Higgs-Boson verhält sich wie theoretisch vorhergesagt
Die Existenz des Higgs-Bosons wurde bereits 1964 von dem britischen Wissenschaftler Peter Higgs postuliert. Seitdem ist es gewissermaßen zur Fahndung ausgeschrieben. Es dauerte aber bis zum Jahr 2012, bis am Europäischen Teilchenphysiklabor CERN bei Genf in der Schweiz erstmals ein Teilchen nachgewiesen wurde, das genau zu diesem Steckbrief passte.
Noch nicht endgültig geklärt ist aber die Frage, ob das Higgs-Boson tatsächlich die Eigenschaften aufweist, die es laut Standardmodell haben müsste. Dazu zählt etwa die Annahme, dass es mit anderen Teilchen auf eine charakteristische Weise wechselwirkt. „Wir haben nun belegt, dass diese These zumindest für bestimmte Teilchen zutrifft – nämlich die Tau-Leptonen und die Top-Quarks“, erklärt Dr. Markus Cristinziani, Privatdozent am Physikalischen Institut der Universität Bonn.
Wirbel im Sirup
Higgs-Bosonen sind Anregungen des so genannten Higgs-Feldes. Dieses Feld ist ubiquitär; es durchzieht das gesamte Universum. Dabei wirkt es etwa wie eine Art zäher Sirup, der die Teilchen, die durch ihn fliegen, abbremst. Je stärker er an ihnen „zieht“, desto mehr Masse verleiht er ihnen. Gleichzeitig wird der Higgs-Sirup durch die hindurchwandernden Teilchen aufgewirbelt. Je schwerer die Teilchen, desto stärker ist diese so genannte Yukawa-Wechselwirkung mit dem Higgs-Feld.
Diese Wechselwirkung wurde nun von den Wissenschaftlern erstmals direkt beobachtet. Dahinter stand folgende Überlegung: Wenn es stimmt, dass zum Beispiel ein Elektron bei seiner Reise durch das Higgs-Feld durch die Yukawa-Wechselwirkung Masse erhält, dann sollten umgekehrt beim Zerfall des Higgs-Bosons auch massive Elektronen entstehen können. Und: Je schwerer das Teilchen, desto häufiger sollte der entsprechende Zerfall sein.
Am LHC-Beschleuniger des CERN lässt man Atomkerne mit einem irrsinnigen Tempo aufeinander rasen. Bei diesen Crashs entstehen neue Teilchen – darunter in sehr seltenen Fällen auch Higgs-Bosonen. „Wir haben uns nun angesehen, was danach passiert“, erklärt Dr. Peter Wagner vom Physikalischen Institut. „Dabei konnten wir mit dem ATLAS-Detektor nachweisen, dass das Higgs hin und wieder in zwei so genannte Tau-Leptonen zerfällt – das sind vereinfacht gesagt besonders schwere Elektronen.“
Diese Zerfallsereignisse waren – im Rahmen der Messgenauigkeit – exakt so häufig, wie es von der Theorie vorhergesagt wird. „Dass es sich dabei um einen Zufall handelt, ist extrem unwahrscheinlich“, betont Wagners Kollege Dr. Christian Grefe. „Wir sind uns daher sicher, dass wir damit tatsächlich die Yukawa-Wechselwirkung beobachtet haben.“
Untersuchungen gehen weiter
Beim Top-Quark lag die Sache etwas komplizierter: Es ist schwerer als das Higgs-Boson, kann also nicht durch Zerfall aus ihm entstehen. Allerdings werden beim Teilchen-Crash hin und wieder gleichzeitig ein Higgs und zwei Top-Quarks erzeugt – auch das eine Folge der Yukawa-Wechselwirkung. „Wir haben diese Ereignisse nachweisen können und auch in diesem Fall genau die postulierte Häufigkeit beobachtet“, erläutert Markus Cristinziani.
Beide Beobachtungen stützen eindrucksvoll die Standardtheorie der Elementarteilchenphysik. Allerdings ist damit noch nicht nachgewiesen, dass sich das Higgs-Boson an manchen Punkten nicht doch anders verhält als prognostiziert. „Bis das Higgs vollständig untersucht ist“, betont Cristinziani, „wird es wohl noch ein bis zwei Jahrzehnte dauern.“
Publikationen:
[1] Cross-section measurements of the Higgs boson decaying to a pair of tau leptons in proton–proton collisions at √s = 13 TeV with the ATLAS detector, Vorabveröffentlichung, ATLAS-CONF-2018-021, http://cdsweb.cern.ch/record/2621794
[2] Observation of Higgs boson production in association with a top quark pair at the LHC with the ATLAS detector, Preprint http://arxiv.org/abs/1806.00425
Kontakt:
Privatdozent Dr. Markus Cristinziani
Physikalisches Institut der Universität Bonn
Tel.: +41 (0)22-76-78123 (CERN) oder mobil +49 (0)157-85534165
E-Mail: cristinz@uni-bonn.de
Dr. Peter Wagner
E-Mail: wagner@physik.uni-bonn.de
Dr. Christian Grefe
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Privatdozent Dr. Philip Bechtle
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