Jüngste Galaxien im Universum entdeckt?
Astronomen-Team identifiziert mehrere metallarme Galaxien in der Umgebung der Milchstraße, die möglicherweise jüngsten Sternsysteme im Universum
Alle chemischen Elemente, die schwerer sind als Wasserstoff und Helium, wurden erst im Laufe von Jahrmilliarden bei thermonuklearen Reaktionen im Inneren von neu geborenen Sternen gebildet. Von daher ist zu erwarten, dass der Gehalt an schwereren Elementen in jenen Galaxien am geringsten ist, die wir nur in sehr großen Entfernungen, also in der Frühzeit des Universums beobachten können. Doch jetzt hat ein Team von Astronomen aus Deutschland, den USA, Russland und Japan unter mehr als 250.000 Galaxien, deren spektrale Informationen im Sloan Digital Survey (SDSS) erfasst wurden, insgesamt acht extrem metallarme Galaxien entdeckt, die sich überraschenderweise in der Nähe unserer Milchstraße befinden (The Astrophysical Journal, 593:L73-L76, 2003 August 20). Damit eröffnen sich jetzt völlig neue Möglichkeiten, Galaxien in einem sehr frühen Stadium ihrer Entwicklung – gewissermaßen aus nächster (kosmischer) Nähe – zu beobachten und zu analysieren.
Nach dem Urknall vor etwa 14 Milliarden Jahren bestand das Universum zunächst nur aus den Elementen Wasserstoff und Helium. Alle schwereren Elemente, von den Astronomen als Metalle bezeichnet, wurden erst später im heißen Inneren neu entstandener Sterne erbrütet. Generation um Generation von Sternen, die aus der interstellaren Materie in den Galaxien immer wieder neu geboren wurden, gaben am Ende ihres Lebens die von ihnen erzeugten Metalle an das interstellare Medium wieder ab, so dass mit der Zeit der Metallgehalt der Galaxien insgesamt kontinuierlich zunahm. Demnach sollten die jüngsten aller Galaxien auch den geringsten Gehalt an Metallen aufweisen. Man erwartete deshalb, metallarme Galaxien (Extremely Metal Poor Galaxies, XMPGs) nur in extrem großer Entfernung zu finden, dort, wo wir sie aufgrund der endlichen Lichtgeschwindigkeit in einer frühen Entwicklungsphase des Universums beobachten können.
Ein internationales Forscherteam unter Leitung von Alexei Kniazev und Eva Grebel vom Max-Planck-Institut für Astronomie, Heidelberg, hat sich auf die Suche nach solchen XMPGs gemacht. Sie nutzen dazu den Sloan Digital Sky Survey (SDSS), das derzeit größte Projekt zur systematischen Durchmusterung und Katalogisierung des Sternenhimmels. Die große vom SDSS durchmusterte Fläche (ein Viertel des gesamten Nordhimmels), seine hohe Empfindlichkeit und die gleichmäßige Qualität der gesammelten Daten waren optimale Voraussetzung für die Suche nach diesen seltenen Objekten. In mehr als 250.000 Galaxien untersuchten die Wissenschaftler den Metallgehalt der leuchtenden interstellaren Materie, die aus dem ausgestoßenen Material der Sterne früherer Generationen besteht, und aus der sich neue Sterne bilden. Dabei fanden sie zu ihrer Überraschung in der nahen Umgebung unseres Milchstraßensystems insgesamt acht Galaxien, deren Metallgehalt nur ein Zwanzigstel des Metallanteils der Sonne beträgt.
Die Bedeutung der Suche nach XMPGs als möglichen „jungen Galaxien in unserer Nähe“ hatte man bereits vor mehr als 30 Jahren erkannt. Leonard Searle und Wallace L.W. Sargent führten Anfang der 1970er Jahre die erste Himmelsdurchmusterung nach diesen Objekten durch, allerdings noch auf Photoplatten aus Glas. Die neue Suche nach XMPGs in den Daten des SDSS erfolgte nun in mehrere hundert Mal mehr Galaxien pro Quadratgrad als damals. Wenn wir unsere Ergebnisse auf die insgesamt vom SDSS künftig zu überdeckende Fläche hochrechen, also etwa ein Viertel des gesamten Himmels, so können wir mit der Entdeckung von mindestens 20 weiteren XMPGs rechnen, meinen deshalb die beteiligten Forscher.
Überraschenderweise befinden sich die jetzt gefundenen XMPGs relativ nahe zu unserem Milchstraßensystem, so dass wir sie praktisch in ihrem gegenwärtigen Zustand beobachten können. „Könnten diese nahen Galaxien erst kürzlich entstanden sein?“, fragt Alexei Kniazev. Während normale Galaxien, wie unser Milchstraßensystem, etwa 13 Milliarden Jahre alt sind, dürften die „metallarmen“ Systeme nicht mehr als einige hundert Millionen bis maximal eine Milliarde Jahre alt sein. „Allerdings,“ warnt Kniazev, „muss ein geringer Metallgehalt der Galaxien noch nicht zwingend auch ein junges Alter bedeuten.“
Heute geht man davon aus, dass es zwei Typen von extrem metallarmen Galaxien gibt. Zum einen Typ gehören die blauen kompakten Galaxien, kleine isolierte Systeme, die gegenwärtig eine Phase starker Sternbildung durchlaufen. Zur anderen Kategorie gehören Scheibengalaxien, irreguläre Galaxien und irreguläre Zwerggalaxien. Die neuen Forschungsergebnisse werfen jetzt eine Reihe von Fragen auf, denn die meisten Galaxien sind vor etlichen Milliarden Jahren entstanden: Kann es also sein, dass ein Bruchteil der Galaxien vielleicht erst heute entsteht? Kann es sein, dass in einigen der ursprünglichen Wolken aus Wasserstoff und Helium die allererste Sterngeneration erst kürzlich entwickelt hat?
Eva Grebel vermutet, einige der neu entdeckten Objekte könnten einen wesentlichen Teil ihrer Metalle verloren haben. So könnten Winde, die bei starker Sternbildungsaktivität ausgelöst werden, die schweren Elemente aus dem interstellaren Medium der Galaxien förmlich „herausgeblasen“ haben. Oder aber diese Galaxien entwickeln sich so langsam, also mit extrem niedriger Sternentstehungsrate, dass ihr Metallgehalt deshalb so gering ist. Inzwischen weiß man von einigen der schon früher bekannten XMPGs, dass es sich dabei um alte Galaxien handelt, die sich nur sehr langsam entwickeln. Andere wiederum durchlaufen gerade eine heftige Sternentstehungsphase.
Eine andere Frage ist, wie sich die XMPGs unter „normalen“ Galaxien verteilen. „Wir gehen davon aus, dass sich XMPGs in einer isolierten Umgebung befinden,“ sagt dazu Lei Hao vom Princeton University Observatory, „nun ist zu prüfen, ob das auch für die neu entdeckten Objekte der Fall ist.“ Dazu müssen einerseits einige dieser Objekte im Detail untersucht werden. Andererseits gilt es, ihre Eigenschaften als Gruppe zu bestimmen und die ganze Bandbreite der in Galaxien vorkommenden Metall-Konzentrationen auszuloten. Das war bisher nicht möglich, weil die einzelnen Objekte eher nur zufällig gefunden wurden. „Die systematische Untersuchung der XMPGs wird deshalb auch zu einem tieferen Verständnis der Galaxienbildung insgesamt führen,“ vermutet Kuniazev.
An dem Projekt beteiligt waren neben den genannten Wissenschaftlern: Michael A. Strauss, Princeton University Observatory, USA, Jonathan Brinkmann, Apache Point Observatory, Sunspot, New Mexico, USA, und Mastaka Fukugita, Japans Institute of Cosmic Ray Research, University of Tokyo, Japan.
Weitere Informationen erhalten Sie von:
Jakob Staude
Max-Planck-Institut für Astronomie, Heidelberg
Tel.: +49 6221 528 – 229
E-Mail: staude@mpia.de
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