Lebensmittel sind sicherer geworden
Wissenschaftlicher Pressedienst Chemie 42/00 vom 11. September 2000
Lebensmittel sind sicherer geworden
Lebensmittelchemiker fordern objektive Aufklärung
Der lebensmittelchemischen Analytik bleibt kaum noch etwas verborgen. Vor 30 Jahren war ein Stück Würfelzucker im Dorfteich nur mit Mühe nachweisbar. Heute stehen Verfahren zur Verfügung, diese Mengen im Bodensee aufzuspüren. Berichte über neue Spurenstoffe vermitteln den Eindruck, die Qualität von Lebensmitteln in gesundheitlicher Hinsicht nehme stetig ab. Anlässlich des Deutschen Lebensmittelchemikertages im September in Stuttgart-Hohenheim stellt die Lebensmittelchemische Gesellschaft, größte Fachgruppe in der Gesellschaft Deutscher Chemiker (GDCh), jedoch richtig: Lebensmittel sind insgesamt sicherer geworden. Dazu haben die lebensmittelchemische Spurenanalytik, die toxikologische Risikobewertung neu nachgewiesener Stoffe und gesetzliche Maßnahmen beigetragen. Das zeigt eine Reihe erfolgreicher Beispiele.
Schon die alten Ägypter besaßen gute Kenntnisse von den Giftwirkungen zahlreicher Pflanzen, wie Papyrus-Funde belegen. Dieses überkommene Wissen fasste Paracelsus im 16. Jahrhundert in die Erkenntnis: „All Ding sind Gift und nichts ist ohne Gift; allein die Dosis macht, dass ein Ding kein Gift ist“ und stellte damit die Dosis-Wirkbeziehung her. Die gesundheitsschädliche Wirkung eines Stoffes hängt damit von seiner aufgenommenen Menge ab.
Auf Nachrichten über neu erkannte Spurenstoffe erwartet der Verbraucher eine schnelle Reaktion der Lebensmittelwirtschaft, aber auch der amtlichen Überwachung. Rechtsgrundlagen für besondere Maßnahmen, z. B. gesetzliche Höchstmengen, gibt es naturgemäß aber bei neu erkannten Lebensmittelverunreinigungen nicht. Deshalb bedarf jede neue analytische Erkenntnis eines hohen Maßes an Verantwortungsbewusstsein. In einer ersten Reaktion ist es wichtig, darüber aufzuklären, dass nach der Erkenntnis von Paracelsus und nach aller bisherigen Erfahrung die gefundenen Mengen meist so gering sind, dass keine akute Gefahr besteht.
Über das weitere Vorgehen, das in Europa schon seit langem Standard ist, wurde jüngst weltweites Einvernehmen erzielt: Zuerst muss das Risiko chronischer Auswirkungen toxikologisch abgeklärt werden (risk assessment). Stellt es sich als notwendig heraus, Maßnahmen zum vorbeugenden Gesundheitsschutz zu ergreifen, steht dem Gesetzgeber eine Reihe von Möglichkeiten zur Verfügung (risk management). Hierzu gibt es eine Fülle erfolgreicher Beispiele: Im Vorfeld des Lebensmittelrechts wurden Herstellungs- und Verwendungsverbote gesetzlich verfügt, z. B. beim Insektizid DDT oder bei polychlorierten Biphenylen. Die Belastung der Lebensmittel durch Dioxine wurde durch ein Bündel von Maßnahmen, wie das Benzin-Bleigesetz und technische Anforderungen an Müllverbrennungs- und Feuerungsanlagen, wirksam um die Hälfte verringert.
Anders wurde bei der Belastung von Fischen durch Tributylzinn aus Schiffsanstrichen verfahren. In einer ersten Reaktion erfolgte ein Verwendungsverbot bei Sportbooten, das aber dringend auf alle Seefahrzeuge erweitert werden muss. Eine Höchstmengenregelung wird zur Zeit geprüft. Für bestimmte Nitromoschus-Duftstoffe, die in Wasch- und Reinigungsmitteln und Kosmetika verwendet wurden und die sich in Fischen anreichern, bestehen Verwendungsverbote. In Wasch- und Reinigungsmitteln wird freiwillig auf ihren Einsatz verzichtetet.
Für Lebensmittel wurde eine Fülle von Stoffhöchstmengen festgelegt, die sich nicht nur auf anthropogene Umweltkontaminanten, Behandlungsrückstände von Insektiziden oder Tierarzneimitteln erstreckt, sondern auch auf natürliche Lebensmittelverunreinigungen, wie z. B. Mykotoxine.
Der deutschen und europäischen Lebensmittelrechtsetzung liegt das Vorsorgeprinzip zu Grunde, das auch sozioökonomische und ökologische Aspekte beinhalten kann. Dieses Prinzip hat im Streit um die Hormonbehandlung von Masttieren zwischen der EU und den USA zu einem Konflikt innerhalb des Welthandelsabkommens geführt. In der Europäischen Union ist nach dem Grundsatz des Vorsorgeprinzips der Einsatz naturidentischer Hormone und hormonwirksamer Substanzen in der Tiermast verboten, obwohl toxikologisch keine nachteiligen Auswirkungen feststellbar sind. Die USA dagegen wollen die dort zulässige Hormonbehandlung von Masttieren weltweit durchsetzen, solange Schadwirkungen nicht nachweisbar sind. An diesem Streit zeigt sich, dass in Europa das politische Bewusstsein um den lebensmittelrechtlichen Gesundheitsschutz vergleichsweise hoch ist.
Der Fortschritt der Analytik vermittelt den Eindruck, die Verbraucher würden durch Spurenverunreinigungen in Lebensmitteln zunehmend gesundheitlich belastet. Dieser Eindruck ist falsch. Das Gegenteil ist der Fall: weil auf lebensmittelchemische Erkenntnisse und auf neu erkannte Gefahren durch den Gesetzgeber reagiert wird, hat sich die Qualität der Lebensmittel in gesundheitlicher Hinsicht verbessert. Zur Untermauerung dieser eindeutigen Tendenz fordert die Lebensmittelchemische Gesellschaft bei neuen Spurenverunreinigungen in Lebensmitteln eine objektive Aufklärung der Verbraucher, eine schnelle toxikologische Bewertung der Risiken und rasche Maßnahmen des Gesetzgebers. Ferner mahnt sie die weltweite Beachtung des Vorsorgeprinzips an. Sie weist darauf hin, dass zügiges Handeln das Vertrauen der Verbraucher und die Glaubwürdigkeit der amtlichen Überwachung und der Lebensmittelwirtschaft fördert.
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