Bescheidenheit ist nicht gefragt. Wie sich Bewerber in Vorstellungsgesprächen präsentieren sollen

Auf dem Weg zu einem (neuen) Job ist das Vorstellungsgespräch meistdie letzte Hürde. Fachliche Qualifikationen spielen hier nur noch eineuntergeordnete Rolle, entscheidend ist das Auftreten des Bewerbers bzw.der Bewerberin vor dem potentiellen Arbeitgeber. Das Wissen um dieBedeutung des Vorstellungsgesprächs ruft bei den meisten Bewerbern Gefühlevon Unsicherheit, Anspannung und Unruhe hervor. Professionelle Ratgeberempfehlen, sich diese Gefühle nicht anmerken zu lassen, da vom Bewerberein selbstbewusstes Auftreten und eine aktive Gesprächsteilnahme erwartetwürden. In einer Studie an der Freien Universität hat die PsychologinMonika Sieverding (Gastprofessorin am Institut für Arbeits-,Organisations- und Gesundheitspsychologie) nun untersucht, inwiefern einesouveräne Selbstdarstellung im Vorstellungsgespräch tatsächlich denErfolg einer Bewerbung beeinflusst.

Zu diesem Zweck wurde im Labor eine Bewerbungssituation simuliert, in der 37 Frauen und eben so viele Männer einen schriftlichen Leistungstest, einen Vortrag zur Selbstdarstellung der beruflichen Situation sowie ein standardisiertes Bewerbungsinterview absolvierten. Beim Vortrag zur beruflichen Selbstdarstellung hatten die Testpersonen die Aufgabe, in freier Rede die eigene Qualifikation für die von ihnen angestrebte Stelle darzustellen. Dazu wurde ihnen fünf Minuten Zeit eingeräumt. Im Bewerbungsinterview wurden dann zehn typische Fragen (z.B. „Was qualifiziert sie eigentlich für diese Stelle?“, „Wozu sind Sie sich zu schade?“) per Tonband eingespielt. Bei den Interviewten handelte es sich um aktuelle oder ehemalige Studierende der FU, für die eine berufliche Bewerbung in unmittelbarer oder absehbarer Zeit anstand.

Anhand einer Videoaufzeichnung wurde zum einen die Dauer des Vortrags zur beruflichen Selbstdarstellung sekundengenau ermittelt. Zum anderen wurde die Expressivität des Gesichts bei der Beantwortung der Frage „Welche Schwächen haben Sie?“ von einer Psychologin und einer Ärztin beurteilt. Abschließend wurde jede Testperson auf einer 10-stufigen Skala danach eingeschätzt, wie erfolgreich er oder sie auf die Bewertungskommission wirkte.

Das Ergebnis der Studie: Nur jede vierte Testperson nutzte die vorgegebene Zeit voll aus. Das Spektrum reichte von 50 bis 300 Sekunden, die durchschnittliche Rededauer betrug 3 min, 16 sek. Je länger ein „Bewerber“ über sich selbst gesprochen hatte und je weniger Emotionen in seinem Gesicht abzulesen gewesen waren, umso erfolgreicher wurde er oder sie anschließend im Bewerbungsinterview beurteilt. Dabei ist zu bedenken, dass die Bewertungskommission lediglich einen Ausschnitt aus dem Bewerbungsinterview und nicht die Selbstdarstellung beurteilte, d.h. sie wusste nicht, wie lange sich die Bewerber in der vorhergehenden Aufgabenphase vorgestellt hatten.

Die Studie bestätigt also die Hypothese, wonach im Bewerbungsgespräch vorgeführte Selbstsicherheit mit entscheidend für den Erfolg einer Bewerbung ist. Ein Gradmesser für Selbstsicherheit ist offenbar die Sprechzeit des Bewerbers bzw. der Bewerberin bei der Selbstdarstellung. Unabhängig von den Inhalten beeinflusst sie das Urteil über sie oder ihn.

Signifikante Unterschiede zeigten sich übrigens in der Rededauer von Frauen und Männern. Männer redeten im Durchschnitt eine Minute länger als Frauen, nämlich 3 min, 42 sek, während Frauen nur 2 min, 50 sek, über ihre beruflichen Qualifikationen sprachen. Zurückzuführen ist dies laut Sieverding darauf, dass Frauen häufiger als Männer ihre Kompetenzen unterschätzen und das „Anpreisen“ eigener Fähigkeiten als unangenehm, zum Teil sogar als „unwürdig“ empfinden.

Diese Potentialunterschätzung und Bescheidenheit am falschen Platz trügen – neben den bekannten gesellschaftlichen Barrieren – möglicherweise dazu bei, dass Frauen seltener Karriere machten als Männer. Für eine erfolgreiche Karriere seien neben Engagement und fachlichen Qualitäten Persönlichkeitseigenschaften wie Selbstsicherheit und Durchsetzungsvermögen erforderlich. „Je mehr einer Frau solche Eigenschaften im beruflichen Selbstkonzept fehlen und je mehr sie diese Eigenschaften ablehnt, desto unwahrscheinlicher ist es, dass sie Karriere machen wird“, so Sieverding.

Die Ergebnisse der Studie stützen die Funktionalität von professionellen Bewerbungstrainings, in denen Bewerbungskandidaten lernen, sich gut zu verkaufen und sich möglichst gut durchzusetzen. Ob Personen, die im Bewerbungsgespräch selbstbewusst auftreten und den Eindruck eines „Weicheis“ vermeiden, dann tatsächlich kompetenter und erfolgreicher sind als Personen, die über weniger Selbstsicherheit verfügen, steht auf einem anderen Blatt. Erste Untersuchungen scheinen eher darauf hinzuweisen, dass ein selbstbewusstes Auftreten im Bewerbungsgespräch wenig über die tatsächlichen beruflichen Kompetenzen eines Mitarbeiters bzw. einer Mitarbeiterin aussagt.

Thorsten Lichtblau

Literatur:
Sieverding, Monika: „Alle wahren Gefühle verbergen und mit fester Stimme und wohlformulierten Sätzen glänzen!“ – Die Bedeutung von Selbstdarstellungsregeln im Bewerbungsinterview, in: Zeitschrift für Arbeits- und Organisationspsychologie, 44. Jg., Heft 3, 2000, 152-156

Weitere Informationen erteilt Ihnen gerne:
PD Dr. Monika Sieverding, Gastprofessorin am Institut für Arbeits-, Organisations- und Gesundheitspsychologie der Freien Universität Berlin, Habelschwerdter Allee 45, 14195 Berlin, Tel.: 030 / 838 55094, Fax: 030 / 838 54122, E-Mail: mosiever@zedat.fu-berlin.de

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