Lymphknoten mit Ortsgedächtnis

© HZI / Rohde<br>Eine regulatorische T-Zelle (blau) in elektronenmikroskopischer Vergrößerung interagiert mit einigen Bakterienzellen (grün)<br>

Im menschlichen Immunsystem haben die regulatorischen T-Zellen (kurz „Tregs“) eine wichtige Aufgabe: Sie steuern die übrigen Immunzellen und vermitteln ihnen gewissermaßen eine „tolerante Haltung“ gegenüber körpereigenen Zellen und ungefährlichen Fremdkörpern. Wie Tregs überhaupt zu Tregs werden, war bislang nicht genau bekannt.

Wissenschaftlern des Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung (HZI) in Braunschweig ist es nun in Zusammenarbeit mit Kollegen von der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) gelungen, dies besser zu verstehen: Die Herkunft ist entscheidend – in einigen Lymphknoten entstehen mehr Tregs als in anderen.

Diese Erkenntnisse konnten die Forscher jetzt in der Fachzeitschrift „Mucosal Immunology“ veröffentlichen.

Ohne regulatorische T-Zellen würde die menschliche Immunabwehr nicht richtig funktionieren: Die Abwehrzellen würden selbst harmlose Fremdkörper wie Bestandteile bestimmter Nahrungsmittel mit voller Kraft bekämpfen, denn das Immunsystem wäre nicht „tolerant“ gegenüber solchen ungefährlichen Stoffen. Eben diese Toleranz wird durch die Tregs vermittelt, sie haben „tolerogene“ Eigenschaften.

Sie bringen den anderen Immunzellen bei, welche Eindringlinge wirklich bekämpft werden müssen und von welchen keine Gefahr ausgeht. Diese Fähigkeit müssen jedoch auch die regulatorischen T-Zellen zunächst erlernen. Bereits bekannt war, dass sie in den Lymphknoten „ausgebildet“ werden. „Die Lymphknoten sind sozusagen die Treffpunkte des Immunsystems“, sagt Prof. Jochen Hühn, Leiter der Abteilung Experimentelle Immunologie am HZI. „Hier begegnen sich die verschiedenen Immunzellen und hier treffen sie auch auf die Antigene.“ Unter Antigenen versteht man Strukturen, die das Immunsystem erkennt, zum Beispiel Teile von Krankheitserregern oder Nahrungsbestandteile.

In Mäusen verglichen die Forscher die Entstehung von regulatorischen T-Zellen aus Lymphknoten von unterschiedlichen Stellen im Körper: aus Leber, Darm und Haut. Dabei entdeckten sie, dass in Leber- und Darm-Lymphknoten mehr Tregs entstehen, die den anderen Zellen Toleranz gegenüber Nahrungsantigenen vermitteln konnten. Eine Eigenschaft, die die Lymphknoten auch dann behielten, wenn sie unter die Haut verpflanzt wurden. Umgekehrt wurden Haut-Lymphknoten nicht tolerogener, wenn sie in die Nähe des Darmes versetzt wurden. Das fanden die Wissenschaftler gemeinsam mit dem Team von Prof. Oliver Pabst aus dem Institut für Immunologie an der MHH heraus.

Aus ihren Beobachtungen schlossen die Wissenschaftler, dass die Lage des Lymphknotens die Reifung der Zellen darin beeinflusst. „Ihre ursprünglichen Fähigkeiten haben die Zellen auch noch Wochen nach der Transplantation behalten“, sagt Dr. Sascha Cording, einer der Erstautoren der Studie. „Man könnte also sagen, dass die Lymphknoten ein Ortsgedächtnis haben.“

Und das, obwohl alle im Lymphknoten befindlichen Zellen aus dem Blut, auch die Immunzellen, schon nach kurzer Zeit ausgetauscht werden. Demnach muss das Ortsgedächtnis der Lymphknoten in seinem Gerüst stecken.

In weiteren Versuchen konnten die Wissenschaftler außerdem ergründen, wie die Lymphknoten ihr Gedächtnis erlangen: Nach der Geburt spielt sowohl die Versorgung mit Vitamin A als auch die bakterielle Mikroflora im Darm hier eine wesentliche Rolle. Bleiben diese beiden Einflüsse aus, kennen die Lymphknoten ihre Herkunft nicht und haben somit auch keine tolerogenen Eigenschaften.

Die Ergebnisse zur Prägung der Lymphknoten lassen sich auch auf den Menschen übertragen: Eine mangelhafte Versorgung mit Vitamin A nach der Geburt oder ein Eingriff in die sich entwickelnde Mikroflora eines Babys durch die Gabe von Antibiotika könnten das Gedächtnis der Lymphknoten nachhaltig stören. „In welchem Lebensalter dieser Prozess beim Menschen stattfindet, können wir noch nicht genau sagen“, erklärt Hühn. „Ob es sich hier um die ersten Tage, Wochen oder gar Monate handelt, ist schwer abzuschätzen.“ Welche Folgen Eingriffe in die frühe Prägung des Immunsystems haben können, wollen die Forscher jetzt untersuchen. Im späteren Leben könnten daraus zum Beispiel Lebensmittelallergien oder Autoimmunerkrankungen resultieren.

Originalpublikation:
Sascha Cording, Benjamin Wahl, Devesha Kulkarni, Himprya Chopra, Jörn Pezoldt, Manuela Buettner, Annegret Dummer, Usri Hadis, Markus Heimesaat, Stefan Bereswill, Christine Falk, Ulrike Bode, Alf Hamann, Diana Fleissner, Jochen Huehn, Oliver Pabst
The intestinal micro-environment imprints stromal cells to promote efficient Treg induction in gut-draining lymph nodes

Mucosal Immunology, 2013, DOI: mi.2013.54

Das Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung (HZI)
Am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung (HZI) untersuchen Wissenschaftler die Mechanismen von Infektionen und ihrer Abwehr. Was Bakterien oder Viren zu Krankheitserregern macht: Das zu verstehen soll den Schlüssel zur Entwicklung neuer Medikamente und Impfstoffe liefern.

Die Abteilung „Experimentelle Immunologie“ am HZI untersucht, wie Immunzellen entstehen und welche molekularen und zellulären Mechanismen das Immunsystem im Gleichgewicht halten. Besonderes Augenmerk legen die Wissenschaftler dabei auf die Rolle der sogenannten regulatorischen T-Zellen.

http://dx.doi.org/mi.2013.54 – Link zur Originalpublikation

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