Mikroventil des HSG-IMIT als Beispiel für vielfältige Einsatzmöglichkeiten der Mikrosystemtechnik
Das Mikroventil MegaMic: Einsatzgebiete vom Weltall über Medizintechnik bis zum Autoreifen
Weltraumerprobt. Dieses Gütesiegel trägt jetzt eine der Produktentwicklungen des Instituts für Mikro- und Informationstechnik der Hahn-Schickard-Gesellschaft (HSG-IMIT) in Villingen-Schwenningen. An Bord der europäischen Weltraumsonde Rosetta, die am Dienstag in Kourou (Französisch-Guayana) auf ihre lange Reise zum Kometen 67P/Tschurjumow-Gerasimenko startete, ist auch das Mikroventil MegaMic des HSG-IMIT. Es unterstützt Instrumente in der Landeeinheit. Die Rosetta-Mission geht unter anderem der Frage nach, ob Kometen einst Leben auf die Erde gebracht haben könnten.
Es handelt sich um den denkbar härtesten Test. Das Mikroventil muss nach einer Reise von zehn Jahren und fünf Milliarden Kilometern absolut zuverlässig arbeiten. Es muss extreme Hitze, Kälte, Vakuum, Strahlungen und Staub aushalten. Beim Aufsprung auf den vier Kilometer großen Kometen wird die Landeeinheit kräftig durchgerüttelt. Danach beginnt erst die Arbeit. Bohrer entnehmen Bodenproben, ein kleiner Ofen verdampft sie. Das dabei entstehende Gas wird durch das Mikroventil MegaMic fein dosiert in einen Gaschromatographen befördert, der schließlich ermitteln soll, ob im Kometenkern organische Moleküle – die Bausteine des Lebens – stecken.
Die Reise zum Kometen ist nicht die erste Herausforderung für das Mikroventil. „MegaMic ist ein Paradebeispiel für die vielfältigen Einsatzmöglichkeiten der Mikrosystemtechnik“, betont Prof. Hermann Sandmaier, Leiter des HSG-IMIT. Für innovative Unternehmen gebe es zahlreiche Möglichkeiten, neue Geräte mit dieser Technologie auszustatten und damit aktuelle Chancen auf dem Markt zu nutzen. „Die Mikrosystemtechnik ist schon heute reif für kommerzielle und industrielle Anwendungen“, sagt Prof. Sandmaier. Beim Mikroventil zeigten sich die Vorteile der Mikrosystemtechnik besonders deutlich: kleiner, leichter, robuster, präziser, energiesparend …
Gemeinsames Projekt mit Hoerbiger-Origa
MegaMic entstand aus der intensiven und bereits langjährigen Zusammenarbeit des Instituts mit dem Unternehmen Hoerbiger-Origa GmbH. Der mittelständische Pneumatik-Hersteller aus Filderstadt – Teil der internationalen Hoerbiger-Gruppe mit 5000 Beschäftigen sowie 90 Einzelgesellschaften und Betriebsstätten in 42 Ländern – wollte in neue Dimensionen der Ventiltechnologie vorstoßen. Miniaturisierung in jeder Hinsicht bei maximaler Präzision, Leistungsfähigkeit und Haltbarkeit lautete die Aufgabenstellung. Hoerbiger erkannte ein Marktpotenzial in Bereichen, in denen herkömmliche Ventiltechnologien zu groß, zu schwer und zu ungenau sind.
Höchstleistung im Zuckerwürfel-Format
Das Ergebnis der Entwicklungsarbeit des HSG-IMIT war ein Hochleistungsgerät in der Größe eines Zuckerwürfels mit einem Gewicht von nur vier Gramm. MegaMic besteht im Inneren aus einem wenige Millimeter großen Siliziumkörper, der eine hauchdünne Membran enthält. Sie wird über Logiksignale direkt angesteuert und durch elektrostatische Spannung geschaltet. Die Membran bewegt sich dabei nur einen fünftausendstel Millimeter und gibt so die Ein- bzw. Auslässe frei. Sie kann so gut wie nie verschleißen und hält Arbeitstemperaturen von minus 40 bis plus 80 Grad Celsius aus. Zwischen einem halben und 80 Liter Gas können pro Minute hindurchgepumpt werden. Das Ventil kann bis zu einem Druck von 16 bar präzise und im Rhythmus von weniger als einer Millisekunde schalten. Der Energiebedarf ist minimal: 3 Volt, 3 Milliwatt, 1 Milliampère.
Für die Weltraummission wurde MegaMic nochmals verbessert. Das Max-Planck-Institut für Aeronomie in Katlenburg-Lindau – verantwortlich für das Teilprojekt mit dem Gaschromatographen – erhielt vom HSG-IMIT 50 Muster mit speziellen Kunststoffgehäusen. Sie müssen einen Temperaturbereich von minus 50 bis plus 200 Grad und große Erschütterungen aushalten. Außerdem dürfen Kunststoff und Kleber nicht ausdünsten. Das würde die Analysen stören. „Das Max-Planck-Institut hat die Ventile mehrere Jahre lang getestet und dabei richtig gequält. Man war sehr zufrieden. MegaMic hat alle Anforderungen erfüllt“, berichtet Dr. Stephan Messner, Projektleiter am HSG-IMIT.
Reif für industrielle Anwendungen
„Das Mikroventil erfüllt darüber hinaus die Anforderungen für anspruchsvolle Einsätze in pneumatischen Steuerungen von Maschinen, Fertigungsanlagen und Montagebändern der Industrie“, betont Peter Josef Jeuk, Leiter Marketing und Vertrieb am HSG-IMIT. Das Institut produziert erste Kleinserien für industrielle Anwendungen. Treibende Kraft ist die Nachfrage nach Pneumatik-Komponenten und -Systemen, die hinsichtlich Energieverbrauch, Funktionalität, Gewicht und Platzbedarf optimiert sind. Die konventionelle Magnetspulentechnologie kann die aktuellen Anforderungen kaum mehr erfüllen. Aufgrund dieser geringen Leistungsaufnahme eignen sich die MegaMic-Ventile besonders für den Einsatz in feldbus-gesteuerten Anlagen.
Laut Hoerbiger-Origa ist das Siliziumventil auch geeignet für den Einsatz in ausgefallenen Anwendungen vornehmlich in der Medizintech-nik, Labor- und Analysetechnik, aber auch im Automobil wie z.B. zur Messung des Reifendruckes während der Fahrt. Unter Verwendung des MegaMic entstand auch bereits ein neuartiges System zum geregelten Druckablass für Blutdruckmessgeräte. Entwicklungspartner war in diesem Fall der Messgeräte-Hersteller Speidel & Keller in Jungingen.
Ein zukunftsträchtiges Einsatzgebiet ist die Brennstoffzellentechnik. Das Freiburger Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme ISE setzt das Mikroventil MegaMic in den Minibrennstoffzellen ein, die es als alternative Energieversorger z.B. für Mobiltelefone und Laptops entwickelt. Zum Stromerzeugung muss Gas aus Vorratstanks in die Brennstoffzellen gepumpt werden. Hier können die Mikroventile des HSG-IMIT vor allem aufgrund ihrer Baugröße und Sicherheit gute Dienste leisten.
Wirtschaftsminister von Institutsarbeit begeistert
Begeistert von solchen Ergebnissen und Projekten des HSG-IMIT zeigte sich kürzlich Baden-Württembergs Wirtschaftsminister Dr. Walter Döring auf einer Tagung der wirtschaftsnahen außeruniversitären Forschungseinrichtungen des Landes in Stuttgart. „Sie sind der Saatweizen für die Umsetzung und Anwendung neuer Technologien in unserer Wirtschaft“, sagte Minister Döring über die elf Institute. Er sei immer wieder überrascht von der Innovationskraft der vom Land mit jährlich 20 Mio. Euro geförderten Forschungseinrichtungen. Die Arbeit der elf Institute mit ihren über 1500 Projekten im Jahr sei absolut überzeugend. Deshalb werde für die Technologieförderung in den Jahren 2004 bis 2006 jeweils 1 Mio. Euro zusätzlich zur Verfügung gestellt.
Kontakt
Peter Josef Jeuk, Leiter Marketing/Vertrieb, HSG-IMIT
Wilhelm-Schickard-Str. 10, 78052 Villingen-Schwenningen
Telefon + 49 (0) 77 21 / 9 43-254, Telefax -210, E-Mail peter.jeuk@hsg-imit.de
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