Darmflora als Ursache chronischer Entzündungen

Das Mikrobiom unseres Darms hat Einfluss auf chronisch entzündliche Darmerkrankungen. Bild: Fotolia Quelle: Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung

In der richtigen Zusammensetzung leben die mehr als 1000 Bakterienarten des Darmmikrobioms in friedlicher Koexistenz mit ihrem menschlichen Wirt, helfen bei der Verdauung und unterstützen sogar das Immunsystem. Anders bei Patienten mit chronisch entzündlichen Darmerkrankungen wie Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa: Studien belegen, dass dabei die Artenvielfalt der Darmmikrobiota reduziert ist. Die Folgen sind eine Überreaktion des Immunsystems gegen die Bakterien im Darm und eine entzündliche Darmerkrankung. Forscher des Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung (HZI) haben nun in Mäusen gezeigt, dass über eine gezielte Blockade von Molekülen, den Caspasen, Entzündungsreaktionen im Darm abgeschwächt werden können. Die Forscher regen an, dass zukünftig auch das individuelle Mikrobiom der Patienten für die Therapieempfehlung berücksichtigt wird. Ihre Ergebnisse veröffentlichten die Wissenschaftler in zwei Artikeln im Fachjournal Cell Reports.

Allein in Deutschland leiden etwa 300.000 Patienten an einer chronisch entzündlichen Darmerkrankung. Die Lebensqualität der häufig noch vergleichsweise jungen Patienten ist unter anderem durch immer wiederkehrende Durchfälle und starke Bauchschmerzen wesentlich eingeschränkt. Leider gibt es dafür keine heilende Therapie, sondern nur eine symptombasierte Behandlung. Die Betroffenen erhalten als Medikamente meist Immunsuppressiva, die sie oft noch empfindlicher für Infektionen machen.

„Die chronischen Darmentzündungen sind sehr komplexe Erkrankungen“, sagt Dr. Till Strowig, Leiter der Nachwuchsgruppe „Mikrobielle Immunregulation“ am HZI. Wie es zu einer so extremen Störung in der ausbalancierten Wechselbeziehung zwischen Mikroorganismen und Wirt kommt, ist bisher noch nicht vollständig geklärt. „Die Entstehung einer chronischen Darmentzündung ist ein komplexes Wechselspiel von genetischer Anfälligkeit und Umweltfaktoren“, sagt Strowig. „Neben westlichen Ländern werden sie vor allem in Ländern sichtbar, deren Lebensverhältnisse sich gerade in den letzten 30 Jahren sehr verändert und an westliche Standards angepasst haben, wie Asien und Südamerika. Das hebt die große Bedeutung der Umwelt und Ernährung für die Darmerkrankungen hervor.“

Diese Umweltfaktoren beeinflussen insbesondere das Mikrobiom, welches durch zahlreiche Wechselwirkungen mit unserem Immunsystem verbunden ist. So können Darmerkrankungen einerseits durch pathogene Darmkeime wie Escherichia coli oder Clostridium difficile hervorgerufen werden, die eine Immunreaktion des Körpers auslösen anderseits aber auch von ganz harmlosen natürlichen Darmbewohnern. Trotz dieses Wissens bleiben bis heute viele Fragen zur Rolle des Mikrobioms in der Entstehung von chronischen Darmerkrankungen ungeklärt.

Für die Ursachenerforschung der chronisch entzündlichen Darmerkrankungen haben die HZI-Forscher ein spezielles Mausmodell verwendet und in zwei Publikationen neue Erkenntnisse zum Einfluss von Wirtsfaktoren und deren Wechselwirkungen mit dem Mikrobiom gewonnen. So konnten sie einerseits zeigen, dass ein Wirtsfaktor, die Caspase-1, ein Treiber der Entzündungsreaktionen im Darm ist und seine Aktivität vom Mikrobiom gesteuert wird. „Im Mausmodell konnten wir nachweisen, dass das Schlüsselenzym Caspase-1 die Sekretion wichtiger regulatorischer Eiweiße und damit die Immunantwort im Körper steuert“, sagt Till Strowig. Eine wichtige Funktion spiele dabei das Mikrobiom. Nach Schädigung der Darmbarriere stimulieren seine Mitglieder das Immunsystem. „Gelingt es, die Caspase auszuschalten, so treten weniger starke Immunantworten auf“, sagt Strowig. Um diesen neuen Zusammenhang zu erkennen, mussten die HZI-Forscher einen sehr wichtigen Zwischenschritt gehen: Sie normalisierten zuvor die mikrobielle Gemeinschaft im Darm der Mäuse durch das gemeinsame Halten in einem Käfig, um letztendlich den Wirtsfaktor studieren und eine korrekte Vorhersage über seinen Einfluss auf die Entstehung der Krankheit treffen zu können.

In einer Reihe weiterer Experimente versuchte das Team um Strowig zu verstehen, inwiefern verschiedene Kollektive von Mikroorganismen die Entstehung von chronischen Darmentzündungen fördern und wie man diese besonderen Darmmikrobiome als Treiber der Entzündungsreaktion gezielt inhibieren könnte. „Die schweren Entzündungsreaktionen im Darm werden über bestimmte mikrobielle Gemeinschaften ausgelöst. Um eine Therapieempfehlung zu geben, ist es wichtig zu verstehen, ob die vorhandene Mikrobengemeinschaft das angeborene oder das erlernte Immunsystem des Körpers zu einer Antwort und einer Entzündung stimuliert“, sagt Till Strowig. Diese Zusammenhänge konnten die Forscher an immundefizienten Mäusen nachweisen, in denen jeweils wichtige Molekülschalter des Immunsystems ausgeschaltet waren. Dies ist relevant für die Behandlung der Krankheit in Patienten, denn moderne Therapien setzen heute auf sogenannte „Biologicals“, die einzelne Moleküle blockieren und damit das Immunsystem gezielt beeinflussen.

„In unseren zukünftigen Forschungsarbeiten wollen wir nun genauer verstehen, welche einzelnen Bakterienarten für die verschiedenen Formen der chronisch entzündlichen Darmerkrankungen verantwortlich sind“, sagt Strowig. Dazu suchen die Forscher nach weiteren Möglichkeiten, um fehlgeleitete Immunantworten zu blockieren und zu steuern. Um aber zu einer klinischen Anwendung und Therapieempfehlung zu kommen, müssen noch umfangreiche Kohorten-Studien durchgeführt werden.

Originalpublikationen:
A. J. Błażejewski, S. Thiemann, A. Schenk, M. C. Pils, E. J. C. Gálvez, U. Roy, U. Heise, M. R. de Zoete, R. A. Flavell, and T. Strowig: Microbiota Normalization Reveals that Canonical Caspase-1 Activation Exacerbates Chemically Induced Intestinal Inflammation. Cell Reports, 2017, DOI: 10.1016/j.celrep.2017.05.058

U. Roy¸ E. J.C. Gálvez¸A. Iljazovic, T. R. Lesker, A. J. Błażejewski, M. C. Pils, U. Heise, S. Huber, R. A. Flavell, and T. Strowig: Distinct Microbial Communities Trigger Colitis Development upon Intestinal Barrier Damage via Innate or Adaptive Immune Cells. Cell Reports, 2017, DOI: 10.1016/j.celrep.2017.09.097

Die Pressemitteilung und Bildmaterial finden Sie auch auf unserer Webseite unter dem Link https://www.helmholtz-hzi.de/de/aktuelles/news/ansicht/article/complete/darmflor…

Das Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung:
Am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung (HZI) untersuchen Wissenschaftler die Mechanismen von Infektionen und ihrer Abwehr. Was Bakterien oder Viren zu Krankheitserregern macht: Das zu verstehen soll den Schlüssel zur Entwicklung neuer Medikamente und Impfstoffe liefern. http://www.helmholtz-hzi.de

Ihre Ansprechpartner:
Susanne Thiele, Pressesprecherin
susanne.thiele@helmholtz-hzi.de
Dr. Andreas Fischer, Wissenschaftsredakteur
andreas.fischer@helmholtz-hzi.de

Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung GmbH
Presse und Kommunikation
Inhoffenstraße 7
D-38124 Braunschweig

Tel.: 0531 6181-1400; -1405


Media Contact

Susanne Thiele Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung

Weitere Informationen:

http://www.helmholtz-hzi.de

Alle Nachrichten aus der Kategorie: Biowissenschaften Chemie

Der innovations-report bietet im Bereich der "Life Sciences" Berichte und Artikel über Anwendungen und wissenschaftliche Erkenntnisse der modernen Biologie, der Chemie und der Humanmedizin.

Unter anderem finden Sie Wissenswertes aus den Teilbereichen: Bakteriologie, Biochemie, Bionik, Bioinformatik, Biophysik, Biotechnologie, Genetik, Geobotanik, Humanbiologie, Meeresbiologie, Mikrobiologie, Molekularbiologie, Zellbiologie, Zoologie, Bioanorganische Chemie, Mikrochemie und Umweltchemie.

Zurück zur Startseite

Kommentare (0)

Schreiben Sie einen Kommentar

Neueste Beiträge

Größte bisher bekannte magnetische Anisotropie eines Moleküls gemessen

An der Berliner Synchrotronstrahlungsquelle BESSY II ist es gelungen, die größte magnetische Anisotropie eines einzelnen Moleküls zu bestimmen, die jemals experimentell gemessen wurde. Je größer diese Anisotropie ist, desto besser…

Tsunami-Frühwarnsystem im Indischen Ozean

20 Jahre nach der Tsunami-Katastrophe… Dank des unter Federführung des GFZ von 2005 bis 2008 entwickelten Frühwarnsystems GITEWS ist heute nicht nur der Indische Ozean besser auf solche Naturgefahren vorbereitet….

Resistente Bakterien in der Ostsee

Greifswalder Publikation in npj Clean Water. Ein Forschungsteam des Helmholtz-Instituts für One Health (HIOH) hat die Verbreitung und Eigenschaften von antibiotikaresistenten Bakterien in der Ostsee untersucht. Die Ergebnisse ihrer Arbeit…