Der steile Aufstieg der Berner Alpen

Eiger, Mönch und Jungfrau sind Bestandteil der markanten Front des nördlichen Kamms der Berner Alpen, welcher durch das steile Aufsteigen der Gesteine aus der Tiefe gebildet wurde. 1) Foto © M. Herwegh, Institut für Geologie, Universität Bern.

Gebirge entstehen häufig bei der Annäherung zweier Erdplatten, wobei nach gängigen Modellen die schwerere ozeanische Platte unter der leichteren kontinentalen Platte in den Erdmantel abtaucht. Was geschieht nun aber, wenn zwei gleich schwere Kontinentalplatten zusammenstossen, wie es im Bereich der Zentralalpen zwischen Afrika und Europa der Fall war?

Dieser Frage sind Geologen und Geophysiker der Universität Bern und der ETH Zürich nachgegangen. Sie konstruierten durch mehrjährige Oberflächenuntersuchungen in den Berner Alpen die 3D-Geometrie der Deformationsstrukturen. Mit Hilfe der seismischen Tomographie gewannen sie – ähnlich wie bei Ultraschalluntersuchungen am Menschen – zusätzliche wichtige Einblicke in die Tiefenstruktur der Erdkruste bis hinab in Tiefen von 400 km des Erdmantels.

Fliessfähiges Gestein aus der Tiefe

Eine auf diesen Daten beruhende Rekonstruktion deutet darauf hin, dass die leichten kristallinen Gesteine der europäischen Kruste nicht in grosse Tiefen abtauchen können, sondern in der unteren Erdkruste vom Erdmantel abgelöst werden und in Folge von Auftriebskräften zurück an die Erdoberfläche drängen.

Hierbei bilden sich steile Störungszonen aus, die die Erdkruste durchsetzen und den steilen Aufstieg der Gesteine aus der Tiefe begünstigen. Paradebeispiele solcher Störungszonen gibt es im Haslital, wo sie als Narben in Form eindrücklicher Couloirs die vom Gletscher geschliffene Granitlandschaft durchziehen.

Das Ablösen von Erdkruste und Erdmantel findet in 25-30 Kilometern Tiefe statt. Ausgelöst wird dieser Vorgang durch ein langsames Versinken und Zurückweichen der europäischen Platte im oberen Erdmantel in Richtung Norden. In der Fachsprache wird dieser Prozess «slab rollback» genannt.

Die hohen Temperaturen in diesen Tiefen machen die Gesteine der Unterkruste fliessfähig, worauf diese in Folge der Auftriebskräfte nach oben drängen können.

Zusammen mit der Oberflächenerosion ist es dieser steile Aufstieg der Gesteine aus der mittleren bis unteren Erdkruste, welcher für die heutige steile Nordfront der Berner Alpen verantwortlich ist (Titlis – Jungfraugebiet – Blüemlisalpgruppe).

Die Hebungsdaten im Bereich eines Millimeters pro Jahr und die heutige Erdbebenaktivität deuten darauf hin, dass der Prozess des Aufsteigens aus der Tiefe immer noch im Gange ist. Die Erosion an der Erdoberfläche bewirkt aber einen kontiniuerlichen Abtrag, weshalb die Alpen nicht unendlich weiter in die Höhe wachsen.

Wichtig für Naturgefahren und Geothermie

Die Untersuchungen zu den steil angelegten Störungszonen sind aber nicht nur von wissenschaftlichem Interesse. Die seismisch teilweise immer noch aktiven Störungen sind dafür verantwortlich, dass an der Oberfläche die Gesteine stärker verwittern und somit beispielsweise Bergstürze und Murgänge (Schlammströme) im Halsital in den übersteilten Bereichen der Spreitlaui oder der Rotlaui auftreten.

Die starken Murgänge im Bereich Guttannen beruhen unter anderem auf dieser strukturellen Vorprägung der Gesteine. Auch das Austreten von warmem Hydrothermalwasser, dessen Erkundung für die Geothermie und die Energiewende 2050 von Bedeutung ist, geht direkt auf das Zerbrechen der oberen Erdkruste und das Einsickern von kalten Oberflächenwässern zurück.

Das Wasser wird in der Tiefe erhitzt und gelangt über die steilen Störungszonen wieder an die Oberfläche – wie etwa im Grimselgebiet. In diesem Sinne führen die neuen Erkenntnisse zu einem vertieften Verständnis von Oberflächenprozessen, welche unsere Infrastrukturen wie etwa die Transitachsen (Bahn, Strasse) durch die Alpen beinflussen.

Angaben zur Publikation:
Marco Herwegh, Alfons Berger, Roland Baumberger, Philip Wehrens & Edi Kissling: «Large-Scale Crustal-Block-Extrusion During Late Alpine Collision», Scientific Reports, 24.03.2017, doi: 10.1038/s41598-017-00440-0

Weitere Auskunft:
Prof. Dr. Marco Herwegh, Institut für Geologie der Universität Bern
Tel. +41 31 631  87 61 / 87 64 / marco.herwegh@geo.unibe.ch

Prof. Dr. Edi Kissling, Institut für Geophysik der ETH Zürich
Tel. +41 44 633 26 23 / kiss@tomo.ig.erdw.ethz.ch

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Nathalie Matter Universität Bern

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