Mechanismus der Ultraviolett-Wahrnehmung bei Fledermäusen entdeckt
In den Tropen Mittel- und Südamerikas lebende und sich von Blütennektar ernährende Fledermäuse können ultraviolettes Licht sehen (Nature, 9. Oktober 2003). Das haben York Winter, Nachwuchsgruppenleiter an der Max-Planck-Forschungsstelle für Ornithologie in Seewiesen gemeinsam mit Kollegen von der Universität Erlangen und der Universität von Guatemala entdeckt. Da den Fledermäusen generell die Zapfenpigmente in ihren Augen fehlen, fangen sie das ultraviolette Licht über das Rhodopsin ihrer Stäbchenpigmente ein. Ein solcher Mechanismus war für Säugetiere bislang unbekannt. Die Forscher stießen darauf bei Verhaltensexperimenten in einem künstlichen Lebensraum, in dem die Fledermäuse mit computergesteuerten leuchtenden Blüten konfrontiert wurden. Blütenbesuchende Fledermäuse brauchen das UV-Sehen offenbar, weil die von ihnen im Regenwald besuchten Blüten im kalten Nachtlicht besonders stark das UV-Licht reflektieren. Ob die ungewöhnlich hohe UV-Empfindlichkeit auf einen für Säugetiere bislang unbekannten Photomechanismus zurückzuführen ist, bleibt noch eine offene Frage.
Höher entwickelte Säugetiere haben im Verlauf der Evolution die Fähigkeit zum Sehen ultravioletter (UV-) Strahlung verloren, ganz im Gegensatz zu Vögeln und niederen Wirbeltieren. Von den ursprünglich vier Zapfenpigmenten der Wirbeltiere besitzen Säugetiere nur noch zwei in ihren Augen. Folglich sind die meisten Säugetiere Dichromaten, erreichen also mit ihren Augen nur eine geringere Farbauflösung. Lediglich den Primaten hat eine Genverdopplung ein drittes Zapfenpigment und damit das hochauflösende, trichromatische Farbensehen zurückgegeben. Bei den nachtaktiven Fledermäusen ist die Reduktion des Sehapparates sogar noch ein Stück weiter gegangen: Sie haben die funktionellen Zapfen ganz verloren und verfügen nur noch über die Stäbchen als Rezeptoren. Stäbchen sind auch in der menschlichen Retina vorhanden und dort für das Hell-Dunkel-Sehen bei geringen Lichtintensitäten verantwortlich. Hingegen ist die Fähigkeit zum UV-Sehen bei den meisten Wirbeltierarten an ein spezialisiertes Zapfenpigment gebunden.
Das kalte Nachtlicht ist nur schwach. Doch sein Spektrum ist gegenüber dem Tageslicht zu den kurzen UV-Wellenlängen hin verschoben. Die von den Fledermäusen besuchten Blüten der südamerikanischen Regenwälder machen sich das zu Nutze, indem ihre Blätter ultraviolette Strahlung vermehrt reflektieren. Was macht nun ein Säugetier, wenn der Bedarf für die UV-Wahrnehmung wieder neu entsteht, aber die anatomische Struktur dafür nicht mehr vorhanden ist? Die blütenbesuchenden Fledermäuse nutzen ihren Stäbchenrezeptor auch zur UV-Wahrnehmung und fangen die UV-Photonen mit dem so genannten beta-Band, einem Nebenbereich der Lichtabsorption ihres Photorezeptors, ein. Bei diesen Säugetieren ist also nur ein einziger Rezeptor für den Strahlungsempfang über den gesamten Wellenlängenbereich von etwa 310 bis 600 Nanometer zuständig. Dabei erreichen d die Fledermäuse im beta-Bandbereich noch eine Lichtausbeute von fast 50 Prozent des Hauptmaximums (alpha-Band) ihres Photorezeptors. Dies ist fünfmal so hoch wie man nach in vitro Messungen vom beta-Band des Rhodopsin erwarten würde. Ob im Fledermausauge noch ein für Säugetiere bislang unbekannter Mechanismus des Strahlungsempfangs wirkt, bleibt vorerst noch offen.
Dass Fledermäuse UV-Licht wahrnehmen können, stellten die Forscher in psychophysischen Experimenten, also allein über Verhaltensexperimente fest. Dazu lernten die Tiere über viele Monate in einem computergesteuerten künstlichen Lebensraum, dass nur leuchtende Kunstblüten auch Futter geben. Die Fähigkeit der Fledermäuse, auf das Leuchten der Blüten zu reagieren, nutzten die Wissenschaftler dann, indem sie die Wellenlänge des Lichtes und seine Intensität variierten. Dies erbrachte den Nachweis, dass die Tiere noch bis weit in den UV-Bereich hinein das Licht der Blüten wahrnehmen können. Trotzdem sind Fledermäuse farbenblind. Dies zeigte die erfolglose Dressur auf Farbunterscheidung.
Sehrezeptoren sind in hellem Licht weniger empfindlich. Dies nutzten die Wissenschaftler, um die Ursache des Ultraviolettsehens bei den Fledermäusen zu ergründen. Dazu tauchten sie das künstliche Habitat der Fledermäuse in einfarbiges, monochromatisches Hintergrundlicht. Gleichzeitig wurde das Licht der Blüten immer dunkler geschaltet und auf diese Weise gemessen, bei welcher Leuchtstärke die Fledermäuse noch sehen können. Dieser Versuch wurde mit verschiedenen Hintergrundfarben, so genannten Adaptationslichtern, wiederholt. Hierbei zeigte sich, dass unabhängig von der Hintergrundfarbe die Sehempfindlichkeit der Tiere über den ganzen Wellenlängenbereich gleichmäßig nachließ. Das aber ist nur der Fall, wenn nur ein Photorezeptor im Auge wirkt.
Dass die Fledermäuse UV-tüchtig sind, liegt auch daran, dass ihnen der UV-Filter in ihrer Augenlinse fehlt. Normalerweise verschont die stark UV-absorbierende Linse das Säugetierauge vor UV-Strahlung. Denn UV-Licht schädigt nicht nur die Retinazellen, sondern ist auch aus optischen Gründen ungünstig: Der Brechwinkel des Lichtes ist abhängig von der Wellenlänge. Ein Lichtpunkt wird an der Linse, dem dioptrischen Apparat des Auges, gebrochen. Da jede Wellenlänge in einem etwas anderen Winkel abgelenkt wird, ist Unschärfe, chromatische Aberration, die Folge. Doch je kleiner ein Auge ist, desto weniger störend ist dieser Effekt. Deshalb erwartet man UV-Sehen auch am ehesten bei kleinen Säugetieren wie den Fledermäusen mit ihren nur zwei Millimeter großen Augen.
Die Suche nach UV-Tüchtigkeit bei Säugetieren hatte bislang ausschließlich spezialisierte Zapfen im Visier. Der neue Befund, der aus der Untersuchung des Orientierungsverhaltens der Tiere entstand, weist darauf hin, dass Säugetiere, die ohne Farbensehen auskommen, auch einen grundsätzlich anderen Mechanismus rekrutieren können. „Wir werden jetzt molekular untersuchen, ob dieser relativ einfache Mechanismus auch bei anderen Fledermausarten bzw. vielleicht sogar bei anderen Säugetieren auftritt,“ sagt York Winter, der Leiter der Nachwuchsgruppe „Ökologische Neurobiologie“, die sowohl an der Fakultät für Biologie der Ludwig Maximilians-Universität München und der Max-Planck-Forschungsstelle für Ornithologie in Seewiesen tätig ist.
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Priv.-Doz. Dr. York Winter
Max-Planck-Forschungsstelle für Ornithologie, Seewiesen
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