Einfluss der Darmflora auf die menschliche Gesundheit unterschätzt?
Diesen Fragen widmen sich gleich drei Arbeitsgruppen der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) im Rahmen eines neuen DFG-Schwerpunktprogramms (SPP 1656), das den Zusammenhang zwischen Darmflora und menschlicher Gesundheit in den Mittelpunkt des Interesses rückt.
Neueren Erkenntnissen zufolge spielt die Darmflora eine noch weit größere Rolle für die Gesundheit des Menschen als bisher bekannt und schützt den Körper auch vor Erkrankungen: Mit Hilfe neuartiger Labormethoden gelang es Wissenschaftlern, das komplexe Ökosystem der Darmbakterien zu charakterisieren und mit klinischen Daten von Patienten abzugleichen. Studien belegen, dass Veränderungen der Darmflora mit der Entstehung vieler Volkskrankheiten wie Adipositas(Fettleibigkeit), Depression und Autoimmunität – einer Überreaktion des Immunsystems, das im Rahmen einer Entzündung gesundes Körpergewebe angreift – im Zusammenhang stehen. Kürzlich konnte sogar gezeigt werden, dass die Übertragung der Darmflora von gesunden auf kranke Menschen therapeutisch wirksam sein kann.
Um diese Erkenntnisse zu vertiefen, hat die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) unter dem Titel „Intestinal Microbiota – a Microbial Ecosystem at the Edge between Immune Homeostasis and Inflammation“ ein bundesweites Programm zur Erforschung der Einflüsse der Darmflora auf die Gesundheit ausgeschrieben. In einem strengen Auswahlverfahren für die erste, auf drei Jahre angelegte Förderphase konnten sich gleich drei Arbeitsgruppen aus Erlangen durchsetzen. Damit fließen Fördergelder in Höhe von 1,2 Millionen Euro an die FAU.
Wissenschaftler rund um Dr. Claudia Günther und Prof. Christoph Becker (Medizinische Klinik 1) erforschen, wie sich Darmbakterien und Epithelzellen im Darm gegenseitig beeinflussen. Epithelzellen bilden eine Barriere, die dafür verantwortlich ist, das unkontrollierte Eindringen von Bakterien in den Körper zu verhindern. Erste Erkenntnisse der Arbeitsgruppe belegen, dass Epithelzellen des Darms darüber hinaus entscheiden, welche Bakterienspezies in ihrer Nachbarschaft leben dürfen und welche bekämpft werden.
Dr. Stefan Wirtz und Prof. Markus Neurath (Medizinische Klinik 1) untersuchen mit ihren Teams, welchen Einfluss bestimmte Botenstoffe des Immunsystems, die Interleukine, bei der Interaktion des Körpers mit der Darmflora haben. Sie sind, so erste Erkenntnisse, entscheidend an der erfolgreichen Infektabwehr im Darm – etwa gegen Salmonellen – beteiligt, spielen aber vermutlich auch eine wichtige Rolle bei der Entstehung chronisch entzündlicher Darmerkrankungen.
Die Arbeitsgruppe von Prof. Jochen Mattner (Mikrobiologisches Institut) schließlich untersucht den Einfluss von T-Lymphozyten – einer bestimmten Form menschlicher Immunzellen – auf die Entstehung von Entzündungen, die sich gegen das eigene Darmgewebe richten. Besonderes Augenmerk liegt dabei auf der Identifikation von Bakterienarten, die die Aktivierung dieser T-Lymphozyten über Oberflächenmoleküle regulieren. Erste Ergebnisse deuten darauf hin, dass ein Molekül namens CD101 dabei eine wichtige Rolle spielt: Gewisse Bakterien können dieses Molekül auf der Oberfläche der T-Zellen verändern – und so das Ausmaß der Entzündung beeinflussen. Die Arbeitsgruppe hofft, im Rahmen ihrer Untersuchungen klinische Marker zu identifizieren, die eine schnelle Erkennung der Krankheitsaktivität bei chronisch entzündlichen Darmerkrankungen erlaubt.
Koordiniert wird das bundesweite Programm von Prof. Dirk Haller von der Technischen Universität München (TUM) und Prof. Ingo Autenrieth von der Universität Tübingen.
Hintergrund: Chronisch-entzündliche Darmerkrankungen
Im menschlichen Darm leben ca. 100 Billionen Bakterien – zehnmal mehr Bakterien als der Mensch Körperzellen hat. Ihre Vielfalt ist immens: Rund 500 verschiedene Spezies bewohnen verschiedene Nischen im Dünndarm und vor allem im Dickdarm. Die Forscher unterscheiden zwischen Bakterien, die krank machen, und solchen, die für eine gesunde Darmflora förderlich sind. Den Bakterien gegenüber stehen die Zellen des Immunsystems, die diese Bakterien überwachen. Die friedliche Koexistenz beider Gruppen ist für viele Prozesse im menschlichen Körper essenziell: Geraten die Bakterien im Darm außer Kontrolle, können an verschiedenen Orten im Körper Entzündungen entstehen, die das Gewebe schädigen. Häufig ist der Darm selber betroffen, und es treten chronisch entzündliche Darmerkrankungen wie Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa auf. Mehr als vier Millionen Menschen leiden weltweit daran – Tendenz steigend. Um neue, effektivere Therapien gegen diese Erkrankungen zu entwickeln, ist ein genaues Verständnis der zugrunde liegenden molekularen Prozesse nötig.
Ansprechpartner:
Prof. Dr. Christoph Becker
Medizinische Klinik 1
09131/85-35886
christoph.becker@uk-erlangen.de
Dr. Stefan Wirtz
Medizinische Klinik 1
09131/85-35882
stefan.wirtz@uk-erlangen.de
Prof. Dr. Jochen Mattner
Mikrobiologisches Institut – Klinische Mikrobiologie, Immunologie und Hygiene
09131/85-23640
Jochen.Mattner@uk-erlangen.de
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