Modernes Bauen mit längst vergessenen Techniken

Die Platten, aus denen dieser Boden zusammengefügt wurde, bestehen aus 3D-gedrucktem Sand. ETH Zürich / Peter Rüegg

In den Städten ist der Platz knapp. Deshalb suchen Architekten nach Wegen, kompakt zu bauen – und das noch möglichst günstig und umweltfreundlich.

Ein Ansatz ist dabei die Leichtbauweise: Je dünner beispielsweise die Decken eines mehrstöckigen Gebäudes sind, desto mehr Platz bleibt für zusätzliche Etagen. Weil sie weniger Gewicht tragen müssen, lässt sich auch bei Fundamenten und Mauern Baumaterial sparen, was die Kosten senkt.

Doch bei der heute üblichen Bauweise mit Beton ist es kaum möglich, Gewicht zu reduzieren: Damit die Böden der Geschosse tragfähig sind, müssen sie im Durchschnitt 25 Zentimeter dick sein und im Innern zusätzlich mit Stahlstäben oder -gittern verstärkt werden, so genannten Bewehrungen. Dadurch sind sie sehr schwer.

Tragfähig ohne Stahl

Einen neuen Lösungsansatz präsentieren nun Forschende des Instituts für Technologie in der Architektur der ETH Zürich. Sie haben Bodenelemente aus Beton entworfen, deren tragende Platte nur zwei Zentimeter dick, aber trotzdem sehr stabil ist.

«Damit sparen wir im Vergleich zu herkömmlichen Betonböden 70 Prozent Gewicht», sagt Philippe Block, ausserordentlicher Professor für Architektur und Struktur und Stellvertretender Direktor des Nationalen Forschungsschwerpunkts Digitale Fabrikation. Das schont zugleich die Umwelt, da weniger Beton benötigt wird, bei dessen Herstellung grosse Mengen CO2 anfallen.

Möglich wird die Gewichtsreduktion deshalb, weil die Platten nicht flach, sondern gewölbt sind – ähnlich wie die Deckengewölbe in gotischen Kathedralen. Allein durch ihre Form können sie sehr grossen Belastungen standhalten, sodass sie keinen Bewehrungsstahl zur Verstärkung benötigen.

Bauen wie die alten Meister

«Wir haben uns beim Design an historischen Bauprinzipien und -techniken orientiert, die in Vergessenheit geraten sind», sagt Block. Dazu analysierten die Forscher unter anderem Bauwerke im Stil der katalanischen Gewölbe.

Diese traditionelle Bauweise brachte der spanische Architekt Rafael Guastavino Ende des 19. Jahrhunderts von Spanien in die USA. Seine gemauerten Gewölbe verstärkte er auf der Oberseite durch schmale, senkrechte Rippen. Diese dienen einerseits dazu, eine ebene Fläche für den Fussboden zu schaffen. Andererseits erhöhen sie die Stabilität bei asymmetrischer Belastung, also wenn das Gewicht von Personen oder Gegenständen nicht gleichmässig im Raum verteilt ist.

Das Prinzip der Verstärkungsrippen machten sich die ETH-Forscher für ihre Betonelemente zunutze. Mit einem eigens entwickelten Computerprogramm berechneten sie, wie die Rippen angeordnet sein müssen, um bei Belastung auftretende Druckkräfte optimal zu verteilen. Das Resultat ist ein filigranes Muster dünner Linien, die jeweils an den Ecken zusammenlaufen.

Das Element selbst wird in einen Stahlrahmen eingespannt, der die Druckkräfte aufnimmt – er hat damit dieselbe Funktion wie die Strebepfeiler, auf denen die Gewölbe von Kathedralen gelagert sind. «Die Konstruktion ist extrem stabil», sagt Block. Belastungstests haben gezeigt, dass sie einer asymmetrische Last von 4,2 Tonnen standhält. Das ist sogar zweieinhalb mal mehr, als die in der Schweiz geltenden Baunormen erfordern.

Praxistest im NEST

Die neuartigen Bodenplatten werden die Forscher nun erstmals in der Praxis testen, und zwar im Forschungsgebäude NEST in Dübendorf bei Zürich. Auf dessen Dach soll ab diesem Sommer ein zweigeschossiges Gäste-Penthouse entstehen. Dafür werden fünf Mal fünf Meter grosse Bodenelemente verwendet, die modular vorgefertigt und dann vor Ort eingebaut werden. Sie bieten einen weiteren Vorteil: In den Hohlräumen zwischen den Betonrippen lassen sich problemlos Leitungen für Lüftung, Kühlung und Heizung verlegen, was zusätzlich Platz spart.

Die Herstellung der Elemente ist bisher allerdings teuer, weil man dafür beidseitige Gussformen benötigt, die exakt aufeinander passen müssen. Deshalb sind Block und sein Team einen Schritt weitergegangen: Um die Herstellungskosten zu senken, haben sie erste Elemente mit Hilfe von 3D-Druck gefertigt – jedoch nicht aus Beton, sondern aus Sand und einem Bindemittel. Diese halten Lasten von 1,4 Tonnen stand und erfüllen damit ebenfalls die Schweizerischen Baunormen. « Mit unseren Konstruktionsprinzipien lassen sich auch Materialien verwenden, die bisher nicht zum Bauen geeignet waren», sagt Block. «Man muss sie nur in die richtige Form bringen, damit daraus eine sehr stabile Struktur entsteht.»

https://www.ethz.ch/de/news-und-veranstaltungen/eth-news/news/2017/04/modernes-b…

Media Contact

Peter Rüegg Eidgenössische Technische Hochschule Zürich (ETH Zürich)

Alle Nachrichten aus der Kategorie: Architektur Bauwesen

Die zukunftsorientierte Gestaltung unseres Wohn- und Lebensraumes erhält eine immer größer werdende Bedeutung. Die weltweite Forschung in den Bereichen Architektur und Bauingenieurwesen leistet hierzu einen wichtigen Beitrag.

Der innovations-report bietet Ihnen hierzu interessante Berichte und Artikel, unter anderem zu den Teilbereichen: Nachhaltiges Bauen, innovative Baumaterialien, Bautenschutz, Geotechnik, Gebäudetechnik, Städtebau, Denkmalschutz, Bausoftware und Künstliche Intelligenz im Bauwesen.

Zurück zur Startseite

Kommentare (0)

Schreiben Sie einen Kommentar

Neueste Beiträge

Spitzenforschung in der Bioprozesstechnik

Das IMC Krems University of Applied Sciences (IMC Krems) hat sich im Bereich Bioprocess Engineering (Bioprozess- oder Prozesstechnik) als Institution mit herausragender Expertise im Bereich Fermentationstechnologie etabliert. Unter der Leitung…

Datensammler am Meeresgrund

Neuer Messknoten vor Boknis Eck wurde heute installiert. In der Eckernförder Bucht, knapp zwei Kilometer vor der Küste, befindet sich eine der ältesten marinen Zeitserienstationen weltweit: Boknis Eck. Seit 1957…

Rotorblätter für Mega-Windkraftanlagen optimiert

Ein internationales Forschungsteam an der Fachhochschule (FH) Kiel hat die aerodynamischen Profile von Rotorblättern von Mega-Windkraftanlagen optimiert. Hierfür analysierte das Team den Übergangsbereich von Rotorblättern direkt an der Rotornabe, der…