Bewohner armer Länder zeigen mehr Risikobereitschaft
Lotterien standen im Mittelpunkt eines außergewöhnlichen Experiments von Ferdinand Vieider. Der Ökonom am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) hat erstmals systematisch das Risikoverhalten in 30 Ländern von Australien bis Vietnam untersucht – mit überraschenden Ergebnissen.
Die Auswertung zeigt, dass Menschen in armen Ländern eher bereit sind, Risiken einzugehen, als die Einwohner reicherer Staaten, wie zum Beispiel Deutschland. Die Studie deckt ein Paradox auf: Denn bislang hatten Studien zur Risikobereitschaft innerhalb einzelner Länder gezeigt, dass wohlhabendere Menschen risikobereiter sind.
In dem Experiment von Ferdinand Vieider mit Thorsten Chmura (Universität Nottingham) und Peter Martinsson (Universität Göteborg) wurden die Risikopräferenzen von über 3.000 Probanden aus 30 Ländern bewertet. Dazu mussten sich die Teilnehmer in einem mehrstufigen Entscheidungsprozess jeweils zwischen Lotterien und steigenden festen Geldbeträgen entscheiden.
Je höher der Betrag war, ab dem Teilnehmer von der Lotterie zu dem festen Betrag wechselten, desto höher war ihre Wertschätzung der Lotterie und daher ihre Risikobereitschaft. Die Teilnehmer aus den ärmeren Ländern setzten häufiger auf die Lotterien und wiesen ihnen einen höheren Wert zu. Am risikofreudigsten waren unter den Bedingungen des Experiments die Menschen in Äthiopien, Nicaragua und Vietnam. Deutschland ist Schlusslicht unter den 30 Ländern.
Erstaunlich sind die Ergebnisse deshalb, weil die Ökonomen einem Paradox auf die Spur gekommen sind. Bislang hatten Analysen zum Risikoverhalten innerhalb einzelner Länder ergeben, dass Menschen mit hohem Einkommen risikobereiter sind als ärmere Menschen. Vergleicht man aber das Bruttoeinkommen und die Risikobereitschaft auf Länderebene und bezieht Schwellenländer mit ein, ist die Verbindung genau umgekehrt: Je höher das Pro-Kopf-Einkommen, desto geringer ist die Risikobereitschaft.
Länder mit einer höheren Risikobereitschaft hatten zudem über die letzten zehn Jahre ein im Durchschnitt stärkeres Wirtschaftswachstum. Eine Ursache könnte das Unternehmertum risikofreudiger Menschen sein. Doch warum bleiben dann Länder wie Nicaragua und Nigeria arm, obwohl sie einen hohen Indikator für Risikobereitschaft zeigen? Die Forscher machen deutlich, dass sich ein armes Land trotz einer risikobereiten Bevölkerung nur entwickeln kann, wenn gleichzeitig weitere Faktoren hinzukommen, wie etwa ein stabiler Staat, der Privatbesitz garantiert.
Die Ergebnisse des Experiments sind in einem englischen Discussion Paper zusammengefasst: Ferdinand M. Vieider, Thorsten Chmura, Peter Martinsson: Risk Attitudes, Development, and Growth. Macroeconomic Evidence from Experiments in 30 Countries, WZB: Discussion Paper: http://bibliothek.wzb.eu/pdf/2012/ii12-401.pdf.
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Ferdinand Vieider, Ph.D.
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