Astrochemie: Eine Umlaufbahn für ultrakalte Moleküle

Um die Moleküle im Speicherring CSR auf wenige Grad Celsius über dem absoluten Nullpunkt zu kühlen, übertragen in einem großen äußeren Vakuumbehälter Kupferbänder die tiefe Temperatur umlaufender Kühlleitungen auf eine innere Vakuumkammer, in denen sich die Ionen auf ihren Umlaufbahnen bewegen. © MPI für Kernphysik

Die Chemie des Weltalls lässt sich jetzt leichter auch auf der Erde untersuchen. Forscher des Max-Planck-Instituts für Kernphysik in Heidelberg haben in einem weltweit einzigartigen Speicherring für ultrakalte Moleküle, in dem sie die Bedingungen des Weltalls nachahmen, nun erste Experimente vorgenommen.

Nachdem die Physiker den Speicherring über mehrere Jahre entwickelt und gebaut hatten, haben sie darin nun zum ersten Mal negativ geladene Moleküle, und zwar Hydroxidionen (OH–), bei wenigen Grad über dem absoluten Nullpunkt und bei sehr niedrigem Druck auf der Umlaufbahn gehalten und mit den Teilchen experimentiert. Mit dem CSR (Cryogenic Storage Ring) ist es nun möglich, die Astrochemie in interstellaren Wolken im Labor zu erforschen und grundlegende Einblicke in das Innenleben von Molekülen zu gewinnen.

Die Kälte des Weltalls bietet nicht gerade optimale Voraussetzungen für chemische Reaktionen, die mit etwas Wärme meistens besser oder überhaupt erst laufen. Trotzdem wurden im Weltall bereits mehr als 180 Moleküle entdeckt. Möglicherweise sind dort sogar elementare Bausteine des Lebens entstanden, die dann mit Kometen auf die Erde gelangt sein könnten.

Nicht nur Astrophysiker interessieren sich daher dafür, wie chemische Prozesse in interstellaren Wolken ablaufen. Klar ist, sie folgen ganz anderen Pfaden als die Chemie auf der Erde. Die Astrochemie wollen die Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Kernphysik daher nun im Labor mit dem elektrostatischen Speicherring CSR untersuchen, den sie mit Hilfe von Forschern des Weizmann-Instituts im israelischen Rehovot realisiert haben.

Im Labor Bedingungen wie im Weltall nachzuahmen, erfordert jedoch viel experimentelles Geschick und auch einige Geduld: Fast drei Wochen dauerte es alleine, bis der Speicherring auf etwa minus 263 Grad Celsius, also wenige Grad über dem absoluten Nullpunkt, abgekühlt war. Dabei sank der Druck ersten Abschätzungen zufolge auf unter 10-13 Millibar, das ist weniger als der 10 Millionste Bruchteil eines Milliardstels des normalen Luftdrucks, der 1000 Millibar beträgt.

Solch ein niedriger Druck ist schwierig exakt zu messen. „Die rein elektrostatische Ionenoptik, extrem niedriger Druck und sehr tiefe Temperaturen erlauben es, darin auch sehr große Molekülionen in niedrigsten Quantenzuständen zu speichern“, bringt Robert von Hahn, der die Entwicklung des CSR geleitet hat, dessen wichtigste Merkmale auf den Punkt.

Bei interstellaren Temperaturen zehn Minuten auf der Umlaufbahn

Bald nachdem die Forscher diese exotischen Bedingungen im CSR geschaffen hatten, gelang es ihnen, positiv geladene Ionen des Edelgases Argon im Ring kreisen zu lassen. Diese Tests gaben grünes Licht für das erste Experiment: „Wir haben in unserer Ionenquelle Hydroxidionen präpariert, in den CSR eingeschossen und dort für mehr als zehn Minuten auf der Umlaufbahn gehalten – das ist an sich schon ein Erfolg“, erläutert Andreas Wolf, Experimentator und an der Entwicklung des CSR beteiligt. „Aber wir wollen natürlich wissen, ob sie auch wirklich auf Temperaturen wie im interstellaren Raum abgekühlt sind.“

Dazu kommt ein durchstimmbarer Laser zum Einsatz. Sein Strahl trifft die gespeicherten Hydroxid-Ionen (OH-), so dass diese ein Elektron verlieren. Es entstehen OH-Radikale, die – da ungeladen – aus der Bahn fliegen und auf einem Detektor landen. Bei welcher Farbe des Laserlichts dies passiert, zeigt an, in welchem Energieniveau sich das getroffene OH–-Ion befand, das heißt, wie viel innere Energie es besaß, bevor es die Energie des Laserlichts aufnahm. Eine erste Auswertung der Daten ergab, dass nicht nur die interne Schwingung der OH–-Ionen, sondern auch ihre Rotation soweit wie möglich zum Erliegen gekommen war – Anzeichen dafür, dass die Moleküle während der Speicherzeit im CSR also tatsächlich interstellare Temperaturen annehmen.

„Es sieht also ganz danach aus, als ob unsere neue ‚Maschine‘ alle Erwartungen erfüllt“, sagt Klaus Blaum, Direktor und Leiter der Abteilung Gespeicherte und gekühlte Ionen am Max-Planck-Institut für Kernphysik. „Der CSR wird seine Stärken bei unseren geplanten Experimenten zur Chemie des Weltraums also voll ausspielen können“, fügt Holger Kreckel, Leiter der Gruppe ASTROLAB am Heidelberger Institut hinzu.

Wozu ein ultrakalter Speicherring?

In interstellaren Wolken sind die Teilchendichten extrem gering. Die Temperaturen sinken sehr nahe an den absoluten Nullpunkt heran, bis auf 10 Kelvin, das sind minus 263 Grad Celsius. Deshalb geht die interstellare Chemie völlig andere Wege als auf der Erde. Um zu verstehen, wie interstellare Moleküle entstehen und überleben können, sind Experimente unter vergleichbaren Bedingungen erforderlich.

Als Schlüssel zur molekularen Vielfalt im All haben Forscher Prozesse zwischen geladenen Molekülen, den Molekülionen, und neutralen Atomen und Molekülen ausgemacht. Freie Molekülionen sind extrem reaktiv, weshalb sie nur im extremen Vakuum längere Zeit bestehen können.

Das Innenleben der Moleküle wird durch die Quantendynamik ihrer Atomkerne und Elektronen bestimmt. Wechselwirkungen mit anderen Molekülen, Licht oder Wärmestrahlung können die Atome innerhalb der Moleküle anregen und chemische Reaktionen auslösen oder die Moleküle zum Leuchten bringen. Empfindliche Beobachtungen molekularer Prozesse, wie sie im CSR möglich sind, erlauben somit einen Blick in die submikroskopische Vielteilchen-Quantendynamik innerhalb der Moleküle, als Grundlage der Chemie.

Der ultrakalte Speicherring CSR

Ein neues, einzigartiges Werkzeug für solche Experimente ist der kryogene Speicherring CSR am MPIK. In extrem hohem Vakuum, erzeugt durch tiefste Temperaturen, werden Ionenstrahlen gespeichert. Auch für die Speicherung schwerer Moleküle, sogar von Clustern aus mehreren Molekülen, ist der CSR geeignet. Auf ihrem 35,4 Meter langen Rundkurs durch den Speicherring durchqueren sie vier gerade Wechselwirkungsstrecken. Hier stoßen sie auf andere atomare Teilchen, oder werden mit Laserlicht angeregt. Auf den Geraden liefern leistungsfähige Nachweisgeräte auch Daten zu einzelnen molekularen Reaktionsprozessen.

Für Experimente mit sehr schweren Molekülen oder Clustern kommt nur eine rein elektrostatische Ionenoptik in Frage; geeignete magnetische Ablenksysteme müssten riesige Ausmaße annehmen. Die ablenkenden und fokussierenden elektrostatischen Einheiten sitzen im Gegensatz zu einem magnetischen System innerhalb der Vakuumkammer. Insgesamt kommen 16 Quadrupoleinheiten zur Strahlfokussierung und 16 Ablenkeinheiten zum Einsatz. Ein viel höheres Vakuum als in anderen Ionenspeicherringen ist erforderlich: Im CSR muss die Dichte 1016-mal kleiner als in der Atmosphäre sein, entsprechend einem Druck von unter 10−13 mbar.

Die Vakuumkammer, die den Ionenstrahl im CSR umgibt, hat eine Temperatur von etwa minus 263 Grad Celsius. An 28 im Ring verteilten Stellen ist die Temperatur noch tiefer (nahe minus 271 Grad Celsius), um auch die flüchtigsten Bestandteile der Luft an einer kalten Oberfläche auszufrieren. Eine Kältemaschine verteilt flüssiges Helium (anfangs im superflüssigen Zustand) in einem Rohrsystem, das sich vielfach um den Ring windet. Nach dem Zwiebelschalen-Prinzip schirmen innere Wände die irdische Wärmestrahlung auf minus 230 Grad Celsius beziehungsweise minus 180 Grad Celsius ab. All dies befindet sich in einem äußeren Vakuumsystem – dem Isoliervakuum, das die Wärmeleitung nach außen unterbindet.

Das mechanische Design ist durch die Tieftemperatur-Anforderung bestimmt. Fast jedes Material schrumpft bei Kälte; ein ein Meter langes Edelstahlrohr etwa um drei Millimeter, wenn es von 20 Grad Celsius auf 263 Grad Celsius abgekühlt wird. Flexible Metallbälge entkoppeln die Bauteile, und alle Komponenten der Ionenoptik sind separat auf stabilen Betonsockeln verankert.

Ansprechpartner

Prof. Dr. Klaus Blaum
Max-Planck-Institut für Kernphysik, Heidelberg
Telefon: +49 6221 516-850

Fax: +49 6221 516-852

E-Mail: klaus.blaum@mpi-hd.mpg.de

 
Dr. Robert von Hahn
Max-Planck-Institut für Kernphysik, Heidelberg
Telefon: +49 6221 516-396

E-Mail: robert.von.hahn@mpi-hd.mpg.de

Prof. Dr. Andreas Wolf
Max-Planck-Institut für Kernphysik, Heidelberg
Telefon: +49 6221 516-503

E-Mail: andreas.wolf@mpi-hd.mpg.de

 
Dr. Holger Kreckel
Max-Planck-Institut für Kernphysik, Heidelberg
Telefon: +49 6221 516-517

E-Mail: holger.kreckel@mpi-hd.mpg.de

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