Herzreparatur mit unbefruchteten Eizellen
Konzept erstmals an der Maus gezeigt und Vorteile des Verfahrens dokumentiert. Online veröffentlicht in JOURNAL FOR CLINICAL INVESTIGATION am 22. Februar 2013.
Schneller, einfacher und zuverlässiger – das ist die Vision von Stammzell-forscher Prof. Dr. Wolfram-Hubertus Zimmermann, wenn es um die Herzreparatur mit künstlichen Herzzellen oder künstlichem Herzgewebe geht. Prof. Zimmermann, Direktor der Abteilung Pharmakologie der Universitätsmedizin Göttingen sowie Mitglied im Herzforschungszentrum Göttingen (HRCG), hat mit seinem Team einen neuen Weg gefunden, mit dem sich künstliches Herzreparaturmaterial auf fast natürliche Weise herstellen lässt.
Für die klinische Einführung künstlicher Herzgewebe ist die Anwendung von Stammzellen unerlässlich. Die Suche nach geeigneten Alleskönnerzellen läuft. In Deutschland wird besonders intensiv an nicht-embryonalen Stammzellen geforscht. Wenig beachtet waren aber bisher nicht-embryonale Stammzellen, die sich über die so genannte „Jungfernzeugung“ (Parthenogenese) aus unbefruchteten Eizellen gewinnen lassen. Es handelt sich dabei um sogenannte parthenogenetische Stammzellen (PS-Zellen).
WELTWEIT ERSTMALIG
Forschern der Universitätsmedizin Göttingen (UMG) ist es nun gelungen, im Labor Herzgewebe mithilfe von Stammzellen zu züchten, die sie zuvor aus unbefruchteten Eizellen der Maus gewonnen haben. Das gezüchtete Herzgewebe – sogenannte Engineered Heart Muscle (EHM) – schlägt spontan wie natürliches Herzgewebe und lässt sich bei Mäusen therapeutisch zur Reparatur von Herzinfarkten einsetzen. Diese grundlegenden Forschungsergebnisse wurden heute, Freitag, 22. Februar 2013, in der renommierten wissenschaftlichen Fachzeitschrift JOURNAL FOR CLINICAL INVESTIGATION veröffentlicht.
„Wir zeigen erstmalig auf, dass unbefruchtete Eizellen ein vielversprechendes Ausgangsmaterial für die Gewebezüchtungs-basierte Behandlung von Herzmuskelschwäche nach Myokardinfarkt sein können“, sagt Prof. Dr. Wolfram-Hubertus Zimmermann, Senior-Autor der Studie. „Wichtig ist, dass bei diesem Verfahren keine Embryonen verwendet werden und keine genetischen Manipulationen notwendig sind.“
Originalpublikation: Michael Didié, Peter Christalla, Michael Rubart, Vijayakumar Muppala, Stephan Döker, Bernhard Unsöld, Thomas Rau, Thomas Eschenhagen, Alexander P Schwoerer, Heimo Ehmke, Udo Schumacher, Sigrid Fuchs, Claudia Lange, Alexander Becker, Tao Wen, John A Scherschel, Mark H Soonpaa, Tao Yang, Qiong Lin, Martin Zenke, Dong-Wook Han, Hans R. Schöler, Cornelia Rudolph, Doris Steinemann, Brigitte Schlegelberger, Steve Kattman, Alec Witty, Gordon Keller, Loren J Field and Wolfram-Hubertus Zimmermann. Parthenogenetic Stem Cells for Tissue Engineered Heart Repair. J CLIN INVEST (2013) doi:10.1172/JCI66854.
FORSCHUNGSERGEBNISSE IM DETAIL: WAS KÖNNEN PS-ZELLEN?
In ihrer Arbeit haben die Forscher die Qualität und das Potential der PS-Zellen genau unter die Lupe genommen und dokumentiert. Sie kommen dabei zu diesen Ergebnissen: Die PS-Zellen besitzen ähnliche biologische Eigenschaften wie embryonale Stammzellen. Sie sind dabei in der Lage, funktionelle Herzmuskelzellen im Labor und auch im Körper von Mäusen zu generieren. Darüber hinaus kann aus PS-Zellen im Labor Herzmuskelgewebe gezüchtet werden. PS-Zellen sind immunologisch einfacher „gestrickt“ als andere Stammzellen. Dies ist von großer Bedeutung für die breite Anwendung von gezüchtetem Herzmuskelgewebe für die Herzreparatur.
IMMUNOLOGISCHER VORTEIL: WENIGER ABSTOSSUNG
„Unsere Untersuchungen haben gezeigt: Mit künstlichem Herzgewebe aus parthenogenetischen Stammzellen kommt es zu keinen oder besser kontrollierbaren Abstoßungsreaktionen sogar bei Implantation in nicht verwandte Empfänger. Dies ist ein klarer Vorteil gegenüber anderen Stammzellen“, sagt Erst-Autor der Publikation Dr. Michael Didié, Mitarbeiter der Abteilung Pharmakologie und der Abteilung Kardiologie und Pneumologie der UMG. Dieser Effekt hängt ursächlich damit zusammen, dass das Erbmaterial in Parthenoten weniger variabel ist, als in gegengeschlechtlich gezeugten Embryonen.
AUF MENSCHEN ÜBERTRAGBAR?
Ob sich dieses nun erstmals im Mausmodell demonstrierte Konzept tatsächlich auf Menschen übertragen lässt, kann nur in Folgeuntersuchungen geklärt werden. Das Forscherteam um Prof. Zimmermann will das therapeutische Potential der Parthenogenese auch für den Menschen überprüfen. Dafür braucht es menschliche unbefruchtete Eizellen. Allein in Deutschland werden nach der Statistik der Deutschen Gesellschaft für Reproduktionsmedizin jährlich etwa 60.000 unbefruchtete Eizellen verworfen, weil sie für eine künstliche Befruchtung schlussendlich nicht geeignet sind. Das bedeutet, dass für die geplanten Arbeiten von Prof. Zimmermann keine zusätzlichen Eizellspenden nötig sind, sondern lediglich auf vorhandene, aber nicht mehr benötigte Eizellen zurückgegriffen werden kann.
„Der Weg in die klinische Anwendung in Patienten mit Herzmuskelschwäche ist noch weit und wir müssen in jedem Fall sicherstellen, dass Patienten nicht einem unvertretbaren Risiko ausgesetzt werden“, sagt Prof. Dr. Zimmermann. „Auf der anderen Seite bietet die Zell-basierte Gewebereparatur eine spannende Perspektive nicht nur für die Behandlung von Patienten mit Herzmuskelschwäche, sondern vermutlich auch für die Behandlung von Patienten mit anderen lebensbedrohlichen Erkrankungen.“
Biobanken mit Stammzelllinien für die therapeutische Anwendung sind die Vision von Prof. Zimmermann. Modellrechnungen lassen den Schluss zu, dass 80 bis 100 unterschiedlichen PS-Zelllinien ausreichen würden, um eine Gewebereparatur ohne zusätzliche Immununterdrückung bei einer Bevölkerung von circa 100 Millionen zu erreichen.
JUNGFERNZEUGUNG (PARTHENOGENESE)
Die natürliche Parthenogenese ist eine Form der eingeschlechtlichen Fortpflanzung, die gelegentlich im Tierreich vorkommt. Dabei entstehen lebensfähige Nachkommen aus unbefruchteten Eiern. Säugetiere haben die Fähigkeit zur parthenogenetischen Vermehrung verloren. Dies gilt auch für den Menschen. Durch einen pharmakologischen Trick können jedoch Eizellen von Säugetieren im Labor parthenogenetisch aktiviert werden. Dabei werden unbefruchtete Eizellen allein durch einen elektrischen oder chemischen Reiz, dazu angeregt, sich zu teilen. Ein Embryo kann sich allerdings nicht entwickeln. Aus den sich entwickelnden Parthenoten können pluripotente Stammzellen gewonnen werden.
Das Herzforschungszentrum Göttingen (HRCG) wurde 2010 aus dem Forschungsschwerpunkt der Universitätsmedizin Göttingen „Herzinsuffizienz und Regeneration“ gegründet. Im HRCG sind Grundlagenwissenschaftler und klinische Forscher gleichermaßen vertreten. Dabei kooperieren das Herzzentrum der Universitätsmedizin Göttingen, naturwissenschaftliche Fakultäten der Georg-August-Universität, das Max-Planck-Institut (MPI) für Experimentelle Medizin, das MPI für biophysikalische Chemie, das MPI für Dynamik und Selbstorganisation sowie das Deutsche Primatenzentrum (DPZ). Die enge Kooperation zwischen Klinikern und Grundlagenforschern bietet so die einzigartige Möglichkeit, die Ergebnisse der Grundlagenforschung zeitnah in der Praxis umzusetzen. Dieses Ziel verfolgen die Forscher des HRCG auch als Partner im Deutschen Zentrum für Herzkreislaufforschung (DZHK).
WEITERE INFORMATIONEN
Universitätsmedizin Göttingen, Georg-August-Universität
Institut für Pharmakologie
Prof. Dr. Wolfram-Hubertus Zimmermann
Robert-Koch-Str. 40, 37075 Göttingen
Telefon 0551 / 39-5781 /-5787
w.zimmermann@med.uni-goettingen.de
Abteilung Pharmakologie: www.pharmacology.med.uni-goettingen.de
HRCG: www.herzzentrum-goettingen.de/de/content/forschung/551.html
DZHK: www.dzh
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