Wie wir lernen, unseren Weg zu finden
Kernspintomographie-Studie zeigt, wie das Gehirn automatisch und unbewusst wichtige Wegmarkierungen in einer bestimmten Hirnregion abspeichert
Damit wir den richtigen Weg durch unsere Umgebung finden, müssen wir uns wichtige Informationen über die Wegstrecke merken. Doch bisher war nicht bekannt, wie unser Gehirn das bewerkstelligt. Gabriele Janzen und Miranda van Turennout vom Max-Planck-Institut für Psycholinguistik und dem FC Donders Centrum für Cognitives Neuroimaging in Nijmegen/Niederlande haben jetzt mittels funktioneller Magnet-Resonanz-Tomographie nachgewiesen, dass unser Gehirn selektiv nur jene Markierungen im so genannten parahippocampalen Gyrus abspeichert, die an navigationsrelevanten Positionen entlang einer Route platziert sind. Diese Abspeicherung von Schlüsselinformationen erfolgt automatisch und häufig unbewusst und bildet offensichtlich die neuronalen Grundlage für unser effizientes und erfolgreiches Navigieren durch bekannte oder unbekannte Umgebungen. Diese Befunde wurden in der neuesten Ausgabe von Nature Neuroscience (Nature Neuroscience, 1. Juni 2004) veröffentlicht.
Navigation ist für uns Menschen Teil unserer Natur und wichtig für unsere Anpassung und unser Überleben: Jeden Tag neu verbringen wir beträchtliche Zeit damit, uns in unserem Umfeld zu orientieren und zu bewegen. Doch um sich in einem fremden Stadtteil nicht zu verlaufen, müssen Objekte entlang des Weges sehr schnell identifiziert und als ‚’Landmarken’ im Gedächtnis gespeichert werden. Wo sich der Weg teilt, müssen wir eine Entscheidung treffen, denn ein Fehler an dieser Stelle könnte fatale Folgen haben. Neuropsychologische und funktionelle Magnet-Resonanz Studien haben bisher gezeigt, dass der Hippocampus, eine Gehirnregion im Temporallappen, bei der räumlichen Navigation von vitaler Bedeutung ist, und speziell der parahippocampale Gyrus mit dem Lernen von Objekten und Objekt-Ort-Assoziationen befasst ist. Doch trotz der empirisch gezeigten Bedeutung von Landmarken an Entscheidungspunkten wissen wir nichts darüber, wie das Gehirn mit dieser wichtigen Information umgeht.
Gabriele Janzen und Miranda van Turennout haben nun gezeigt, dass der parahippocampale Gyrus auf die Relevanz dieser Markierungspunkte reagiert. Dazu führten die Wissenschaftlerinnen verschiedene Versuchspersonen per Film durch ein virtuelles Museum und stellten ihnen dabei die Aufgabe, sich die Objekte entlang ihrer Route zu merken. Die Objekte befanden sich auf Tischen an der Wand und waren zu gleichen Teilen an Kreuzungen (Entscheidungspunkten) sowie an simplen Abbiegungen aufgestellt, an denen keine Möglichkeit bestand, einen falschen Weg zu wählen.
Bei einer anschließenden Wiedererkennungsaufgabe sahen die Testpersonen die Gegenstände einzeln vor einem weißen Hintergrund, ohne Informationen über die Route. Die Personen lagen bei diesem Test im Kernspintomographen und sollten bei jeder Abbildung per Tastendruck („Ja“- und „Nein“-Tasten) entscheiden, ob sie den betreffenden Gegenstand zuvor bereits entlang ihrer Route gesehen hatten oder nicht. Dabei beobachteten die Wissenschaftlerinnen bei Gegenständen, die sie zuvor an relevante Orten (Entscheidungspunkte) platziert hatten, eine stärkere Aktivität im parahippocampalen Gyrus als bei Objekten, die sich ‚nur’ an einfachen Abbiegungen befunden hatten, bei denen eben keine Möglichkeit bestand, einen neuen Weg zu wählen.
Um ausschließen zu können, dass die Testergebnisse dadurch beeinflusst werden, dass die Testpersonen den Entscheidungspunkten besondere Aufmerksamkeit widmen, hatten die Versuchspersonen die Aufgabe, sich speziell alle im Museum verteilten Spielzeuge gut zu merken. Sie sollten später in der Lage sein, eine Museumstour für Kinder durchzuführen. Die Spielzeuge waren je zur Hälfte an Entscheidungs- bzw. Nicht-Entscheidungspunkten verteilt. Diese Aufmerksamkeitsaufgabe führte dazu, dass die Spielzeuge insgesamt schneller wiedererkannt wurden als andere Gegenstände. Entscheidend ist aber, dass das neuronale Aktivierungsmuster im parahippocampalen Gyrus durch diese selektive Aufmerksamkeit unbeeinflusst bleibt. Die Speicherung navigationsrelevanter Information erfolgt demnach unabhängig von Aufmerksamkeitsprozessen.
Ist es aber für die entsprechende Hirnaktivität notwendig, dass man sich erfolgreich erinnern kann? Um diese Frage zu beantworten, haben Janzen und van Turennout die wiedererkannten Objekte (korrekte Antworten) und die vergessenen Objekte (falsche Antworten) getrennt voneinander analysiert. Das Ergebnis: Der parahippocampale Gyrus zeigte dieselbe verstärkte Aktivität für erinnerte wie für vergessene Objekte. Die Assoziation zwischen wegfindungsrelevantem Ort und Objekt erfolgt demnach unabhängig von bewussten Erinnerungsprozessen.
Relevante räumliche Information wird also automatisch in unserem Gedächtnis gespeichert und kann auch ohne bewusste Wiedererkennung aktiviert werden. Dieser neuronalen Mechanismus ist somit die Basis, damit wir erfolgreich durch unsere räumliche Umgebung navigieren können. Diese Studie „liefert wichtige Einblicke in die Dynamik unseres Navigationssystems“, schreiben Hugo J. Spiers und Eleanore A. Maguire vom University College London in einem kommentierenden „News and Views“-Artikel in Nature Neuroscience, „das Gehirn identifiziert automatisch die Landmarken an den entscheidenden Punkten, braucht dafür nur eine Begegnung, und der Ort für die abgestimmte Verarbeitung dieser Informationen scheint tatsächlich der parahippocampale Gyrus zu sein.“
Originalveröffentlichung:
Janzen, G. & van Turennout, M.
Selective neural representation of objects relevant for navigation
Nature Neuroscience, 7, 673-677, 1 June 2004
Weitere Informationen erhalten Sie von:
Dr. Gabriele Janzen
Max-Planck-Institut für Psycholinguistik, Nijmegen, Niederlande
Tel.: +31(0) 24 3521-522, Fax: -213
E-Mail: gabriele.janzen@mpi.nl
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