Neue, erweiterte Simulationstechniken zur Optimierung von Werkstoffeigenschaften
Das Verhalten von Blechteilen wird heute in der Automobilindustrie von der Produktion bis zum Crash vorausberechnet. Was bislang meist außen vor blieb, ist die Verfestigung umgeformter Teile. Jetzt stellt der Institutsleiter des Fraunhofer-Instituts für Werkstoffmechanik IWM, Professor Peter Gumbsch, in der aktuellen Ausgabe des Magazins „Science“ (Science 301, S. 1857 (2003)) neue Ansätze vor, die es erlauben sollen, auch diese punktuell sehr unterschiedliche Verfestigung des Werkstoffs in Simulationen einzubeziehen. Das Ziel: Die Veränderung der Werkstoffeigenschaften und damit der Bauteile bei jedem Fertigungsschritt lückenlos zu beschreiben.
An einer Heftklammer kann es jeder ausprobieren: Einmal gebogen lässt sie sich nicht mehr gerade ausrichten, ein kleiner Knick bleibt immer da, wo die Biegung am stärksten war. Gebogen und geformt wird Metall in der industriellen Verwertung häufig, ein gewichtiger Zweig ist die Automobilindustrie. Das Materialverhalten – das Rückfedern von Blechen, die aus der Presse kommen, die Reaktion auf einen Crash bei hoher Geschwindigkeit – ist für die Qualität des Gesamtproduktes Auto von erheblicher Bedeutung.
Das Fraunhofer-Institut für Werkstoffmechanik IWM mit Sitz in Freiburg und Halle arbeitet der Fahrzeug-, aber auch der Kraftwerks-, der Maschinenbau- und Werkzeug-Industrie deshalb schon seit Jahren zu. Aus der Materialexpertise und aus experimentellen Ergebnissen entwickeln die IWM-Mitarbeiter Modelle, mit denen im Computer das Bauteilverhalten verlässlich simuliert, das heißt rechnerisch vorhergesagt werden kann. Das Besondere: Die Folgen von Materialveränderungen im Fertigungsprozess werden in die Berechnungen mit einbezogen. Aufgrund der Simulationsergebnisse können Umformprozesse so gestaltet werden, dass die Lebensdauer der Bauteile, die oft von hohen Temperaturschwankungen oder Druck belastet werden, erheblich steigt.
„Was bislang noch nicht möglich ist, ist die genaue Verformungsgeschichte von Metallen einzubeziehen. Denn wie oft und wie stark ein Blech an einer bestimmten Stelle während der Verarbeitung zum Bauteil gebogen wurde, wirkt sich auf seine Eigenschaften aus“, erläutert Institutsleiter Peter Gumbsch die Bedeutung und den Forschungsbedarf zu einem typischen Materialverhalten von Metallen, das die Heftklammer jedem Laien verdeutlicht. Bis heute lasse sich deshalb nicht sagen, wie genau sich ein Bauteil bei der Weiterverarbeitung oder einem Zusammenstoß bei hoher Geschwindigkeit an den Stellen verhält, an denen es verfestigt ist.
„Wer das wissen will, muss an die physikalische Basis der Werkstoffe ran“, meint Gumbsch. Auf seine Initiative ist im vergangenen Jahr im Fraunhofer IWM eine Arbeitsgruppe „Physikalische Modellierung“ entstanden, die sich seitdem den werkstoffphysikalischen Elementarprozessen in verschiedenen Materialien bis hin zu deren atomistischer Basis widmet. „Bereits jetzt fließen die ersten Beschreibungen auf atomarer Basis in unsere Simulationsmodelle ein“, sagt Gumbsch. „Im Fall der Verfestigung sind wir allerdings noch nicht ganz so weit“.
Hier zeigen nun neue Arbeiten zur Mikrostruktur von Werkstoffen der Forschungsgruppe um Ladislas Kubin am französischen Forschungszentrum ONERA in Paris (Science 301, S.1879 (2003)) Wege auf, wie dies auf der Basis von Versetzungssimulationen gelingen könnte. Versetzungen sind kleine Fehler im Innern eines jeden Werkstoffs. Bewegen sie sich, verursacht dies Verformung, aber auch Verfestigung. Ließe sich die Entwicklung der Versetzungen während der Verformung nachvollziehen, könnten neue Ansätze gewonnen werden, um die Verformungsgeschichte zu berücksichtigen und damit im Bauteil Eigenschaftsunterschiede an verschiedenen Stellen zu berechnen, erläutert Peter Gumbsch und unterstreicht das Anwendungspotential, beispielsweise für die Fahrzeugindustrie.
Die Automobilindustrie investiert viel, um das Bauteilverhalten zu untersuchen und verlässlich vorherzusagen. Die klassischen Methoden versprechen begrenzten Erfolg. Erweiterte Simulationstechniken, die örtliche Unterschiede im Bauteil berücksichtigen, eröffnen dagegen neue Optimierungsmöglichkeiten. Dies gilt nicht nur für die klassischen Werkstoffe wie Stähle, sondern in noch stärkerem Maße für die so genannten neuen Leichtbauwerkstoffe, beispielsweise Magnesium.
Nützen würden solche neuen, erweiterten Simulationstechniken, so der Institutsleiter des Fraunhofer IWM, nicht nur in punkto Sicherheit. Die gesamte Prozesskette von der Herstellung des Vormaterials über die Verarbeitung bis hin zum Crash ließe sich mit Simulation optimieren. „Das Ziel“, so Gumbsch, „ist, die Entwicklung der Werkstoffeigenschaften, die sich bei jedem Fertigungsschritt ändern, lückenlos zu beschreiben.“ Der Weg dorthin sei nun begonnen, aber weit. Mit einigen Jahren Forschungsarbeit sei schon zu rechnen, bis die Industrie von den neuen Erkenntnissen auf breiter Front profitieren kann.
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