch. Böhm, Ch. Borgmann, M. Breitenfeldt, N. Chamel, S. Goriely, F. Herfurth, M. Kowalska, S. Kreim , D. Lunney, V. Manea, E. Minaya Ramirez, S. Naimi, D. Neidherr, M. Rosenbusch, L. Schwei-khard, J. Stanja, F. Wienholtz, K. Zuber, Phys. Rev. Lett. 110, 041101 (2013)
DOI: 10.1103/PhysRevLett.110.041101
Ansprechpartner
Dipl.-Phys. Robert. N. Wolf und Prof. Dr. Lutz Schweikhard
Institut für Physik der Universität Greifswald
Felix-Hausdorff-Straße 6, 17487 Greifswald
Telefon 03834 86-4700
wolf@uni-greifswald.de
lschweik@physik.uni-greifswald.de
http://:www6.physik.uni-greifswald.de/index.html
Sprecher der ISOLTRAP-Kollaboration
Prof. Dr. Klaus Blaum
Max-Planck-Institut für Kernphysik, Heidelberg
Telefon 06221 516850
klaus.blaum@mpi-hd.mpg.de
http://www.mpi-hd.mpg.de/blaum/index.de.html
Leiterin der ISOLTRAP-Gruppe am CERN
Dr. Susanne Kreim
CERN, bat. 3-1-070, CH-1211 Genf 23, Schweiz
Telefon +41 22 7672646
susanne.waltraud.kreim@cern.ch
http://isoltrap.web.cern.ch/
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