Eiweiß-Origami reguliert Krebsenzym
Wissenschaftler am Leibniz-Institut für Altersforschung – Fritz Lipmann-Institut e.V. (FLI) in Jena haben einen Zellmechanismus aufgeklärt, der ein Proteinmolekül wie ein Papier-Origami entfaltet und damit aktiviert.
Das geöffnete Molekül spielt eine wichtige Rolle bei der Regulation eines Krebsenzyms. Die Wissenschaftler um Helen Morrison haben somit einen weiteren Baustein entdeckt, der zum Verständnis von Krebs beiträgt. Die Ergebnisse wurden bereits in der Fachzeitschrift PNAS veröffentlicht.
Das entscheidende Gen heißt Ras. Es wurde 1981 als erstes Onkogen von dem amerikanischen Forscher Robert Allan Weinberg beschrieben. Ihm gelang damit der Nachweis, dass Mutationen im genetischen Code dieses Gens zu starkem Zellwachstum führen und damit zur Krebsentstehung beitragen. Das Ras-Enzym befindet sich an der Zellmembran. Es ist ein zentrales Glied in der Regulation verschiedener Wachstums- und Differenzierungsprozesse. „Bei 20-30 % aller menschlichen Tumoren ist zu viel Ras in der Zelle aktiv“, erklärt Katja Geißler, Erstautorin der Studie und Postdoktorantin am FLI. Dies kann zum einen darin begründet sein, dass durch eine Genveränderung zu viel Ras produziert wird, oder aber dass es Fehler in den Regulationsmechanismen der Ras-Aktivität gibt. Einen dieser Mechanismen haben die Forscher in Jena untersucht.
Krebsgen wird streng reguliert
Da Ras in der Zelle großen Schaden anrichten kann, wenn es in zu großer Menge oder in zu starker Aktivität vorhanden ist, wird das Enzym über verschiedene Mechanismen streng reguliert. Ein wichtiger Baustein dabei ist das Protein SOS (Son of sevenless). SOS ist ein großes, sehr komplexes Molekül, das zunächst eng zusammengefaltet in der Zelle vorliegt. Arbeiten kann es so nicht. Da Ras aber auf SOS angewiesen ist, um aktiv werden zu können, liegt in SOS ein Schlüssel zur Regulation. Erst wenn SOS entfaltet wird, kann es seinen Dienst tun.
Regulator wird aufgefaltet wie ein Papier-Origami
Wie aber kann SOS entfaltet werden? Dafür ist ein weiteres Protein notwendig, Ezrin. Dieses bindet direkt an SOS und bewirkt damit zwei Dinge: Zum einen öffnet es die komplexe Struktur von SOS, zum anderen stabilisiert es die Bindung zwischen SOS, Ras und der Zellmembran. Erst jetzt kann Ras aktiv arbeiten. „Ezrin ist gewissermaßen der Zündschlüssel der Maschinerie“, sagt Lars B. Riecken, der im Fritz-Lipmann-Institut seine Doktorarbeit anfertigt und an der Studie beteiligt war. „Funktioniert die Kontrolle von SOS z.B. durch Ezrin aber nicht perfekt, so kann Ras überaktiv werden. In der Folge wachsen Krebszellen.“
Maus, Ratte oder Mensch – der Mechanismus bleibt
Die Forscher in der Gruppe von Helen Morrison am FLI haben für ihre Untersuchungen mit verschiedenen Modellen gearbeitet. Zum einen natürlich mit den in der Grundlagenforschung üblichen Mäuse- und Rattenzellen. Zum anderen aber auch mit hoch gereinigten menschlichen Proteinen im Reagenzglas. Der Mechanismus der Aktivierung von Ras über Ezrin und SOS funktioniert immer gleich. Wenn man jetzt noch in Betracht zieht, dass im Januar 2012 in den USA ein Inhibitor für Ezrin gefunden wurde, so öffnet sich vielleicht ein weiteres Türchen auf dem Weg zu einer effektiven Krebstherapie. Der Inhibitor beeinträchtigt die Funktion von Ezrin. Er ist inzwischen für Laborzwecke käuflich zu erwerben.
Tumortherapie ist vielfältig
„Bis zu einem neuen Krebsmedikament ist es aber noch ein langer Weg“, sagen Katja Geißler und Lars B. Riecken. „In der Grundlagenforschung erarbeiten wir Puzzlestücke, die dann von der pharmazeutischen Forschung zusammengesetzt werden, um neue Wirkstoffe zu testen.“
Dies gilt umso mehr wenn man bedenkt, wie viele verschiedene Ansatzpunkte es inzwischen in der Krebstherapie gibt. Neben Strahlentherapie, Entfernen des Tumors durch Operation, Immuntherapie und Gentherapie ist die medikamentöse Chemotherapie die wichtigste Säule bei der Behandlung von Krebs. Der in Jena aufgeklärte Mechanismus bietet in Zukunft vielleicht die Möglichkeit, einen neuen Signaltransduktionshemmer zu entwickeln. Diese Medikamentengruppe wirkt direkt in der Tumorzelle und gilt damit als besonders verträglich für den Patienten.
Originalpublikation:
KATJA J. GEIßLER, M. JULIANE JUNG, LARS BJÖRN REICKEN, TOBIAS SPERKA, YAN CUI, STEPHAN SCHACKE, ULRIKE MERKEL, ROBBY MARKWART, IGNACIO RUBIO, MANUEL E. THAN, CONSTANZE BREITHAUPT, SEBASTIAN PEUKER, REINHARD SEIFERT, ULRICH BENJAMIN KAUPP, PETER HERRLICH, HELEN MORRISON: Regulation of Son of sevenless by the membrane-actin linker protein ezrin. Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America, 110(51), 20587-20592. doi/10.1073/pnas.1222078110, www.pnas.org
Kontakt:
Astrid van der Wall
Leibniz-Institut für Altersforschung – Fritz-Lipmann-Institut e.V. (FLI)
Beutenbergstr. 11
07745 Jena – Germany
Tel.: +49 3641 65 63 14
Fax: +49 3641 65 63 14
Mail: avanderwall@fli-leibniz.de
Leibniz-Institut für Altersforschung – Fritz-Lipmann-Institut e.V. (FLI)
Das Leibniz-Institut für Altersforschung – Fritz-Lipmann-Institut e.V. (FLI) widmet sich seit 2005 als erste deutsche Einrichtung auf breiter Basis der biomedizinischen Alternsforschung. Unter der wissenschaftlichen Leitung von Prof. Dr. K. Lenhard Rudolph konzentriert sich die Forschung auf drei Kernbereiche in 15 Forschungsgruppen: Genetik des Alterns, Molekulare Schäden und stochastische Prozesse des Alterns sowie Altern von Stammzellen. Ziel ist es, die ursächlichen Mechanismen des menschlichen Alterns zu entschlüsseln. Basierend auf diesem Wissen werden molekulare Therapien zur Verbesserung der Gesundheit im Alter (Gesundheitsspanne) entwickelt.
Aktuell arbeiten 330 Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen aus über 30 Nationen am FLI, davon fertigen etwa 90 Nachwuchswissenschaftler ihre Promotion am Institut an.
www.fli-leibniz.de
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Die Leibniz-Gemeinschaft verbindet 86 selbständige Forschungseinrichtungen, deren Ausrichtung von den Natur-, Ingenieur- und Umweltwissenschaften über die Wirtschafts-, Raum- und Sozialwissenschaften bis zu den Geisteswissenschaften reicht. Leibniz-Institute bearbeiten gesellschaftlich, ökonomisch und ökologisch relevante Fragestellungen. Sie betreiben erkenntnis- und anwendungsorientierte Grundlagenforschung, unterhalten wissenschaftliche Infrastrukturen und bieten forschungsbasierte Dienstleistungen an. Die Leibniz-Gemeinschaft setzt Schwerpunkte im Wissenstransfer in Richtung Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Öffentlichkeit. Die Institute pflegen intensive Kooperationen mit Hochschulen, der Industrie und anderen Partnern im In- und Ausland und unterliegen maßstabsetzenden transparenten und unabhängigen Begutachtungsverfahren. Aufgrund ihrer gesamtstaatlichen Bedeutung fördern Bund und Länder die Institute der Leibniz-Gemeinschaft gemeinsam. Die Leibniz-Institute beschäftigen rund 17.000 Personen, darunter 7.900 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Der Gesamtetat der Institute liegt bei rund 1,5 Mrd. Euro.
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