4000 Meter unter dem Meer – Tiefseeforschung an Foraminiferen

Einzeller, die seit dem Erdaltertum auf dem Tiefseeboden leben, so genannte benthische Foraminiferen, lassen Rückschlüsse auf die damaligen Umweltbedingungen zu und tragen zum besseren Verständnis des heutigen Ökosystems der Tiefsee bei. Die Tübinger Biologin Dr. Petra Heinz erforscht die Lebensbedingungen benthischer Foraminiferen durch Laborversuche und in der Tiefsee, 4000 Meter unter dem Meeresspiegel.

Lebensbedingungen von Einzellern liefern Erkenntnisse über das Ökosystem Tiefsee

Sie sind winzig klein. Manche von ihnen kann man mit dem bloßen Auge gerade noch erkennen, andere hingegen sind kaum größer als 30 Mikrometer. Und doch können sie uns wichtige Informationen über Klima und Umweltbedingungen aus der Zeit vor Millionen von Jahren liefern. Die Rede ist von benthischen Tiefsee-Foraminiferen, von Einzellern, die auf und in den oberen Schichten des Tiefseebodens leben. Dort machen sie mancherorts über die Hälfte der Biomasse aus. Wie fossile Funde zeigen, gibt es viele Foraminiferen-Gattungen schon seit dem Kambrium, also seit circa 544 Millionen Jahren. Von ihren heutigen Lebensbedingungen und vor allem vom Einfluss der Umweltbedingungen auf die heutigen Foraminiferen-Faunen lassen sich Rückschlüsse auf die Umweltbedingungen am Fundort der Fossilien zu deren Lebenszeit ziehen. Das ist für Paläontologen und Biologen gleichermaßen interessant, denn über das bedeutende Ökosystem der Tiefsee ist noch wenig bekannt. Die Biologin Dr. Petra Heinz vom Institut für Geowissenschaften der Universität Tübingen hat es sich zur Aufgabe gemacht, die heute noch lebenden Foraminiferen zu erforschen.

Petra Heinz war schon mehrmals zu Felduntersuchungen auf den verschiedenen Ozeanen unterwegs, zum Beispiel dem Arabischen Meer: „Das Arabische Meer eignet sich besonders gut, um den Einfluss von Umweltbedingungen auf die Forams – wie ich sie nenne – zu untersuchen. Dort gibt es starke saisonale Unterschiede und verschiedene Bedingungen auf engem Raum.“ Durch starke Umwälzungen des Oberflächenwassers während des Nordost-Monsuns von November bis März gelangt regional tieferes, nährstoffreicheres Wasser an die Meeresoberfläche. In der Folge kommt es zu einer Algenblüte. Nach dem Absterben der Algen sinkt dieses organische Material, der so genannte Phytodetritus, dann auf den Meeresboden und dient unter anderem den Foraminiferen als Nahrung. Bei einer starken Zunahme des organischen Materials am Meeresboden nimmt dort gleichzeitig die Sauerstoffkonzentration ab, da es zu Zehrungsprozessen beim Abbau des Materials kommt. Die Einzeller benötigen jedoch Sauerstoff zum Atmen. Einige Arten tolerieren allerdings geringere Sauerstoffkonzentrationen und können ein hohes Nahrungsangebot gut nutzen. Benthische Foraminiferen sind also ein guter Anzeiger um „Biogeochemische Stoff- und Energietransporte in der Tiefsee“ zu untersuchen, wie es im Rahmen des gleichnamigen Forschungsverbundprojekts, kurz „BIGSET“, geschieht.

Von dem deutschen Forschungsschiff R/V Sonne aus entnahm Petra Heinz nach dem Nordost-Monsun Proben aus 3000 bis 4000 Meter Tiefe an mehreren Stationen. Manche waren vom Monsun und der dadurch verursachten erhöhten Algenbildung stark, andere gar nicht betroffen. Bei der Auswertung der Proben stellte sie fest, dass erhöhte Foraminiferenzahlen mit der gesteigerten Nahrungszufuhr in den vom Monsun betroffenen Gebieten korrelieren. Kleine Foraminiferen (30 bis 125 Mikrometer) traten an diesen Stellen verstärkt auf. Das lässt darauf schließen, dass der Nordost-Monsun die Vermehrung begünstigt. Die Artzusammensetzung und die Vertikalverteilung der Foraminiferen im Tiefseeboden blieben hingegen relativ konstant. Der Nordost-Monsun wirkt also im Wesentlichen auf die Populationsdichte der benthischen Foraminiferen.

Nur welche der vom Monsun bedingten Faktoren lösen diese Reaktionen bei den Einzellern aus? Und wie spielen sie zusammen? „Um das herauszufinden, sind Laboruntersuchungen nötig, weil es hier möglich ist, Sauerstoffgehalt und Nahrungszufuhr unabhängig voneinander zu regulieren. Unter natürlichen Bedingungen ändern sich beide Parameter meist gleichzeitig“, erklärt Petra Heinz. Die Proben für ihre Versuche stammten aus dem westlichen Mittelmeer und von der Atlantikküste aus etwa 1000 Metern Wassertiefe: „Große Mengen lebender Foraminiferen aus wesentlich größeren Tiefen heraufzuholen ist nur unter sehr hohem technischen Aufwand möglich, wenn sie nicht sterben sollen. Dazu fehlen uns einfach die Mittel.“

Ihre Proben kultivierte Petra Heinz zusammen mit ihrer Kollegin Emmanuelle Geslin in speziellen Aquarien. Nachdem sie entweder Sauerstoff- oder Nahrungszufuhr verändert hatten, untersuchten sie Dichte und Artzusammensetzung der Foraminiferen sowie deren Vertikalverteilung im Tiefsee- beziehungsweise Aquarienboden. In der Natur halten sich die Einzeller zumeist oben auf, wenn das Nahrungsangebot gerade groß ist. Im Labor reagieren sie bei konstant guten Sauerstoffbedingungen auf Nahrungszufuhr, indem sie sich vermehren, aber sie wandern nicht nach oben. Verändert man hingegen die Sauerstoffzufuhr, bewegen sich die meisten Foraminiferenarten in Richtung „Frischluft“. Es ist also der Sauerstoff, der die Vertikalverteilung beeinflusst. Allerdings trifft das nicht auf alle Foraminiferenarten gleichermaßen zu: „Die verschiedenen Arten müsste man alle noch einzeln untersuchen.“

Über die Bedeutung des Stoffwechsels benthischer Foraminiferen für den Kohlenstoffhaushalt des Meeres weiß man noch sehr wenig. Wie viel Nahrung in Form von organischen Kohlenstoffverbindungen nehmen sie auf? Welchen Platz haben sie im Nahrungsnetz der Tiefsee? Auch diesen Fragen geht Petra Heinz auf den Grund, im wahrsten Sinn des Wortes. In Zusammenarbeit mit japanischen Wissenschaftlern vom „Institute for Frontier Research on Earth Evolution (IFREE)“ in Yokosuka, untersuchte sie die Nahrungsaufnahme der Foraminiferen durch Experimente vor Ort, nämlich auf dem Grund der Sagami-Bucht in Zentraljapan, in über 1000 Metern Tiefe.

Für ihre Versuche haben die Forscher zuvor Algen der Art Dunaliella tertiolecta durch eine Anreicherung mit 13C-Kohlenstoff markiert. Diese Algen brachten sie mit Hilfe eines Tauchbootes auf den Tiefseeboden auf. Dazu benutzten sie spezielle Gefäße, die einen Teil des Meeresbodens mit den darin enthaltenen Foraminiferen einschlossen. Anschließend untersuchten sie diese Sedimente und Foraminiferen in verschiedenen Zeitabständen von zwei Stunden bis zu sechs Tagen auf ihren Gehalt an 13C. Dabei stellte sich heraus, dass sich die Foraminiferen sehr schnell über die Nahrung hermachen. Schon nach zwei Tagen hatten die meisten der untersuchten Arten erhebliche Mengen der zugegebenen Algen gefressen. Als Endverbraucher spielen sie also eine große Rolle für die Sedimentierung des Tiefseebodens wie auch für den Kohlenstoffwechsel des Meeres. Benthische Foraminiferen sind demnach nicht nur ein Indikator für die Klima- und Umweltbedingungen von vor Millionen von Jahren, sondern damals wie heute selbst ein einflussreicher Faktor in dem Wechselwirkungsgeflecht des marinen Ökosystems.

Allerdings ist ihre Erforschung mit einem hohen technischen Aufwand und vielen Anstrengungen für die Forscher verbunden. Es gibt nur wenige wissenschaftliche Tauchboote, die in solche Tiefen vordringen können, in Deutschland kein einziges. Petra Heinz, die gute Beziehungen zu ihren japanischen Kollegen pflegt, hatte das Glück, von ihnen eingeladen zu werden: „In dem U-Boot ist es furchtbar eng, man kann sich kaum bewegen, auch wegen der Schutzkleidung. Und so ein Tauchgang dauert bis zu acht Stunden. Man liegt eingezwängt auf seinem Platz neben dem Piloten und schon nach kurzer Zeit beginnt man zu frieren. Aber das wunderbare Erlebnis, in diese fremde, faszinierende Welt zu tauchen, lässt einen alle Strapazen vergessen.“ Petra Heinz durfte sogar die letzte wissenschaftlich genutzte Tauchfahrt mit dem japanischen Tauchboot „Shinkai 2000“ machen, bevor dieses ausgemustert wurde. „Eine große Ehre,“ sagt sie stolz.
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Nähere Informationen:

Dr. Petra Heinz
Institut für Geowissenschaften
Sigwartstraße 10
72076 Tübingen
Tel. 07071 / 297 – 4683, Fax -5727
E-Mail: petra.heinz@uni-tuebingen.de

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Michael Seifert idw

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