Siemens macht großes Theater
Ein 30 Meter langer Blitz zuckt durch den Raum und löst sich in tausend Bilder auf, Akrobaten springen aus atemberaubender Höhe in glitzerndes Wasser, aus dem bunte Fontänen in die Höhe schießen, Bühnen und Ränge verwandeln sich wie von Geisterhand:
Die Han Show ist ein zweistündiger Rausch aus Farben, Bewegung und Musik. Das Spektakel, das am 20. Dezember 2014 in der zentralchinesischen 8,3-Millionenstadt Wuhan Premiere hatte, setzt Maßstäbe. „Bis 2014 gab es drei Top-Shows weltweit: „O“ und „Le Rêve“ in Las Vegas sowie „The House of Dancing Water“ in Macau“, sagt Franco Dragone. „Ab jetzt gibt es nur noch eine, die größte von allen: die Han-Show.“
Der italienische Theaterregisseur und Mitglied des Cirque du Soleil muss es wissen. Er hat die drei genannten Bühnenshows entworfen, die er nun in Wuhan noch übertrumpfen will. Gemeinsam mit dem 2013 verstorbenen britischen Star-Architekten Mark Fisher und Kostümdesigner Tim Yip hat er in vierjähriger Vorbereitung ein Gesamtkunstwerk aus Show und Raum geschaffen.
Das Han Show Theater, von den Einheimischen bereits liebevoll die „rote Laterne“ genannt, ist neben dem fast 1.200 Jahre alten Turm des Gelben Kranichs das neue Wahrzeichen der Stadt. In rotem Farbenspiel illuminiert spiegelt sich das einer Papierlaterne nachempfundene Gebäude im Ost-See, dem weltweit größten Binnengewässer mitten in einer Stadt.
Theater hat in Wuhan Tradition: Am Zusammenfluss des Jangtsekiang und des Han-Flusses liegt die Wiege der Han-Oper, einer wichtigen Vorläuferin der Peking-Oper.
Heimliche Stars: drei bewegliche Bildschirme
Vieles in der Show dreht sich um das Thema Wasser, das Element, das in Wuhan allgegenwärtig ist. Heimliche Stars neben dem bühnenfüllenden Pool und den 80 Artisten sind aber die drei riesigen LED-Bildschirme, die fast die ganze Bühnenbreite ausfüllen. Wenn die Performance losgeht, merken die Zuschauer schnell, dass die Monitore nicht bloß als Kulisse dienen, sondern eine aktive Rolle im Geschehen spielen. In Sekunden schwenken die jeweils zehn Meter breiten Displays hoch zur Decke, um Bilder an den Bühnenhimmel zu zaubern, oder sie legen sich als optische Verlängerung der Wasserfläche hinter den Pool. Grenzen scheint es nicht zu geben: Mal reihen sich die Bildschirme zu einem langen Band, auf dem der Blitz ins Wasser fährt, mal rotieren sie wie gigantische Blätter in einem imaginären Sturm.
Riesenhände sind hier nicht am Werk, vielmehr drei Roboterarme, die größten, die jemals für eine Bühnenshow eingesetzt wurden. Sie ähneln den bekannten Industrierobotern, die etwa in der Automobilfertigung Bleche schweißen – nur viel größer, denn schließlich wiegt jeder Monitor acht Tonnen, die in Sekunden bis zu 28 Meter weit über die Bühne bewegt werden müssen. Trotzdem sind sie fast so präzise wie ihre Kollegen aus der Fabrik. Nicht mehr als zwei Zentimeter dürfen die Bewegungsbahnen der Stahlarme von der vorberechneten Choreographie abweichen, andernfalls würden die Bildschirme kollidieren. Dazu muss die Steuerung an jedem Roboter sechs Gelenke mit zwölf Motoren und 14 Achsen koordinieren – in der Summe also 42 Achsen. „Das schaffen wir dank Siemens Motion Control“, lobt Renrong Hu, Chefingenieur der Bühnensteuerung bei der Wanda Group, die das Han Show Theater gebaut und die Show produziert hat. „Wir haben uns verschiedene Produkte angeschaut, doch nur Siemens bot eine präzise Multiachsenkontrolle mit einfacher Bedienung.“
Das Han-Theater in Zahlen: Gebäudehöhe: 59,8 Meter; Gebäudedurchmesser: 100 Meter; Sitzplätze: 2000 (beweglich); LED-Bildschirme: 3 à 75 Quadratmeter à 8 Tonnen; Wasserbühne: 1200 Quadratmeter, 8,5 Meter tief, 30°C Wassertemperatur
Bühnenpremiere für Siemens in China
Diese Aufgabe übernehmen der Motion Controller SIMOTION D435 und das Antriebssystem SINAMICS S120, die in der Industrie weit verbreitet sind, auch in der Bühnentechnik in Europa und in den USA – allerdings nicht in China.
Im Vergleich zur Han Show ist der Einsatz der Siemens-Lösungen in der Industrie eine Fingerübung, denn in der Bühnenshow sind die Roboter und ihre Aufgabe, die gigantischen Bildschirme äußerst präzise zu bewegen, erheblich größer. „Dass das theoretisch möglich ist, haben wir nie bezweifelt, aber wir hatten schon etwas Sorgen, ob es in der Praxis funktioniert“, gesteht Hu, „aber dank Siemens sind wir nun sehr erleichtert.“ Vor allem die Arbeit der Techniker des Unternehmens fand Hu beeindruckend. Zur Endmontage mussten diese auf ein 50 Meter hohes Metallgerüst klettern, „mit klammen Händen und Füßen“, wie Siemens-Ingenieur Jiaxing Xi zugibt.
So bekamen Xi und seine Kollegen ein Gefühl dafür, wie sehr das Leben der Darsteller von der Sorgfalt ihrer Arbeit abhängt. Ihre Installation steuert und treibt zum Beispiel eine Trapeznummer an, bei der 60 Freiträger und zwölf Eisenbahnwaggons an Seilen von der Decke hängend über den Zuschauern durch die Luft schweben, darauf Dutzende Artisten mit halsbrecherischen Flugübungen.
Bewegliche Bestuhlung
Im Lauf der Show geraten auch die Zuschauer in Bewegung, zunächst sitzen sie mit dem Gesicht zur Bühne. Dann teilen sich die Ränge und ordnen sich in Blöcken um den Pool, der bis dahin unter den Rängen verborgen lag. Dabei bewegen sich die Sitzreihen horizontal, vertikal und um sich selbst, ebenfalls dirigiert von Motion Controllern SIMOTION D435 und angetrieben von Hydraulikzylindern mit sechs Metern Reichweite. Auch das ist rekordverdächtig: Die bewegliche Bestuhlung ist die größte, die jemals für Innenräume gebaut wurde.
Die weitere Siemens-Technik im Theater ist weniger spektakulär, aber nicht weniger wichtig: Zahlreiche Komponenten stecken in der Niederspannungsversorgung, speicherprogrammierbare Steuerungen sorgen für Sicherheit für Artisten und Zuschauer, auch die Gebäudesteuerung stammt von Siemens, ebenso die PROFINET-Infrastruktur zur Datenübertragung.
Mit der Han Show hat Siemens in China seine Feuertaufe für die Ausrüstung von Bühnenproduktionen bestanden. Renrong Hu deutet an, dass die Zusammenarbeit zwischen Wanda und Siemens in Wuhan nicht die letzte gewesen ist. „Wir planen den Bau weiterer Weltklasse-Theater an anderen Orten in China“, verrät Hu. „Und wir freuen uns auf die weitere Zusammenarbeit mit Siemens.“ Bernd Müller
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