Volkskrankheit Diabetes im Fokus: Warum verweigern Beta-Zellen die Freigabe von Insulin?
Jeder elfte Erwachsene weltweit leidet an Diabetes, Tendenz stark steigend. Diabetes ist weltweit eine der am weitesten verbreiteten Krankheiten. Bei der häufigsten Diabetesform, dem Typ-2-Diabetes, reagieren die Körperzellen zunehmend unempfindlich auf das Hormon Insulin, das von Beta-Zellen in der Bauchspeicheldrüse gebildet wird und die Aufnahme von Zucker aus dem Blut in die Zellen fördern soll.
Patienten leiden infolge der zunehmenden Insulinresistenz der Zellen an einem erhöhten Blutzuckerspiegel mit weitreichenden Folgen. Nach langjähriger Krankheit versiegt die Insulinproduktion, und Patienten mit Typ-2-Diabetes müssen Insulin spritzen.
Was ist die Ursache hierfür?
Forscher des Zentrums für Regenerative Therapien (CRTD) der Technischen Universität Dresden (TUD) haben gemeinsam mit Kollegen des Imperial College London und weiteren Forschungsinstituten aus Großbritannien, Kanada und Italien erstaunliche Zell-Interaktionen nachgewiesen:
Die Beta-Zellen der Bauchspeicheldrüse arbeiten in hochvernetzten Verbünden, sogenannten Inselzellen, und ihre Reaktionen auf steigenden Blutzuckerspiegel werden von gewissen „Chef“-Zellen (Leader-Zellen) koordiniert.
Prof. Guy Rutter vom Imperial College London und Professor David Hodson (jetzt tätig an der Birmingham University in Großbritannien) hatten zuvor gezeigt, dass dieses Prinzip bei isoliertem Gewebe existiert.
Nun zeigten die Wissenschaftler, dass dies auch bei lebenden Tieren, unter anderem bei Zebrafischen und Mäusen, der Fall ist. Zum Nachweis dessen hat das Forscherteam eine innovative Bildgebungstechnik entwickelt, mit der sie die hierarchische Beziehung der Beta-Zellen „in vivo“ beobachten konnten.
„In den Modellorganismen sahen wir, dass bei einem Anstieg des Blutzuckerspiegels die Reaktion der Beta-Zellen von zeitlich begrenzt existierenden Leader-Zellen gesteuert wurde. Haben wir die Leader-Zellen dann gezielt deaktiviert, waren die Reaktionen auf Zucker auf einmal gestört“, erklärt Promotionsstudent Luis Delgadillo Silva, einer der zwei Hauptautoren der Studie.
Mathematische Analysen belegten, dass die Leader-Zellen eine Kontrollfunktion für die Insel-Zellen innehaben. Darüber hinaus konnten die Forscher zeigen, dass einige Beta-Zellen eine einzigartige molekulare Signatur haben. Diese erlaubt es ihnen offenbar, eine aktive Rolle im Stoffwechsel zu spielen und stattet sie mit einer höheren Zucker-Sensibilität aus.
Die Wissenschaftler werden auf Basis dieser Erkenntnisse nun untersuchen, wie wichtig Leader-Zellen für die Entwicklung von Diabetes sind. „Es ist wichtig für uns zu verstehen, ob Leader-Zellen anfälliger für Schäden sind, wenn sich Diabetes entwickelt, und vor allem, ob sie gezielt eingesetzt werden können, um starke und gesunde Insulinreaktionen aufrechtzuerhalten, um die Krankheit zu heilen“, erklärt Dr. Victoria Salem, Senior Clinical Research Fellow am Imperial College London, Section of Investigative Medicine, die die Arbeit an der Studie im britischen Team leitete.
„Um die Rolle der Leader-Zellen in den Insel-Zellen besser zu verstehen, haben wir eine Reihe neuer Methoden für unsere Arbeit mit Zebrafischen entwickelt. Wir wollen Beta-Zellen aktivieren oder zum Schweigen zu bringen, indem wir sie dem Licht aussetzen. Außerdem werden wir einzelne Zellen über längere Zeit beobachten. Mit diesen Tools können wir genau feststellen, wie viele Zellen von einer Leader-Zelle kontrolliert werden und welche Gene die Identität einer Leader-Zelle bestimmen“, erklärt Luis Delgadillo Silva.
Ihre Ergebnisse haben die Wissenschaftler jetzt im Wissenschaftsmagazin Nature Metabolism veröffentlicht und zieren das aktuelle Cover des Wissenschaftsjournals. Der in Dresden ausgeführte Teil der Studie wurde u.a. finanziert durch die TUD / CRTD, die Deutsche Forschungsgemeinschaft, den Freistaat Sachsen, das Deutsche Zentrum für Diabetesforschung sowie die Europäische Stiftung für Diabetesforschung.
Luis Delgadillo Silva ist in der Forschungsgruppe von Dr. Nikolay Ninov tätig. Das Team erforscht die Beta-Zellen der Bauchspeicheldrüse als wichtigste Sensoren und Regulatoren des Stoffwechsels. Die Forschungsgruppe arbeitet am CRTD der TU Dresden, wo Spitzenforscher aus mehr als 30 Ländern die Prinzipien der Zell- und Geweberegeneration entschlüsseln und deren Nutzung zur Diagnose und Behandlung von Krankheiten ergründen.
Das CRTD verknüpft Labor und Klinik, vernetzt Wissenschaftler mit Ärzten, nutzt Fachwissen in Stammzellforschung, Genom-Editierung und Geweberegeneration für das eine Ziel: die Heilung von Stoffwechselerkrankungen wie Diabetes, neurodegenerativen Erkrankungen wie ALS, Alzheimer und Parkinson, hämatologischen Krankheiten wie Leukämie sowie Augen- und Knochenerkrankungen mittels neuer Diagnose- und Therapiemöglichkeiten.
Dr. Nikolay Ninov
Tel: +49 (0) 351 463 82104
Email: nikolay.ninov@tu-dresden.de
Webpage: www.crt-dresden.de
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