Industrie 4.0 im Presswerk: Intelligente Presshärtelinie nimmt Forschungsbetrieb auf
Das Presshärten findet seit einigen Jahren verstärkt Anwendung in der Automobilindustrie. Ein Blechhalbzeug wird in einem Ofen auf eine Temperatur von ca. 950 °C erwärmt und während der Formgebung in der Umformpresse abgekühlt.
Im Vergleich zu konventionellen Verfahren kann so mit einem reduzierten Materialeinsatz die gleiche bzw. sogar eine höhere Festigkeit von Strukturbauteilen erreicht werden. Die sich daraus ergebenden Leichtbaupotentiale sind nicht nur für die Automobilindustrie, sondern auch für den Landmaschinen-, Sonderfahrzeug-, Schienen-, Schiff- und Luftfahrzeugbau interessant.
Die Prozessregelung ist allerdings aufgrund der Komplexität des Verfahrens, der Vielzahl an Einflussgrößen sowie des derzeit unzureichenden Prozesswissens über die Wirkzusammenhänge noch immer eine große Herausforderung in der seriennahen Anwendung.
Alternative Erwärmung nach dem Bügeleisenprinzip
Als Demonstratorbauteil wurde der untere Teil einer PKW-B-Säule, der sogenannte B-Säulenfuß, ausgewählt. Dieses sicherheitsrelevante Bauteil bietet mit seiner komplexen Geometrie bzw. seiner großen Ziehtiefe die Möglichkeit, über die Grenzen konventioneller Presshärteverfahren hinauszugehen. Die am Fraunhofer IWU aufgebaute Prozesskette setzt sich aus vier Einzelprozessen zusammen.
Die beschnittene Platine wird über ein vollautomatisches Handlingsystem der Erwärmungsanlage zugeführt, die das Bauteil auf 950 °C erwärmt. Bereits hier nutzen die Fraunhofer-Forscher ein alternatives Konzept. Konventionell erfolgt die Erwärmung über Rollenöfen, welche die Platine vergleichsweise langsam erwärmen. Um eine möglichst hohe und zudem lokal variable Aufheizrate zu erzeugen, wurde gemeinsam mit der Firma Schwartz GmbH eine innovative Kontakterwärmungsanlage entwickelt.
»Ähnlich dem Bügeleisenprinzip übertragen gegenüberliegende Bügel- bzw. Formplatten die thermische Energie gezielt und konturnah in bestimmte Bereiche des Werkstücks«, erklärt Frank Schieck, Leiter der Hauptabteilung Blechumformung am Fraunhofer IWU. Die Erwärmungsanlage ist zweistufig ausgelegt, sodass das Blech entweder in mehreren Schritten gleichmäßig oder zonenweise unterschiedlich erwärmt werden kann. Innerhalb der Stufen ist die Temperierung des Bleches in je sechs Bereichen möglich, sodass eine Art thermisches Schachbrett realisierbar ist.
»Damit können wir bereits im Aufheizprozess hohe Festigkeiten gezielt in bestimmte Bereiche der Platine einbringen, was für nachfolgende Beschnittverfahren und das Crashverhalten von Vorteil ist«, so Schieck. Ein ebenfalls am Fraunhofer IWU entwickeltes vollautomatisches Handlingsystem ermöglicht minimale Wärmeverluste und transportiert die Platine durch die gesamte Anlage bis zum Werkzeug in der Presse.
Auch bei der Werkzeugkühlung erproben die Wissenschaftler ein am Institut entwickeltes System. Der Stempel ist in Schalenbauweise konstruiert. In die Matrize ist während des Werkzeuggusses ein Rohrgeflecht eingegossen worden, das nach der mechanischen Finish-Bearbeitung des Werkzeuges das Kühlsystem bildet. In die Oberfläche des Werkzeuggrundkörpers wurden Kanäle gefräst. Der Grundkörper wird mit einer Schale abgedeckt, wodurch sich ein geschlossenes Kühlkanalsystem bildet. Die Kühlung ist nach dem Gegenstromprinzip aufgebaut. Alle Kühlkanäle können separat angesteuert werden. Das macht das System besonders exakt steuerbar. Die Kühlleistung bleibt so konstant.
Der letzte innerhalb der Modellprozesskette umgesetzte Arbeitsschritt ist der Beschnitt des Bauteils. Konventionell werden die Bauteile nach dem Umformvorgang abgelegt und zu Laserschneidanlagen transportiert. Da die Taktzeit des Laserbeschnitts die des eigentlichen Presshärtevorgangs übersteigt, müssen die Bauteile zwischengelagert werden. »Um die Taktzeiten der Prozesskette zu verkürzen und die Energieeffizienz zu verbessern, untersuchen wir mit dem Warmbeschnitt sowie dem Hochgeschwindigkeitsscherschneiden zwei alternative Verfahren, die dem Umformprozess direkt nachgelagert sind«, erklärt Schieck.
Innerhalb der neuen Prozesskette werden relevante Daten zu den Einzelprozessen Handling, Erwärmung, Umformung und Beschnitt über Sensoren erfasst. Hierzu gehören beispielsweise Werkstück- und Werkzeugtemperaturen, Pressenkräfte und Werkstückpositionen. Diese fließen in einer am Fraunhofer IWU entwickelten Software zusammen und werden auf der Grundlage von numerisch und experimentell gestützten Sensitivitätsanalysen verarbeitet. »So können wir den Gesamtprozess informationsseitig abbilden und Aussagen über Wirkzusammenhänge treffen. Weichen Prozessparameter von den Vorgaben ab, können wir über eine steuerungstechnische Anbindung an das Gesamtsystem direkt regulierend eingreifen«, fasst Schieck zusammen. Im Ergebnis soll der Presshärteprozess optimiert und Ausschuss reduziert werden.
Druckfähiges Bildmaterial erhalten Sie im Internet unter: http://www.iwu.fraunhofer.de/de/presse_und_medien.html
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