Weltrekord bei der Auswertung von Satellitendaten: Städten beim Wachsen zusehen
Weltweit wachsen die Metropolen. Nach Schätzungen der Vereinten Nationen lebt bereits heute gut die Hälfte der Erdbevölkerung in Städten, 2050 sollen es zwei Drittel sein. „Dieses Wachstum stellt hohe Anforderungen an die Sicherheit von Gebäuden und Infrastruktur, weil Schäden Menschenleben bedrohen können“, sagt Xiaoxiang Zhu, Professorin für Signalverarbeitung in der Erdbeobachtung an der TUM.
Gemeinsam mit ihrem Team hat sie ein Verfahren entwickelt, mit dem sich potentielle Gefahren frühzeitig erkennen lassen: Beispielsweise könnten Senkungen des Untergrunds zum Einsturz von Gebäuden, Brücken, Tunneln und Staudämmen führen. Mit der neuen Methode lassen sich bereits Veränderungen von einem Millimeter pro Jahr aufspüren und sichtbar machen.
Dreidimensionaler Radarblick auf die Metropolen der Welt
Die Daten für das detaillierte Bild der Städte liefert der TerraSAR-X, der genaueste zivile Radarsatellit der Welt. Seit 2007 umkreist er unseren Planeten in einer Höhe von etwa 500 Kilometern, sendet Mikrowellenimpulse zur Erde und fängt deren Echo wieder auf. „Diese Messungen ergeben zunächst einmal nur ein zweidimensionales Bild mit einer Auflösung von einem Meter“, erklärt Zhu.
Die TUM-Professorin kooperiert mit dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), an dem sie auch eine eigene Arbeitsgruppe leitet. Das DLR ist für Betrieb und Nutzung des Satelliten für wissenschaftliche Zwecke zuständig. „Dass die Aussagekraft der Bilder begrenzt ist, liegt daran, dass sich die Reflexionen verschiedener Objekte, die gleich weit vom Satelliten entfernt sind, überlagern. Dieser Effekt reduziert die dreidimensionale Welt auf ein zweidimensionales Bild.“
Mit Hilfe eines von ihr entwickelten Algorithmus konnte Zhu nicht nur die dritte und sogar die vierte Dimension (Zeit) rekonstruieren, sondern auch gleich einen Weltrekord aufstellen: Drei Millionen Messpunkte errechnet der Computer pro Quadratkilometer. Daraus lassen sich hochpräzise, vierdimensionale Punktwolken erstellen.
Verschiedene Blickwinkel ergeben ein genaues Bild
Der Trick dabei: Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nutzen leicht verschiedene Blickwinkel des Satelliten. Dieser überfliegt jede Region der Erde im Rhythmus von elf Tagen. Allerdings ist seine Position nicht immer exakt dieselbe. Diese Orbitvariationen von etwa 250 Metern nutzen die Forscherinnen und Forscher bei der Radartomographie aus, um die Lage jedes Punkts im dreidimensionalen Raum zu messen. Das Prinzip dieser Methodik ist dasselbe wie bei der Computertomografie, die einen Blick in den menschlichen Körper erlaubt: Verschiedene Messungen aus unterschiedlichen Richtungen werden zu einem dreidimensionalen Bild zusammengeführt.
„Da dieses Verfahren in der dritten Dimension nur eine schlechte Auflösung liefert, setzen wir zusätzlich Compressive Sensing-Methoden ein, mit denen sich die Auflösung um das 15fache verbessern lässt“, sagt Zhu.
Mit den Radarwellen des TerraSAR-X können die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Strukturen auf der Oberfläche sehr genau erfassen: beispielsweise die Form und Höhe von Gebäuden. Für Berlin, Las Vegas, Paris und Washington, D.C. wurden auf diese Weise hochpräzise 3D-Modelle errechnet.
Die vierte Dimension
Nachdem die verwendeten Radarbilder im Abstand von je 11 Tagen, also zu unterschiedlichen Zeiten, aufgenommen werden, lässt sich auch die zeitliche Veränderung – und damit die vierte Dimension – sichtbar machen. Das 4D-Modell, das so entsteht, zeigt kleinste Veränderungen mit einer Genauigkeit eines Bruchteils der Radarwellenlänge. So lassen sich beispielsweise die thermische Ausdehnung von Gebäuden im Sommer oder Deformationen, die durch eine Senkung des Untergrunds verursacht werden, mit einer Präzision von zirka einem Millimeter pro Jahr erfassen. Zhu: „Die Methode eignet sich, um Gefahrenpunkte aufzuspüren. Satellitentechnik kann damit einen wichtigen Beitrag dazu leisten, Gebäude und Infrastruktur in Städten sicherer zu machen.“
Künftig wollen die Forscherinnen und Forscher den Metropolen sogar beim Wachsen zusehen. Im ERC Projekt „So2Sat“, das gerade gestartet ist, werden alle Ballungsgebiete der Welt kartiert und langfristig beobachtet. Schwerpunkt der Untersuchungen sind die Schwellenländer, wo innerhalb kürzester Zeit ganze Stadtteile aus dem Boden wachsen. Erstmals wollen Zhu und ihr Team mehrere verschiedene Big Data-Quellen nutzen: Messungen von Satelliten werden kombiniert mit Kartenmaterial aus Open Street Map und dem schier unbegrenzten Strom von Bildern, Texten und Aktivitätsmustern aus sozialen Netzwerken.
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Bei der Auswertung der gewaltigen Datenmenge werden die Forscher vom Leibniz Rechenzentrum unterstützt.
Publikationen:
– Kang J., Wang Y., Körner M., Zhu X.: „Robust Object-based Multipass InSAR Deformation Reconstruction“, IEEE Transactions on Geoscience and Remote Sensing, in press. DOI: 10.1109/TGRS.2017.2684424
http://ieeexplore.ieee.org/document/7926387/
– Wang, Y., Zhu, X.X., Zeisl, B., Pollefeys, M., 2017: „Fusing Meter-Resolution 4-D InSAR Point Clouds and Optical Images for Semantic Urban Infrastructure Monitoring“, IEEE Transactions on Geoscience and Remote Sensing, Volume: 55, Issue: 1, Jan. 2017; DOI: 10.1109/TGRS.2016.2554563
http://ieeexplore.ieee.org/document/7587405/
– Montazeri S., Zhu X., Eineder M., Bamler R., 2016: „3-D Deformation Monitoring of Urban Infrastructure by Tomographic SAR Using Multi-Track TerraSAR-X Data Stacks“, IEEE Transactions on Geoscience and Remote Sensing, Volume: 54, Issue: 12, Dec. 2016; DOI: 10.1109/TGRS.2016.2585741
http://ieeexplore.ieee.org/document/7548332/
Kontakt:
Prof. Xiaoxiang Zhu
Technische Universität München
Professur für Signalverarbeitung in der Erdbeobachtung
Tel: +49 8153283531
xiaoxiang.zhu@tum.de
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