Verhaltensforschung an staatenbildenden Insekten mit Computerchip
Bienenforscher von der Uni Würzburg haben eine neue Technologie erschlossen, die ihrer Ansicht nach die Verhaltensforschung an staatenbildenden Insekten revolutionieren wird: Mit der so genannten RFID-Technik ist es erstmals möglich, im regen Treiben eines Bienenvolks die Aktivitäten vieler einzelner Tiere gleichzeitig und beliebig lange zu verfolgen. Wie das funktioniert, beschreiben die Forscher in der neuen Ausgabe des Wissenschaftsblattes „Zoology“.
Eine Biene mit Gepäck verlässt den Stock: Hinter ihrem Kopf klebt wie ein winziger Rucksack ein Computerchip. Am Nestausgang wird sie von einem Scanner abgetastet – ähnlich wie an der Kasse im Supermarkt: Ein Funksignal aktiviert den Chip, der daraufhin ein individuell für die Biene festgelegtes Signal zurücksendet. An der Futterstelle und bei der Rückkehr ins Nest wiederholt sich der Vorgang. So kann nicht nur die Aktivität dieser einen Biene, sondern sehr vieler Einzeltiere gleichzeitig und beliebig lange aufgezeichnet werden.
Sebastian Streit, Fiola Bock und Christian Pirk aus der Würzburger Bienengruppe um Jürgen Tautz haben dieses System einsatzfähig gemacht. Sie konstruierten hierfür eine Mini-Bienenwelt mit Nest, Flugschneisen und Futterstellen. Die Scanner – speziell für den Einsatz bei Insekten entwickelt – befinden sich am Nesteingang, bei den Futterplätzen und an weiteren wichtigen Orten. Sie bestimmen Identität, Aufenthaltsort und Bewegungsrichtung der Biene. Diese Informationen werden in zentralen Datenbanken gespeichert.
„Daraus kann dann jede beliebige Information gezogen werden“, wie Streit sagt: Wann hat eine Biene den ersten Ausflug ihres Lebens durchgeführt? Welche Bienen sind faul, welche fleißig? Welche sind Frühaufsteher, welche Nachtschwärmer? All diese Daten lassen sich mit anderen Informationen kombinieren, etwa mit den Geburtsdaten der Bienen, den Aufzuchtbedingungen oder mit Wetterdaten.
Nachdem die Würzburger Forscher an einer Hummelkolonie gezeigt haben, dass ihre Methode funktioniert, wollen sie nun Verhaltensanalysen in bisher unbekannten Ausmaßen durchführen: Bei einem dieser Experimente sollen laut Streit rund 1.000 Honigbienen mit Chips bestückt werden. Verwendet werden die kleinsten RFID-Chips, die es zurzeit gibt: Sie messen einen Quadratmillimeter, kommen ohne Stromversorgung aus und haben eine Funkreichweite von einigen Millimetern. Unterstützt wird das finanziell aufwändige Projekt vom Bayerischen Ministerium für Landwirtschaft und Forsten sowie von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG).
Individuelle Lebensverläufe zu verfolgen und ihre Abhängigkeiten von Umwelteinflüssen und Wechselwirkungen mit Artgenossen zu erkennen, ist eines der großen Ziele der Verhaltensbiologie. Für staatenbildende Insekten wie Bienen oder Ameisen, bei denen enorme Zahlen von Individuen in gemeinsamen Nestern leben, erschien diese Aufgabe bis jetzt vollkommen unlösbar, so Tautz.
Vor gut 100 Jahren markierte der Literatur-Nobelpreisträger Maurice Maeterlinck erstmals Bienen mit Farbpunkten. Später perfektionierte der Medizin-Nobelpreisträger Karl von Frisch diese Methode, mit der einzelne Tiere über weite Strecken in ihrem Verhalten beobachtet und dokumentiert werden konnten. Film und Video machten es schließlich möglich, die individuellen Verhaltensweisen zeitlich losgelöst vom Auftreten des Verhaltens zu analysieren. Doch auch hier blieb man aus Material- und Zeitgründen auf die Beobachtung weniger Individuen beschränkt. Diese Barriere wird nun mit der RFID-Chip-Technologie durchbrochen. Tautz bewertet sie darum als technologische Revolution für die Verhaltensforschung, vor allem bei staatenbildenden Insekten.
Weitere Informationen: Sebastian Streit, Tel. 0931-888-4329, Fax -4309, streit@biozentrum.uni-wuerzburg.de
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