Erstmals menschliches Herzproteom entschlüsselt

Vordergrund: Herzschemata, Hintergrund: Ausschnitt aus einer sogenannten Heatmap, eine Übersichtsdarstellung analysierter Proteine, die erstmals in einem Herzatlas zusammengefasst wurden Doll/Krause/Menzfeld © MPI für Biochemie

Proteine sind die molekularen Maschinen der Zelle und übernehmen dort eine Vielzahl von Funktionen. Diese werden anhand ihrer Bauanleitung, der DNA, hergestellt. Veränderungen auf DNA- oder Protein-Ebene können Krankheiten verursachen. Damit solche Veränderungen als Ursachen für Herzkrankheiten erkannt werden können, ist es wichtig zu wissen, wo welche Proteine im gesunden Herzen vorhanden sind und in welcher Menge sie vorliegen.

Proteinlandkarte des Herzens

Einen solchen Proteinatlas für das Herz konnte ein Forscherteam aus München jetzt in Nature Communications veröffentlichen. Dafür bestimmten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die komplette Proteinausstattung der Zellen in allen Regionen des Herzens wie Herzklappen, Herzkammern und den wichtigsten Blutgefäßen.

Zudem untersuchten sie die Proteinzusammensetzung in drei unterschiedlichen Zelltypen des Herzens: den Herzfibroblasten, den glatten Muskelzellen und den Endothelzellen. So konnte das Forscherteam wie auf einer Landkarte die Verteilung der Proteine in den unterschiedlichen Herzbereichen darstellen. Mit Hilfe der Massenspektrometrie wurden fast 11.000 unterschiedliche Proteine im gesamten Herz identifiziert.

Bisherige Studien konzentrierten sich meist nur auf einzelne Zelltypen oder nutzten Gewebe aus kranken Herzen. „Das bringt zwei Probleme mit sich“, erklärt Sophia Doll vom MPIB und Erstautorin der Studie. „Erstens, lieferten diese Ergebnisse kein Gesamtbild des Herzens mit all seinen unterschiedlichen Regionen und Geweben und zweitens fehlten häufig Daten des gesunden Herzens als Vergleich. Unsere Studie hat jetzt beide Probleme gelöst. Die Daten können als Referenz für zukünftige Studien genutzt werden.“

„Der Blick in den Proteinatlas unseres Herzens zeigt: Alle gesunden Herzen funktionieren sehr ähnlich. Wir konnten in den einzelnen Regionen jeweils eine ähnliche Proteinzusammensetzung messen, die nur wenige individuelle Unterschiede zeigte“, sagt Sophia Doll. Überraschend war auch, dass die rechte und linke Herzhälfte sich glichen, obwohl sie unterschiedliche Aufgaben übernehmen. Die rechte Hälfte pumpt sauerstoffarmes Blut zur Lunge und die linke das sauerstoffreiche Blut aus der Lunge in den Körper.

Krank vs. Gesund: Individuelle Unterschiede erkennen

Im nächsten Schritt wollte die Autorinnen und Autoren testen, ob sich mit den Daten der gesunden Herzen als Kontrolle auch Veränderungen in kranken Herzen erkennen lassen. Sie verglichen ihre Werte mit Herzproteomen von Patienten mit Vorhofflimmern, einer sehr häufigen Herzrhythmusstörung. Die Ergebnisse konnten tatsächlich erste Hinweise auf die Ursache der Krankheit liefern: Das Gewebe des kranken Herzens unterschied sich am stärksten bei Proteinen, die für die Energieversorgung der Zelle verantwortlich sind.

Der Vergleich lieferte noch ein weiteres interessantes Ergebnis: Zwar waren bei allen Patienten die Proteine des Energiestoffwechsels verändert, aber bei jedem gab es individuelle Veränderungen. „Diese Ergebnisse zeigen uns, wie wichtig die personalisierte Medizin ist. Obwohl alle Patienten sehr ähnliche Symptome haben, sehen wir anhand der Daten, dass bei allen Patienten eine unterschiedliche molekulare Fehlfunktion zugrunde liegt. In Zukunft müssen wir – gerade in der Herzmedizin – lernen, solche individuellen Unterschiede zu erkennen und zu behandeln.“, sagt Dr. Markus Krane, stellvertretender Direktor der Klinik für Herz- und Gefäßchirurgie am Deutschen Herzzentrum München an der TUM.

Fast 11.000 Proteine in weniger als zwei Tagen

In der Klinik für Herz- und Gefäßchirurgie des Deutsches Herzzentrums München (Direktor: Prof. Rüdiger Lange) konnte Markus Krane zusammen mit seinen Kolleginnen und Kollegen weit über 150 Gewebeproben aus über 60 Herzoperationen und aus rechtsmedizinischen Proben zusammengetragen. In aufwendigen Zellkulturverfahren konnten die unterschiedlichen Zelltypen daraus gewonnen werden. Erst diese große Menge an Herzmaterial machte es möglich, die einzelnen Herzbereiche so genau zu untersuchen.

Prof. Matthias Mann, Leiter der Gruppe „Proteomics und Signaltransduktion“ am MPIB, führte zusammen mit seinem Team die umfangreichen massenspektrometrischen Messungen durch. Aufgrund der Weiterentwicklung der Massenspektrometrie und der Probenaufarbeitung sind die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auf einem guten Weg zur personalisierten Medizin.

Das Team am MPIB legte großen Wert auf eine präzise, wiederholbare und schnelle Analysemethode. Das Messverfahren wurde so verbessert, dass sich jetzt eine gesamte Herzregion in weniger als zwei Tagen messen lassen kann – das ist doppelt so schnell wie bisher. Gerade für die Anwendung am Patienten ist das entscheidend.

Die Daten können demnächst in der offenen Datenbank MaxQB (maxqb.biochem.mpg.de) abgerufen werden.

Originalpublikation
S. Doll, M. Dreßen, P. E. Geyer, D. Itzhak, C. Braun, S. Doppler, F. Meier, M.-A. Deutsch, H. Lahm, R. Lange, M. Krane, M. Mann, Region and cell-type resolved quantitative proteomic map of the human heart, Nature Communications, November 2017
DOI: 10.1038/s41467-017-01747-2

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Das Max-Planck-Institut für Biochemie (MPIB) in Martinsried bei München zählt zu den führenden internationalen Forschungseinrichtungen auf den Gebieten der Biochemie, Zell- und Strukturbiologie sowie der biomedizinischen Forschung und ist mit rund 35 wissenschaftlichen Abteilungen und Forschungsgruppen und ungefähr 800 Mitarbeitern eines der größten Institute der Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e.V. Das MPIB befindet sich auf dem Life-Science-Campus Martinsried in direkter Nachbarschaft zu dem Max-Planck-Institut für Neurobiologie, Instituten der Ludwig-Maximilians-Universität München und dem Innovations- und Gründerzentrum Biotechnologie (IZB). http://biochem.mpg.de

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Prof. Dr. Matthias Mann
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82152 Martinsried
E-Mail: mmann@biochem.mpg.de

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Max-Planck-Institut für Biochemie
Am Klopferspitz 18
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