Neue Herangehensweise bei sich selbstmontierenden Mikromaschinen
Einen Roboter mit vielen verschiedenen Komponenten zu bauen, ist eine anspruchsvolle Aufgabe. Noch mehr, wenn man an einem nur wenige Mikrometer kleinen Roboter tüftelt. Da ist es praktisch, wenn sich die Teile selbst zusammenbauen.
Die Selbstkonfigurierung der Komponenten sogenannter Mikromaschinen ist nichts Neues; diese Methode wenden Forscher seit Jahrzehnten an. Magnetische Partikel, die unter rotierenden Magnetfeldern interagieren, bauen sich selbst zusammen, ebenso wie Komponenten, die durch chemische Reaktionen aneinander andocken. Ein Beispiel dafür sind bakterielle Mikroschwimmer. Das Endergebnis dieser selbst montierten Mikromaschinen ist jedoch sehr begrenzt – bis heute.
Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Intelligente Systeme in Stuttgart (MPI-IS) wagten eine neue Herangehensweise, um nicht nur eine, sondern viele unterschiedlich geformte Maschinen zwischen 40 und 50 Mikrometern klein.
Diese Mikromaschinen sind etwa halb so groß wie der Durchmesser eines menschlichen Haares – und bauen sich selbst zusammen. Sie zeigten in ihrer Forschungsarbeit, dass eine programmierbare Selbstmontage ihrer Mikromaschinen allein durch das Design und die Struktur der einzelnen Komponenten möglich ist: durch die Nutzung dielektrophoretischer Kräfte, die sich in einem inhomogenen elektrischen Feld um die einzelnen Teile herum bilden.
In dieser Umgebung können das Maschinengerüst, das größte Bauteil, und die magnetischen Einzelteile kontrolliert zusammengesetzt werden. Die bahnbrechende Forschungsarbeit der Stuttgarter Wissenschaftler wurde am 24. Juni 2019 im Fachjournal Nature Materials unter dem Titel Shape-encoded dynamic assembly of mobile micromachines veröffentlicht.
Berk Yigit, Doktorand in der Abteilung für Physische Intelligenz am MPI-IS, und Yunus Alapan, ein Postdoc und Maschinenbauingenieur aus der gleichen Abteilung, sind beide Hauptautoren der oben genannten Publikation.
Metin Sitti, Direktor am MPI-IS und Leiter der Abteilung für Physische Intelligenz, ist Letztautor.
„Wir nutzen die form- und materialspezifischen Kräfte in einem inhomogenen elektrischen Feld“, erklärt Alapan. „Die Form des Maschinengerüsts oder -rahmens einerseits und der kleineren Komponenten andererseits beeinflussen die umliegenden Gradienten. Diese entwickeln eine Anziehungskraft zwischen den Einheiten. Mit dieser Kraft lassen sich dann Mikromaschine zusammensetzen. Wenn wir die Form der Komponenten ändern, steuern wir, wie diese Gradienten erzeugt werden und damit, wie die Komponenten sich gegenseitig anziehen.“
„Die Komponenten unserer Mikromaschinen sind übrigens nicht fest zusammengebaut“, fügt Yigit hinzu. „Sie können sich relativ zueinander bewegen, was eine noch komplexere Fortbewegung ermöglicht. Stellen Sie sich vor, die Räder eines Autos drehen sich, aber das Fahrgestell bleibt unverändert: Das Auto in seiner Gesamtheit bewegt sich vorwärts und kann in viele Richtungen fahren. Anstatt starre Verbindungen herzustellen, kann sich jedes Teil einzeln bewegen.“
Die Herstellung der einzelnen Komponenten erfolgte durch ein spezielles 3D-Druckverfahren mit Zwei-Photonen-Lithographie. „Unser erstes Design war ein Mikroauto, eine Hommage an die Allgegenwärtigkeit des Radantriebs in unserem Leben“, sagt Alapan.
„Wir haben das 3D-Chassis mit seinen Radtaschen ausgewählt, da diese Struktur ideale Anziehungskräfte entwickelt, um die magnetischen Räder anzuziehen. Innerhalb weniger Sekunden, nachdem wir das elektrische Spannungsfeld angeschaltet haben, zog es die Räder in die Radtaschen!“ Anschließend steuerten die Forscher das Mikrofahrzeug durch ein vertikal drehendes Magnetfeld, wie hier zu sehen ist.
Alapan und Yigit probierten viele verschiedene Bauteilgrößen und -formen aus, ihre winzigen, selbst-montierenden Roboter gibt es in vielen Varianten: Den Forschern gelang es wie oben erwähnt ein Mikroauto zu bauen, und sogar etwas, das einer kleinen Rakete und einer Mikropumpe ähnelt. Während die Pumpe dreht, werden magnetische Partikel entlang ihrer Spirale nach oben bewegt.
Dies führt zu einem Pumpeffekt, wenn sich eine Mikropumpe in der Nähe einer anderen befindet. Die Forscher zeigten weiter, dass sie nicht nur einzelne Mikroroboter bauen können, sondern gleich mehrere Mikroroboter zusammensetzen können. Das ebnet den Weg für hierarchisch strukturierte Multi-Roboter-Baugruppen.
Die Möglichkeit, sich auf viele verschiedene Arten bewegen zu können, ist von großem Vorteil: Es könnte der entscheidende Faktor sein, ob solche Mikromaschinen eines Tages im Körper als Medikamenten-Lieferanten eingesetzt werden können, oder Tumorzellen aufspüren. Sich vielseitig fortbewegen zu können, ist in solch unwägbarem Terrain äußerst wichtig.
Bei einem sind sich die Forscher sicher: Die oben genannte Methode der Selbstmontage, um Mikromaschinen in vielen verschiedenen Formen und Größen bauen zu können, wird einen großen Einfluss auf die Wissenschaft haben. „Mikromaschinen, die vielfältig mobil sind, eines Tages gezielt in vitro Medikamente verabreichen können, die einzelne Zellen manipulieren können – der Bau solcher Maschinen dieser Größenordnung ist eine große Herausforderung. Unser neuer Ansatz könnte die Komplexität dieser Aufgaben reduzieren“, sagt Sitti.
Pressekontakt:
Linda Behringer
Max-Planck-Institut für Intelligente Systeme, Stuttgart
T: +49 711 689 3552
M: +49 151 2300 1111
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Über uns:
Am Max-Planck-Institut für Intelligente Systeme wollen wir die Prinzipien von Wahrnehmung, Handeln und Lernen in intelligenten Systemen verstehen.
Unser Institut ist auf zwei Standorte verteilt: Stuttgart und Tübingen. Die Forschung am Standort Stuttgart umfasst Kleinrobotik, Selbstorganisation, haptische Wahrnehmung, bio-inspirierte Systeme, medizinische Robotik und physikalische Intelligenz. Der Tübinger Standort des Instituts konzentriert sich auf maschinelles Lernen, Computer Vision und die Steuerung intelligenter Systeme.
Das MPI-IS ist eines der 84 Max-Planck-Institute der Max-Planck-Gesellschaft. Sie ist Deutschlands erfolgreichste Forschungsorganisation. Seit ihrer Gründung im Jahr 1948 sind nicht weniger als 18 Nobelpreisträger aus den Reihen ihrer Wissenschaftler hervorgegangen, womit sich die MPG mit den besten und renommiertesten Forschungseinrichtungen weltweit messen kann.
Alle Institute betreiben Grundlagenforschung im Dienste der Allgemeinheit in den Natur-, Lebens-, Sozial- und Geisteswissenschaften. Die Max-Planck-Institute konzentrieren sich auf Forschungsfelder, die besonders innovativ sind oder besonders hohe Anforderungen an die Finanzierung oder den Zeitaufwand stellen. Und ihr Forschungsspektrum entwickelt sich ständig weiter: Neue Institute werden gegründet, um Antworten auf zukunftsträchtige wissenschaftliche Fragen zu finden, während andere geschlossen werden, wenn beispielsweise ihr Forschungsfeld an den Universitäten weit verbreitet ist. Diese kontinuierliche Erneuerung erhält den Spielraum, den die Max-Planck-Gesellschaft braucht, um schnell auf wegweisende wissenschaftliche Entwicklungen reagieren zu können.
Dr. Metin Sitti ist Direktor der Abteilung für Physische Intelligenz am Max-Planck-Institut für Intelligente Systeme in Stuttgart. Sitti erhielt 1992 und 1994 seinen BSc und MSc in Elektrotechnik von der Boğaziçi Universität in Istanbul und 1999 seinen Doktortitel in Elektrotechnik von der Universität Tokio. In den Jahren 1999 und 2002 war er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der University of California in Berkeley. In den Jahren 2002-2016 war er Professor am Department of Mechanical Engineering and Robotics Institute der Carnegie Mellon University in Pittsburgh, USA. Seit 2014 ist er einer der Direktoren am Max-Planck-Institut für Intelligente Systeme.
Sitti und sein Team wollen die Prinzipien von Design, Fortbewegung, Wahrnehmung, Lernen und Steuerung von kleinen mobilen Robotern aus intelligenten und weichen Materialien verstehen. Die Intelligenz solcher Roboter beruht hauptsächlich auf ihrem physischen Design, ihrem Material, ihrer Anpassung und ihrer Selbstorganisation und nicht auf ihrer rechnerischen Intelligenz. Solche Methoden der physischen Intelligenz sind für kleine Milli- und Mikroroboter unentbehrlich, vor allem wegen ihrer inhärent eingeschränkten Rechen-, Antriebs-, Leistungs-, Wahrnehmungs- und Steuerungsmöglichkeiten an Bord. Sittis Zukunftsvision ist, dass seine neuartigen Kleinrobotersysteme eines Tages im Gesundheitswesen, in der Biotechnologie, in der Produktion oder in der Umweltüberwachung eingesetzt werden könnten.
Dr. Yunus Alapan ist Postdoc und Humboldt Stipendiat in der Abteilung für Physische Intelligenz des Max-Planck-Instituts für Intelligente Systeme in Stuttgart. Er erhielt seinen BSc und MSc in Maschinenbau von der Yildiz Technical University in Istanbul in 2011 bzw. 2012 und seinen Doktortitel in Fach Maschinenbau von der Case Western Reserve University im Jahr 2016.
Dr. Alapan gewann den ersten Platz im NASA Tech Briefs' Create the Future Design Contest in der Kategorie Medical im Jahr 2014 und den Student Technology Prize for Primary Healthcare des Center for Integration of Medicine and Innovative Technology in 2016. Seine Postdoc-Forschung wird seit Februar 2017 von der Alexander von Humboldt-Stiftung gefördert.
Berk Yigit ist Doktorand in der Abteilung für Physische Intelligenz des Max-Planck-Instituts für Intelligente Systeme in Stuttgart. Yigit erhielt seinen BSc-Abschluss 2012 von der Fakultät für Maschinenbau der Universität Boğaziçi und seinen MSc-Abschluss 2014 von der Fakultät für Biomedizinische Technik der Universität Koç in der Türkei. Yigit ist seit 2014 ebenfalls Doktorand im Bereich Maschinenbau an der Carnegie Mellon University in Pittsburgh, USA. Yigit entwickelt in seiner Doktorarbeit selbstorganisierende Robotersysteme, die mikroskopische Schwärme bilden, die von lebenden Systemen inspiriert sind.
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