Hauptursache von schwerer chronischer Verstopfung
Verluste von Nerven- und Schrittmacherzellen im „Darmhirn“ sind eine Hauptursache der schweren chronischen Verstopfung.
Das Thema ist heikel, und niemand redet gerne darüber: chronische Verstopfung. Gerade in ihren schwersten Formen sind die Beschwerden noch immer eine große Herausforderung – und oft nur mit einer Operation zu bekämpfen. Nun haben Forscher der Universität Lübeck herausgefunden: Im so genannten Darmhirn der Patienten sind bestimmte Nervenzellen verloren gegangen, die die Darmmuskeln steuern und so den reibungslosen Transport der Nahrung sichern. Für seine Arbeiten wird Dr. Thilo Wedel mit einem Graduierten-Stipendium der Nürnberger Novartis-Stiftung für therapeutische Forschung ausgezeichnet.
In unserem Bauch steckt ein Gehirn! Genauer gesagt: In der Wand des Verdauungstraktes. Dort haben sich von der Speiseröhre bis zum After rund 150 Millionen Nervenzellen versammelt – samt ihrer Verbindungskabel. Ihre Aufgabe: die gigantische Verdauungsarbeit zu steuern, unter anderem „den Nahrungsbrei durch rhythmische Bewegungen der Darmmuskeln immer weiter zu treiben“, wie Wedel betont.
Oft genug aber streikt dieser fein abgestimmte Motor: Chronische Verstopfung ist ein häufiger Grund von Arbeitsausfällen und verursacht allein in den USA Kosten von 8 Milliarden Dollar. Das Leiden belastet die Patienten erheblich: kein Stuhlgang teils über Wochen mit Völlegefühl, Blähungen und Krämpfen. Hinter den Beschwerden stecken meist langjährige falsche Ernährung, Medikamenten-Nebenwirkungen oder andere Erkrankungen. Zehn Prozent der Fälle gelten als besonders hartnäckig, und meist, sagt der Preisträger, „trifft es junge Frauen zwischen 20 und 40 Jahren.“ Schon lange vermuteten die Experten, dass bei dieser extremen Form der Verstopfung mit den Darmnerven etwas nicht stimmt.
Jetzt haben die Forscher von der Lübecker Anatomie und Chirurgie Gewissheit. Wedel und seinen Kollegen ist es gelungen, mit einer eigens entwickelten Methode „alle Nervengeflechte des normalen menschlichen Darmhirns in ihrer Architektur darzustellen und zu beurteilen.“ Mit diesem Wissen ausgestattet, untersuchten die Ärzte die Darmwände von Patienten, denen ein Teil des Organs entfernt werden musste.
Das Ergebnis des Vergleiches hat auch den Anatomen überrascht: Patienten mit schwerer Darmverstopfung „besitzen deutlich weniger Nervenzellen in der Darmwand.“ Mehr noch: Auch die meisten der so genannten Cajal-Zellen sind verschwunden. Als regelrechter Schrittmacher treiben sie den Darmmotor an und bestimmen seinen Rhythmus. Was fatal an den bekannten Neuronenschwund im Kopfhirn erinnert – etwa bei Alzheimer oder Parkinson -, geht vermutlich auf einen Fehler in der Embryonalentwicklung zurück. In seltenen Fällen gibt es auch andere Ursachen: etwa eine Bleivergiftung oder eine „Autoimmunerkrankung“, bei der das Immunsystem die Nervenzellen im Darm angreift und zerstört.
Erstmals „haben wir eine handfeste organische Ursache für diesen Krankheitstyp gefunden“, sagt der Lübecker Mediziner, der mit Kollegen der Universitäten Mannheim und Brüssel zusammen arbeitet. Das neue Verfahren könnte auch die Therapie beflügeln. Zum einen könnten die Ärzte bei einer Darmspiegelung Gewebeproben entnehmen und analysieren. So ließe sich vor einer Operation wesentlicher besser beurteilen, ob im zu entfernenden Darmabschnitt tatsächlich die wichtigen Nerven- und Schrittmacherzellen verloren gegangen sind. Zum zweiten sind seit kurzem Medikamente auf dem Markt, deren Wirkung auf die isolierten Darmwand nun direkt untersucht werden kann – statt im Tierversuch. Das, so Wedel, „nutzt der Weiterentwicklung dieser Substanzen.“
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