Topstandorte in Osteuropa
Die bevorstehende EU-Erweiterung nahmen pressetext.austria und das Hamburger Manager Magazin zum Anlass, gemeinsam mit der Bank Austria Creditanstalt und Roland Berger Strategy Consultants eine brandaktuelle Studie im Rahmen eines Informationsabends im Wiener Grand Hotel zu präsentieren. (Pressetext berichtete: siehe pte-Meldungen 031022009 und 031022015) Tenor der durchaus kontroversen Experten-Diskussion: Der rasante Transformationsprozess der neuen EU-Länder habe sich für alle Beteiligten in West- und Osteuropa positiv entwickelt, Österreich und Deutschland hätten von den EU-Hilfen am meisten profitiert.
Für den Chefredakteur des manager magazins, Arno Balzer, war es eine „Selbstverständlichkeit“, die Studie „Topstandorte in Osteuropa“ der WHU Koblenz in Wien erstmals der Öffentlichkeit vorzustellen. Wien sei eine Weltmetropole und Ausgangspunkt aller Betrachtungen zum Thema Zentral- und Osteuropa. Manfred Reichl von Roland Berger verwahrte sich dagegen, Tschechien oder Ungarn als „osteuropäische Länder“ zu bezeichnen. Die Leute in diesen Ländern fühlten sich als Mitteleuropäer. „Sie sprechen eine andere Sprache. Aber sie denken und handeln wie wir, und ihr Ausbildungsniveau ist dem unseren vergleichbar.“
Sehr positive Erfahrungen schilderte Heinrich Franke, Finanzchef der Audi Hungaria, einer 100 % Tochter der Ingolstädter Audi AG. Das Unternehmen in Györ unweit der österreichischen Grenze beschäftigt mittlerweile über 4.800 Mitarbeiter und betrachte sich als durch und durch „ungarisch“. Nur 20 % des Managements seien Deutsche. Allerdings war für die Standortwahl seinerzeit ausschlaggebend, dass alle Leute in Györ deutsch sprechen und Deutsch als Konzernsprache durchsetzbar war. Natürlich war auch die Konzeption des Unternehmens als „Zollfreizone“ wichtig. Für Audi werde sich daher durch den EU-Beitritt Ungarns nichts wesentlich ändern.
Während die Chefökonomin der Bank Austria Creditanstalt, Marianne Kager, das unglaubliche Tempo des Tranformationsprozesses in Zentral- und Osteuropa hervorhob und mit anderen Weltregionen verglich, warnte Reichl vor allzu großen Hoffnungen, dass das Lohnniveau und damit der Wohlstand in den neuen EU-Ländern rasch an Westniveau herankommt. Reichl glaubt, dass es 40 bis 50 Jahre dauern werde. Audi-Chef Franke sagte, seine Leute hätten ausgerechnet, dass es bei „normalen Bedingungen und moderaten Lohnerhöhungen“ rund 35 Jahre dauern werde, bis die Leute in Györ dasselbe verdienten wie in Ingolstadt. Heute verdient ein Ingeneur in Ungarn ein Drittel seines Kollegen in Deutschland.
Einig war man sich in der Diskussion, dass die wesentlichen Faktoren für die Standortwahl politische Stabilität (Franke: „muss nicht demokratisch sein – siehe China“) und das Lohnniveau seien. Reichl sagte dazu: Derzeit würden vor allem Südwestpolen und Ostslowakei für investitionen geprüft, weil dort auf Jahre hinaus keine gravierenden Lohnerhöhungen zu erwarten seien. Hinzu kommen als Standortfaktoren laut Franke Rechtssicherheit, Infrastruktur und Verkehrserschließung, die Qualifikation der Mitarbeiter und soziales Umfeld.
Die Chefökonomin der Bank Austria Creditanstalt, Mag. Marianne Kager, bestätigte die Studienergebnisse der WHU Koblenz weitgehend. Im Vorfeld des EU-Beitritts hätten sich die Länder Zentral- und Osteuropas zu einem der attraktivsten Zielgebiete für ausländisches Kapital entwickelt. „Ein Rechtsrahmen mit EU-Standard, ein vergleichweise niedriges Lohnniveau, hohe Produktivitätssteigerungen, geringe Inflation und das dynamische Wachstum sind wesentlichen Faktoren der hohen Anziehungskraft der Region“, erklärte Kager.
Als Beispiel gab Kager an, dass allein in Tschechien und der Slowakei der Zufluss an ausländischen Direktinvestitionen zwischen 1996 und 2002 mit durchschnittlich 7,6 % bzw. 6 % des BIP pro Jahr über dem Vergleichswert von China lag, das von den internationalen Investoren als Hoffnungsmarkt gesehen wird. Zudem sei der Zustrom an Auslandskapital in den meisten Ländern Osteuropas in demselben Zeitraum höher gewesen als in den asiatischen und lateinamerikanischen Wachstumsmärkten. Die Herkunft des ausländischen Kapitals sei dabei in der Grundtendenz klar: „Westzentraleuropa investiert in Ostzentraleuropa.“
Die EU-Beitrittsländer hätten ihre Hausaufgaben weitgehend erledigt und sind nun für die neuen Verhältnisse in der EU gut aufgestellt. „Wir erwarten ein weiteres Wirtschaftswachstum in den Region, das deutlich über jenem der derzeitigen EU-Mitglieder liegen wird. Für das Jahr 2004 denken wir sogar an eine leichte Beschleunigung von 3,4 % des BIP auf 3,9 %.“ Maßgeblich dazu beitragen werde die Erholung in Polen, dem größten Markt der Region. Mittelfristig rechnet Kager mit einer Verdoppelung des Wohlstandsniveau in der Region innerhalb von nur 10 Jahren auf durchschnittlich 12.000 Euro (BIP pro Kopf).
Der Geschäftsführer des Österreich-Büros der internationalen Strategieberatung Roland Berger, Dr. Manfred Reichl, relativierte allzu optimistische Erwartungen. Der rasche Strukturwandel im Osten sei bewundernswert und verdiene Anerkennung, er berge aber auch eine Reihe von Risiken. Zu schnell steigende Löhne gefährden die neu erworbene Standortattraktivität, das sehe man schon an Beispielen wie IBM und Flextronics, die ihre Produktionsstätten weiter in den Osten verlagerten. Die Anpassung der Löhne von topqualifizierten Leuten an Westniveau vergrößere zudem das schon bestehende Einkommensgefälle, was zu sozialen Spannungen führen werde. In Ungarn gäbe es dafür Beispiele.
Weitere Gefahren: Die Abwanderung von hochqualifizierten Leuten in den Westen oder zu internationalen Firmen werde sich auf das bisher gute Ausbildungswesen in den CEE-Staaten auswirken. „Es ist eben ein Unterschied, ob man als Mathematik-Lehrer 300 Euro verdient oder als Mitarbeiter in einer Forschungsabteilung 900“, so Reichl. Nicht zuletzt fehlten gerade im mittleren Management ausgebildete Fachleute, warnte der Berater. Es sei eben nicht möglich, innerhalb einer halben Geration eine ausreichende Anzahl von Führungskräften auszubilden, die international wettbewerbsfähig sind.
Alle diese Faktoren haben mit Wettbewerbsfähigkeit zu tun, erläuterte Reichl und gab die Prognose: „Auf die Politik kommt ein ziemlicher Balanceakt zu.“ Er persönlich rechne mit einer Abschwächung des Wachstums. Es werde noch 40 bis 50 Jahre dauern, bis der Osten das durchschnittliche BIP-Niveau der westeuropäischen Länder erreichen werde. Mit einer Ausnahme, sagte Reichl: Slowenien.
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