Würzburger Forscher lassen Larven lernen

"Damit ich Dich besser fressen kann!" Der Mund einer Larve der Fruchtfliege Drosophila im Elektronenmikroskop: Man sieht die von Barteln umsäumte Mundöffnung und darüber die warzenartigen Geschmacks- und Geruchsorgane. Bild: K. Neuser und G. Krohne

Die nur drei Millimeter großen wurmförmigen Larven der Fruchtfliege Drosophila sehen recht unscheinbar aus. Trotzdem sind sie lernfähig: Mit ihrem einfachen Nervensystem schaffen sie es, Seh- und Geschmackseindrücke miteinander zu verknüpfen. Das haben Wissenschaftler vom Biozentrum der Uni Würzburg jetzt erstmals nachgewiesen.

Fressen, fressen, fressen. Das ist so ziemlich das einzige, worauf es den Larven der Insekten ankommt. Nicht umsonst hat sich der Mensch die sprichwörtliche Made im Speck oder die kleine Raupe Nimmersatt ausgedacht. Umso mehr verwundert die Nachricht, dass diese „Fressmaschinen“ durchaus Dinge lernen können.

Der Würzburger Biologe Bertram Gerber hat seine Larven gewissermaßen zum Essen ausgeführt. Im Fünf-Sterne-Restaurant wies er den Tierchen einen hellen Platz zu und tischte ihnen ein vorzügliches zuckerhaltiges Gel auf. Gleich danach brachte er die Larven in ein sehr durchschnittliches Lokal mit äußerst fadem Essen: Hier war das Gel zuckerfrei und wurde noch dazu in völliger Dunkelheit serviert.

Dieses Prozedere wiederholte Gerber einige Male. Danach überließ er den Insekten die Entscheidung, ob sie ihre Mahlzeit lieber im Hellen oder im Dunkeln einnehmen. Eindeutig bevorzugten die kleinen Fresser die beleuchtete Region. Sie hatten also gelernt, dass im Hellen das bessere Futter zu erwarten ist. Offenbar wurden die Reize „süß“ und „hell“ in ihrem Nervensystem miteinander verknüpft – ähnlich wie bei den Hundeversuchen des russischen Forschers Iwan Pawlow (1849-1936): Der ließ während der Fütterung eine Glocke ertönen. Nach einiger Zeit stellte er fest, dass allein das Gebimmel ausreichte, um den Speichelfluss der Hunde in Gang zu setzen.

Dass Insektenlarven mit ihren einfachen Augen und wenigen Nervenzellen visuelle Eindrücke lernen können, ist neu. Dabei springen die Larven aber offenbar nur auf Belohnungen an: Gerber wiederholte die Versuche statt mit Zucker mit einer hohen Salzkonzentration sowie mit dem Bitterstoff Chinin. Jetzt lernten seine Schüler nichts. Anders als bei der Belohnung mit süßem zeigte die Bestrafung mit bitterem oder versalzenem Futter keine Wirkung.

Fazit: „Die Biologie der Larven ist derart stark aufs Fressen abgestimmt, dass sie auf Belohnungen besonders empfindlich reagieren“, so Gerber: „Gib ihnen das, was sie haben wollen, dann lernen sie auch.“ Folglich sei es klug, bei Lernexperimenten die Biologie der Tiere zu berücksichtigen. „Das ist ähnlich wie bei Menschen. Wenn man sie belohnt, dann mit Dingen, an denen ihnen wirklich etwas liegt.“

Laut Gerber waren diese Versuche mit Drosophila-Larven ein erster Schritt um zu verstehen, wie das Lernen auf der Ebene einzelner Nervenzellen koordiniert wird. Diese Frage lasse sich an einem komplexen Gehirn schwerlich erforschen, wohl aber am relativ simplen System der Larven. Spannend ist auch die Frage, ob sich die Larven nach der Verpuppung und dem radikalen Umbau ihres Körpers zur erwachsenen Fruchtfliege noch an ihre Lektionen erinnern. Gerber ist da skeptisch, aber dennoch: „Das ist eine der Fragen, die wir sicher angehen werden.“

Diese Forschungen, für welche die Volkswagen-Stiftung eine großzügige Anschubfinanzierung gewährt hatte, fanden am Lehrstuhl für Genetik im Biozentrum der Uni Würzburg in Kooperation mit der Universität Fribourg (Schweiz) statt. Sie wurden Anfang Januar 2004 im Journal of Experimental Biology publiziert.

Weitere Informationen: Dr. Bertram Gerber, T (0931) 888-4483, Fax (0931) 888-4452, E-Mail: bertram.gerber@biozentrum.uni-wuerzburg.de

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Robert Emmerich idw

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