Interaktionen zwischen einfachen molekularen Mechanismen führen zu komplexen Infektionsdynamiken
Wenn wir an Bakterien denken, kommen uns Bilder übler Infektionen wie Lungenentzündung, Meningitis oder Lebensmittelvergiftungen in den Sinn. Aber Bakterien können auch selbst infiziert werden – von Viren, die auch Bakteriophagen genannt werden. Ähnlich wie nicht alle Bakterien für Menschen schädlich sind, sind nicht alle Viren für Bakterien schädlich. Manche können ihnen sogar nützen. Können Bakterien gute von schlechten Viren unterscheiden?
Ein interdisziplinäres Forscherteam am Institute of Science and Technology Austria (IST Austria) hat nun untersucht, wie sich Infektionen mit potentiell nützlichen Viren in Bakterien abspielen, die eine bestimmte Art von anti-viralem Mechanismus besitzen, die sogenannte Restriktionsmodifikation (RM). Sie zeigen, dass Interaktionen zwischen Viren- und Bakterienpopulationen auf den Ablauf der Infektion einwirken, sodass der inhärente Nachteil für individuelle Zellen ausgeglichen wird, und immune Bakterien auf lange Sicht gesehen noch viel mehr nützliche Viren erwerben können.
Das ist das Ergebnis einer Studie, die in Nature Ecology & Evolution erschienen ist. Die Studie wurde durchgeführt von PhD-Studierendem Maros Pleska und Moritz Lang, einem Postdoc in der Gruppe von Călin Guet am IST Austria, sowie von Kollaborationspartnern Dominik Refardt an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften und Bruce Levin an der Emory University.
Manche Infektionen können Bakterien neue Gene bringen
Manche Viren vermehren sich einfach nur in Bakterien. Solche Infektionen, die meist zum Tod des infizierten Bakteriums führen, werden lytisch genannt. Manche Viren allerdings, die sogenannten temperenten Viren, wählen einen sanfteren Zugang: Während lysogener Infektionen integriert sich die genetische Information eines temperenten Virus in die genetische Information des infizierten Bakteriums. So erhöht das Virus das genetische Repertoire des Bakteriums.
Beispiele solcher Gene, die durch temperente Viren zwischen Bakterien verbreitet werden, beinhalten etwa gefährliche Toxine, wie das Shigatoxin, das Choleratoxin und das Botulinumtoxin. Allerdings gibt es für Bakterien einen Haken: Temperente Viren können ihre Wirte sowohl töten als auch sich in sie integrieren, und die Entscheidung, wie die Infektion abläuft, wird auf scheinbar zufällige Weise getroffen.
Es ist bekannt, dass sich manche Bakterien vor tödlichen lytischen Infektionen schützen. Sie besitzen Immunitätsmechanismen, wie zum Beispiel Restriktionsmodifikationssysteme (RM Systeme), die virale DNA zerschneiden. Was noch nicht bekannt ist, ist wie diese primitiven Immunsysteme die Fähigkeit von Bakterien, möglicherweise vorteilhafte Viren durch den lysogenen Zyklus zu erwerben, beeinflusst.
Können RM Systeme zwischen lytischen und lysogenen Infektionen unterscheiden? Oder agieren sie genereller und schützen zwar Bakterien vor dem Tod, aber hindern sie auch daran, nützliche Viren zu erwerben? Pleska, Lang und Kollegen verbanden Experimente und Theorie, um diese Frage zu untersuchen.
Individuen vs Population – ein kontraintuitives Ergebnis
In einem ersten Schritt untersuchten die Forscher was passiert, wenn individuelle Bakterien, die RM Systeme besitzen, mit temperenten Viren infiziert werden. Sie fanden, dass RM Systeme immer versuchten, die Infektion zu vermeiden, egal, ob die Infektion in Richtung lytischer oder lysogener Zyklus tendieren würde. Die Schlussfolgerung aus diesem Ergebnis wäre, dass RM Systeme – als unbeabsichtigte Nebenwirkung davon, die Bakterien vor Lysis zu schützen – auch eine Barriere für den Erwerb viraler Gene darstellen.
Ein völlig anderes Ergebnis zeichnete sich allerdings ab, als die Forscher untersuchten, was auf der Ebene der bakteriellen Population geschieht. Vereinfacht gesagt mischten sie eine große Zahl an Bakterien mit einer größeren Zahl an Bakteriophagen, und untersuchten, wie viele Bakterien auf lange Sicht virale Gene erwarben. Basierend auf dem vorhergehenden Ergebnis erwarteten die Wissenschaftler, dass sich Viren viel weniger in Bakterien mit RM Systemen integrieren als in Bakterien, die diesen Immunmechanismus nicht besitzen. Allerdings geschah das Gegenteil: mehr Viren integrierten in diese Bakterien, die für immun gehalten worden waren.
Restriktionsmodifikationsysteme geben eine vorübergehende Atempause
Was ist die Erklärung für dieses Ergebnis, das der Intuition zuwider läuft? Die Forscher fanden, dass RM Systeme die Infektionen nicht komplett verhinderten, sondern sie bloß verzögerten. Das gibt der Bakterienpopulation genügend Zeit zu wachsen, bis die Viren die Barriere durchdringen und die Infektion voll ausbricht. Während der lytische Zyklus in kleinen Bakterienpopulationen häufiger ist, und viele Bakterien getötet werden, wenn die Population früh infiziert wird, ist der lysogene Zyklus in größeren Bakterienpopulationen häufiger.
So ist es wahrscheinlicher, dass Bakterien, die erst später infiziert werden, den Virus erwerben statt von ihm getötet zu werden. RM Systeme geben daher eine temporäre Atempause und schützen Bakterienpopulationen nur vor der gefährlichsten Phase der Infektion, ohne ihre möglichen Vorteile zu beschränken.
Interaktionen auf der Ebene der Population sind wichtig
Ist ein neuer, bisher unbekannter molekularer Mechanismus für diesen Wechsel im Verhalten verantwortlich? Nein, sagt Erstautor Maros Pleska: „Das faszinierende Ergebnis ist, dass wir eigentlich keinen neuen Mechanismus finden mussten. Was wir beobachten ist alles eine einfache Konsequenz der Populationsdynamiken der Interaktionen zwischen Bakterien und Viren.“
Dieses Ergebnis erteilt all jenen eine Abfuhr, die das langfristige Verhalten von Populationen aus der Biologie ihrer einzelnen molekularen Komponenten vorhersagen möchten, erklärt Pleska: „Die grundlegende Biologie aller Elemente in unserem System war bekannt, da die RM Systeme und Viren, die wir untersuchten, zu den am besten verstandenen molekularen Systemen gehören, die wir kennen.
Trotzdem zeigt diese Studie, wie hoffnungslos es ist, dieses Wissen über die molekulare Ebene zu verwenden, um die Dynamik vorherzusagen, die entsteht, wenn wir die einzelnen Teile zusammenfügen. Tatsächlich waren unsere Beobachtungen genau das Gegenteil davon, was alle erwarten würden. So können ökologische und evolutionäre Interaktion zwischen den einfachsten biologischen Elementen äußerst komplex sein und wir brauchen neue Wege, um sie zu untersuchen, falls wir jemals ihre Rolle in der Nature verstehen möchten.“
Weitere Information
Maros Pleska war seit 2012 PhD Student im Labor von Calin Guet. Er verteidigte seine Dissertation im Dezember 2017 und wechselt mit Jänner 2018 für seine postdoktorale Forschung über mikrobielle Ökologie an die Rockefeller University, New York. Moritz Lang kam 2015 als IST Fellow an das IST Austria. Die Arbeitet wurde gefördert durch einen HFSP Young Investigators‘ Grant für Calin Guet. Pleska erhielt das DOC Fellowship der Österreichischen Akademie der Wissenschaften am IST Austria.
IST Austria
Das Institute of Science and Technology (IST Austria) in Klosterneuburg ist ein Forschungsinstitut mit eigenem Promotionsrecht. Das 2009 eröffnete Institut widmet sich der Grundlagenforschung in den Naturwissenschaften, Mathematik und Computerwissenschaften. Das Institut beschäftigt ProfessorInnen nach einem Tenure-Track-Modell und Post-DoktorandInnen sowie PhD StudentInnen in einer internationalen Graduate School. Neben dem Bekenntnis zum Prinzip der Grundlagenforschung, die rein durch wissenschaftliche Neugier getrieben wird, hält das Institut die Rechte an allen resultierenden Entdeckungen und fördert deren Verwertung. Der erste Präsident ist Thomas Henzinger, ein renommierter Computerwissenschaftler und vormals Professor an der University of California in Berkeley, USA, und der EPFL in Lausanne, Schweiz. www.ist.ac.at
Wissenschaftlicher Artikel
Maroš Pleška et al: 'Phage–host population dynamics promotes prophage acquisition in bacteria with innate immunity', Nature Ecology & Evolution, 2017
DOI: 10.1038/s41559-017-0424-z
http://ist.ac.at/de/forschung/forschungsgruppen/guet-gruppe/ Webseite der Forschungsgruppe
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