Zerstörungsfreie Untersuchung keltischer Holzskulpturen
Ein frisch getrautes Paar wird jetzt am Tag des Baumes, also am 25. April im Fichtelgebirge eine Weiß-Tanne pflanzen. Den Baum des Jahres 2004 werden dann in ferner Zukunft spezialisierte Baumforscher, so genannte Dendrochronologen über die Zeit zwischen seiner Pflanzung und seinem Schlag befragen können. Der Name des Brautpaares wird sein Geheimnis bleiben, nicht aber die klimatischen Verhältnisse in Mitteleuropa. Diese dokumentiert der Baum fein säuberlich in seinen Jahresringen: Fiel ausreichend Niederschlag, wachsen die Jahresringe in die Breite; in Dürrejahren stellt er dagegen sein Dickenwachstum nahezu ein. Die Dicke der Jahresringe wird von den Dendrochronologen in graphische Kurven übertragen. Auf diese Weise können sie die Biographie eines Baumes bis zu seiner Keimung zurückverfolgen. Kennt man von einem Holz nicht das Jahr seines Schlages, kann er aufgrund der charakteristischen Kurven in die Zeitgeschichte eingeordnet werden. Decken sich die Kurven von Jahresringen, kann mit älteren bis steinalten Holzfunden, die zumeist aus Kiesgruben stammen, eine lückenlose Reihe von Jahresringen gebildet werden. Derzeit reicht diese Reihe 12.480 Jahre zurück bis in die letzte Eiszeit hinein.
Nicht alles Holz kommt im Naturzustand eines Baumes auf den Observiertisch eines Dendrochronologen. Darunter sind durchaus auch Holzskulpturen, wie sie in einem Keltenbrunnen in Fellbach/Schmiden entdeckt wurden. Diese zu zersägen, um die Jahresringe zu zählen, untersagt das Landesmuseum Baden-Württemberg. Handelt es sich doch bei den Funden um eine der frühesten Großskulpturen aus Holz der Kulturgeschichte! Die beiden über 2000 Jahre alten Ziegenböcke sind nicht nur im Wasserschlamm des Brunnens bestens erhalten geblieben, sie zeugen auch von einem künstlerisch herausragenden Niveau. Die Archäologen vermuten, dass die Böcke und ein fehlendes Mittelteil zu einer zusammenhängenden Figur gehören, die als Herrin der Tiere motivisch häufig wiederkehrt.
Ein historischer Kunstschatz erster Güte ist es daher, der auf dem computertomographischen Messtisch der Fachhochschule Aalen gelandet ist. Entsprechend hoch sind die Sicherheitsvorkehrungen, die Dr. Irmgard Pfeiffer-Schäller bei der Durchleuchtung der Böcke treffen muss. Die Luftfeuchtigkeit im Innern des Tomographen wird konstant auf 55 Prozent gehalten. Ein Durchleuchtungsvorgang dauert mehrere Stunden. Dann ist die Holzskulptur dreidimensional auf den hundertstel Millimeter genau vermessen. Die Messdaten geben Aufschluss in dreierlei Hinsicht. Einmal wird ersichtlich, ob die Böcke aus ein und demselben Baum gefertigt wurden. Außerdem kann ihr genaues Alter bestimmt werden. Und schließlich erlaubt die präzise Kenntnis des Innenlebens der Skulpturen gezielte Instandhaltungsmaßnahmen.
Das Röntgenbild des Tomographen zeigt am Bildschirm eines Rechners die Jahresringe deutlich sichtbar als graue Linien. Ebenso deutlich erkennt man die Markstrahlen. Diese Zellbündel streben radial vom Kern des Holzes nach außen zur Rinde. Aus deren Abbildung kann unmittelbar die Mitte des Holzstammes rekonstruiert werden. Weil zudem an jeder beliebigen Stelle die Jahresringe angezeigt werden können, lässt sich so die exakte Position der Skulptur im ehemaligen Baum bestimmen.
„In den Böcken können wir nicht nur die Jahresringe erkennen, sondern sogar die Grenze zwischen dem Kernholz und dem Splintholz als Grauwertunterschied“, erklärt der Dendrochronologe Michael Friedrich vom Institut für Botanik der Universität Hohenheim. Für ihn ist die zerstörungsfreie Messmethode an der FH Aalen geradezu revolutionär: „Mit nur einem Messvorgang erhält man eine Unmenge an Information, die für die Wissenschaft von enormer Bedeutung ist!“ Michael Friedrich will anhand der Messungen computertomographische Charakteristika für die Abbildung von Splintholz auf dem Rechner herausarbeiten. Das Splintholz befindet sich direkt unter der Borke und ist zur exakten Bestimmung des Fälljahres eines Baumes vonnöten. Dass die Computertomographie die Dendrochronologie weiterbringen wird, davon ist Michael Friedrich überzeugt. Er weiß, die Museen sind voll von sensiblen Objekten, die nun nicht nur genauestens datiert werden können, sondern auch zur Datierung weiterer Funde beitragen können.
Dass die keltischen Ziegenböcke äußerlich erstaunlich gut erhalten sind, erschließt sich einem auf den ersten Blick. Wie es dagegen in ihrem Inneren ausschaut, war bisher nur an einzelnen Stellen über Probebohrungen herauszufinden. Jetzt ist der gesamte Korpus durchleuchtet und innere Schrumpfungen oder Risse lassen sich exakt lokalisieren. Genau diese Information benötigt Moritz Paysan. Er ist Diplomrestaurator am Württembergischen Landesmuseum. Die computertomographischen Aufnahmen erlauben es ihm, Schäden in den archäologischen Schätzen zu erkennen, bevor sie ein zerstörerisches Ausmaß entfalten. Die sichtbar gewordenen Hohlräume wird Moritz Paysan gezielt mit Tränkungsmitteln füllen. Auch der Restaurator ist begeistert: „Sogar mir nicht bekannte Bohrungen werden sichtbar, die Kollegen vor 30 Jahren gemacht und anschließend wieder versiegelt haben!“
Im März 2005 werden die Ziegenböcke samt der in Aalen hinzugewonnenen Erkenntnisse in Stuttgart neu ausgestellt. Die Konzeption der Ausstellungspräsentation übernimmt die Fachhochschule für Gestaltung aus dem nachbarlichen Schwäbisch Gmünd.
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