Die tragende Rolle der Kohlenstofffaser im Hochtemperaturprozess
Die jüngsten Erfolge in der Entwicklung von Werkstück-Leichtgestellen für ihre Kunden veranlasst die Stuttgarter Fraunhofer-Technologie-Entwicklungsgruppe ein strategisches Eigenforschungsprojekt (SEF) nach dem Motto „Manche mögens heiß“ voranzutreiben. Dabei fließen die Erfahrungen aus Kunden-Projekten im Temperaturbereich von 500 bis 1000°C jetzt auch bei CFC-Gestellen ein, die bis 1300°C im Einsatz sind.
Dem neuen Supersportwagen Mercedes-Benz SLR McLaren eilt der Ruf des Innovationsträgers voraus. So meldet Daimler Chrysler kürzlich: „Hightech-Materialien aus der Luftfahrttechnologie halten Einzug in die automobile Serienproduktion: Karbonfasern dienen zur Herstellung der Karosserie und verleihen ihr bei geringem Gewicht eine vorbildliche Steifigkeit und Festigkeit.“ Was für Hightech im Karosseriebau steht, gilt – allerdings in weiter entwickelter Form – ebenso für andere Produktionsprozesse. Denn auch kohlefaserverstärkte Verbundkeramiken für Gestelle in Hochtemperaturprozessen gelten inzwischen als wahrhafte „Innovations-Träger“. Bislang haben herkömmliche Werkstückträger Eigenschaften, die maßgeblich Qualität und Kosten der Wärmebehandlung negativ beeinflussen. Dipl. Ing. Gundolf Kopp, der bei der Fraunhofer TEG als Leiter der Gruppe „Anwendung neuer Werkstoffe“ verantwortlich zeichnet, zählt die Defizite von Gestellen aus Stahl oder Stahlguss bei hohen Temperaturen, starken Temperaturwechseln oder aggressiven Atmosphären auf: „Aufkohlung und Versprödung, starke Wärmeaufnahme sowie ein niedriger Automatisierungsgrad durch starken Materialverzug führen letztlich zu einer geringen Lebensdauer und Prozesssicherheit der Gestelle in der Wärmebehandlung.“ Durch den Einsatz von kohlefaserverstärktem Kohlenstoff oder kurz CFC (Carbon Fiber reinforced Carbon) können die bestehenden Nachteile in der Härterei, beim Sintern oder Hartlöten erheblich reduziert werden. Fraunhofer TEG-Abteilungsleiter Produktionsprozesse, Matthias Böning: „Wir haben für verschiedene Auftraggeber neuartige Gestelle aus CFC entwickelt, die bereits mit großem Erfolg in der Praxis eingesetzt werden. Die Vorzüge von CFC-Gestellen in den Hochtemperaturprozessen liegen in der besseren Gestellausnutzung, einem geringeren Gewicht sowie einem form- und maßhaltigen Chargenaufbau. Daraus folgen eine höhere Prozesssicherheit und Automatisierungsmöglichkeiten beim Be- und Entladen.“
Von der Raumfahrttechnik in die Fertigungshalle
Die Stuttgarter Ingenieure entdeckten die Faserverbundkeramik CFC, die ursprünglich als Bestandteil für Hitzeschutzschilder in der Luft- und Raumfahrt entwickelt wurde, schon vor einiger Zeit als nahezu ideales Material für Industrie-Werkstückträger. Sie haben auf diesem Gebiet viel Forschungsarbeit geleistet und diese auftragsgemäß in die Praxis umgesetzt. So sollte von der Fraunhofer TEG beispielsweise ein völlig neuer Chargenaufbau zur Vergütung von Sechskantwinkelschlüsseln entwickelt werden. Auftraggeber war die Firma Wiha, einer der führenden Werkzeuganbieter. Schnell zeigten sich die positiven Eigenschaften durch den Einsatz der Faserverbundkeramik CFC. Dipl.-Ing. Kopp: „CFC verfügt über eine hohe Temperaturwechselbeständigkeit und weist im Gegensatz zu Stahl eine etwa 20-fach bessere Festigkeit bei 1000°C auf. Während sich Stahl bei einer Erwärmung von 20°C auf 1000°C etwa ein bis zwei Zentimeter pro Meter ausdehnt, ändert CFC seine Form in Faserrichtung gerade mal um einen Millimeter.“
Hervorragende thermische und mechanische Eigenschaften
Zusätzlich sorgen die Kohlenstofffasern im Gegensatz z.B. zu unverstärkter Keramik für ein pseudoelastisches Bruchverhalten. „CFC kann Spannungen besser aufnehmen und bricht nicht spröde und unvermittelt. Die Bruchzähigkeit ist so hoch, dass man ein Stück CFC sogar an die Wand nageln kann“, erklärt Kopp weiter. Für die Firma Wiha ergab sich aus der Entwicklung des neuartigen Werkstückträgers aufgrund des niedrigeren Gewichts eine 70 Prozent höhere Mehrbeladung und – bedingt durch eine 20 Prozent längere Durchführungszeit eine insgesamt 50 Prozent höhere Prozessauslastung. Bei diesem Auftrag wirkte sich insbesondere auch die Verzugsfreiheit des Materials positiv auf die Qualitätssicherung aus: „Durch die gerade und gleichmäßige Anordnung der Werkstücke konnte eine stets gleichbleibende Qualität garantiert werden. Außerdem war durch die verzugsfreien Gestelle erstmals eine automatische Be- und Entladung möglich, welche die aufwändige manuelle Chargiertätigkeit reduzierte“, führt Dipl.-Ing. Kopp weiter aus. „Insgesamt konnten wir durch den Einsatz von CFC eine enorme Qualitätsverbesserung erreichen“, resümiert Matthias Böning, Abteilungsleiter Produktionstechnik.
Wissensvorsprung durch Forschung in die Praxis umgesetzt
Das Know-how der Fraunhofer TEG in Sachen Faserverbundkeramik kam auch dem Unternehmen Modine zu Gute. Als einer der weltweit führenden Hersteller werden im Werk Filderstadt bei Stuttgart Wärmetauscher hergestellt. Bei den herkömmlichen Chargiergestellen, auf denen die Wärmetauscher gelötet wurden, kam es aufgrund der hohen Temperatur- und Gewichtsbelastungen oft zu Verformungen im Wärmebehandlungsprozess. Die TEG-Experten konzipierten einen völlig neuartigen, modularen Gitterrost aus CFC, der insbesondere für hohe Lasten geeignet ist. Damit reduzierten sie das Gestell-Gewicht von etwa 600 auf 150 Kilogramm und erhöhten die Nettobeladung um 50 Prozent. Insgesamt konnte die Prozessauslastung so um 70 Prozent gesteigert werden. Außerdem lassen sich die modularen CFC-Gestelle sicherer handhaben und beschädigte Einzelteile werden einfach und kostengünstig ausgetauscht. Ein weiterer Vorteil: Es treten weniger Lot-Anhaftungen an den Werkstückträgern auf.
In höheren Temperaturbereichen zwischen ca. 1050 und 1300°C kann es auch beim Einsatz von CFC zu unerwünschten Wechselwirkungen mit Metallen wie Aluminium, Kobalt, Molybdän oder Stahl kommen. Bei diesen sogenannten Kontaktreaktionen erfolgt ein Übertrag des Kohlenstoffs auf das Werkstück, wodurch dieses hart und brüchig wird. An den Kontaktstellen kann es auch zu Anschmelzungen der Werkstücke kommen, da die Schmelztemperatur der Metalle lokal heruntergesetzt wird.
Forschungsprojekt soll Anwendung bei Höchsttemperaturen optimieren
Die Reaktions-Problematik mit dem Werkstückmaterial veranlasste die Fraunhofer TEG gemeinsam mit den Schwesterinstituten IWM in Freiburg und IKTS in Dresden ein Forschungsprojekt aufzulegen. Um diese Diffusionen auszuschließen, forschen und entwickeln die Fraunhofer-Ingenieure inzwischen eigenständig weiter und können in dieser Richtung auch bereits erste Ergebnisse vorweisen: „Abhilfe ist hier beispielsweise in Form eines Keramikplättchens als Zwischenlage zwischen Gestell und Werkstück möglich. Auch fest angebrachte Abstandhalter aus Metall, sowie keramische Beschichtungen zur Vermeidung von Kontaktreaktionen zwischen Stahl und CFC sind bereits in der Praxiserprobung“, erklärt Dipl.-Ing. Gundolf Kopp in Kurzform die ersten Ergebnisse der Forschungsarbeit mit dem etwas langatmigen Titel „Entwicklung von Schichten und weiterer geeigneter Maßnahmen für Faserverbundkeramik, um Hochtemperaturprozesse in der Produktions-, Energie- und Umwelttechnik zu verbessern.“
CFC-Gestelle auch betriebswirtschaftlich sinnvolle Investition
Was immer den Fraunhofer-Ingenieuren noch einfallen mag, die Fachwelt dürfte gespannt auf die neuesten Forschungsergebnisse warten. Denn ein ebenso einfaches wie wichtiges Ergebnis aus der mehrjährigen Praxiserfahrung der Fraunhofer-Technologie-Entwicklungsgruppe hat bereits viele Anwender in der industriellen Fertigung hellhörig gemacht: „Der Einsatz von CFC lohnt sich auch unter Berücksichtigung des vielleicht zunächst im Vergleich mit anderen Materialien sehr hoch erscheinenden Preises. Denn auf Grund der höheren Lebensdauer und der verbesserten Prozessqualität amortisieren sich die Mehrkosten für den Werkstoff sehr schnell“, führt der TEG-Abteilungsleiter Produktionsprozesse, Matthias Böning aus. Im beschriebenen Beispiel der Firma Wiha waren die Investitionskosten durch das einfachere Chargieren und die höhere Beladungskapazität bereits nach 1,2 Jahren vollständig ausgeglichen. Und die Gestelle sind nun bereits seit nahezu vier Jahren ohne Anzeichen von Verschleißerscheinungen im Einsatz. Bleibt die Herausforderung an die Fraunhofer TEG, die Phasengrenzreaktionen in den Hochtemperaturbereichen bis 1300°C in den Griff zu bekommen. Doch da ist Dipl.-Ing. Gundolf Kopp sehr zuversichtlich: „Wir werden bereits beim 59. Kolloquium für Wärmebehandlung, Werkstofftechnik, Fertigungs- und Verfahrentechnik in Wiesbaden (8. bis 10. Oktober 2003) wegweisende Ergebnisse präsentieren können.“
Chris Krüger
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