Nierenkrebs an der Wurzel packen

Menschliche ccRCC-Organoide unter dem Mikroskop, markiert mit fluoreszenten Farbstoffen. AG W. Birchmeier, MDC

Krebszellen sind nicht alle gleich. Tumore enthalten gefährliche Krebsstammzellen, die Metastasen erzeugen und die Erkrankung erneut hervorbringen können, wenn sie der Behandlung entgehen.

Das macht sie zu einem wesentlichen Angriffspunkt von Therapien – wenn Wissenschaftler*innen sie isolieren und ihre Schwächen erforschen können. Doch die Zellen sind meistens so selten, dass sie für viele Krebsarten noch gar nicht gefunden wurden.

Gemeinsam mit der Abteilung für Urologie der Charité hat Professor Walter Birchmeiers Arbeitsgruppe am Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft (MDC) nun Krebsstammzellen entdeckt, die für die häufigste Form Nierenkrebs verantwortlich sind, das klarzellige Nierenzellkarzinom (ccRCC).

In einer berlinweiten Zusammenarbeit haben die Forscher*innen eine Schwachstelle gefunden. Die Zellen sind von zwei wesentlichen biochemischen Signalen abhängig. Beide zu blockieren, hat in mehreren Labormodellen der Erkrankung das Tumorwachstum aufgehalten, was eine vielversprechende Herangehensweise an die Behandlung menschlicher Patient*innen nahelegt.

Die Ergebnisse zeigen außerdem, dass Mäuse in der medizinischen Forschung weiterhin wichtig bleiben. Die Studie erscheint in der aktuellen Ausgabe von Nature Communications. Zu den Autor*innen gehören Forschende des MDC, der Abteilung für Urologie der Charité – Universitätsmedizin Berlin, des Berliner Instituts für Gesundheitsforschung/ Berlin Institute of Health (BIH), des „Screening Unit“ des Leibniz Forschungsinstituts für Molekulare Pharmakologie (FMP), das Unternehmen EPO sowie weitere Partner.

Zwei biochemische Schwachstellen

Für das Projekt war es zentral, die ccRCC-Krebsstammzellen zu identifizieren. Dr. Annika Fendler, Postdoktorandin in der Birchmeier-Gruppe und Mitglied der Abteilung für Urologie der Charité, ist Erstautorin der Veröffentlichung. Sie identifizierte drei Proteine auf den Zelloberflächen, was ermöglichte, sie zu markieren und dann zu isolieren.

Das wiederum erlaubte es Dr. Hans-Peter Rahn, die Zellen mit Hilfe von Fluoreszenz-aktivierter Zellsortierung (FACS) zu isolieren. Das Forschungsteam fand heraus, dass Krebsstammzellen nur etwa zwei Prozent der Gesamtheit der Zellen in menschlichen Tumoren ausmachen.

„Unsere Analyse dieser Zellen zeigt, dass sie von Signalen abhängen, die durch zwei biochemische Netzwerke namens WNT und NOTCH übertragen werden“, sagt Fendler. Weil bekannt war, dass diese Netzwerke bei anderen Krebsarten eine Rolle spielen, hatte die Arbeitsgruppe bereits Wege gefunden, sie zu unterbrechen. Gemeinsam mit dem FMP, einem Partnerinstitut auf dem Campus, hatten sie bereits einen wirksamen Hemmstoff (Inhibitor) für WNT-Signale entwickelt.

Die Rolle von WNT und NOTCH in den Stammzellen der Nierentumore war zuvor nicht vermutet worden. Denn Mutationen in diesen Netzwerken werden bei der Erkrankung nur selten gefunden. Beide Signale stehen jedoch in Verbindung mit einem Gen namens VHL, das Tumoren unterdrückt (Tumorsuppressor-Gen), das wiederum in einem engen Zusammenhang mit dem Nierenkrebs steht. Die neuen Ergebnisse legen nahe, dass man die Krebsstammzellen und damit die aggressivsten Teile des Tumors angreifen kann, indem man WNT, NOTCH oder beide Signale blockiert.

Inhibitoren biochemischer Signalwege ersetzen in der Klinik zunehmend Chemotherapie bei der Behandlung von Krebspatient*innen. „Man muss allerdings immer wissen, auf welchen Signalweg man zielen muss“, sagt Fendler. „Unsere Arbeit bietet eine bisher nicht bekannte Alternative zu den zur Zeit zugelassenen Therapien von Nierentumoren.“

Das Versprechen verschiedenartiger Modellsysteme

Erste Tests der neuen Inhibitoren waren vielversprechend. „Bemerkenswerterweise haben Dreiviertel der von Patient*innen stammenden Zellkulturen auf wenigstens eine Inhibitorenart angesprochen. 50 Prozent dieser Kulturen wurde besonders durch die Kombination beider Inhibitoren blockiert“, sagt Birchmeier.

Hier jedoch stieß die Arbeitsgruppe auf die größte Herausforderung der Krebsforschung: „Was wir im Labor herausfinden, ist normalerweise nur sehr schwer übertragbar auf den realen Lebenskontext der Patient*innen“, sagt Birchmeier. „Reguläre Zelllinien-Kulturen und Tiermodelle, die man aus anderen Laboren erhält, werden der Komplexität einer Erkrankung in einem menschlichen Körper nicht gerecht.“ Die Lösung besteht darin, andere Labormodelle zu entwickeln, die der menschlichen Erkrankung ähnlicher sind.

Birchmeier und seine Kolleg*innen hatten bereits große Erfahrung damit, Patient*innen Krebsstammzellen zu entnehmen, sie in Kulturen zu züchten und daran eine breite Auswahl von Wirkstoffen zu testen. In Zusammenarbeit mit dem Unternehmen EPO, das auf dem Campus in Berlin-Buch angesiedelt ist, haben sie außerdem Krebsstammzellen von Patient*innen in Mäuse transplantiert. Die Tiere entwickelten daraufhin Tumore, die praktisch identisch mit denen ihrer menschlichen Gegenstücke waren. Diese Tiere sind zentral für die Suche nach Therapien. Was einen menschlichen Tumor in Mäusen heilt, könnte auch bei Patient*innen wirken.

In dem aktuellen Projekt hat EPO Mäusen mit Tumoren einzeln und in Kombinationen WNT- und NOTCH-Inhibitoren injiziert und beobachtet, was passiert. Die wirkungsvollste Vorgehensweise bestand darin, beide Signale zu blockieren. Die Frage jedoch war: Würde dies genauso gut bei Menschen funktionieren?

Mini-Tumore aus dem Labor

Forschende haben in den letzten Jahren damit begonnen, aus den Zellen von Patient*innen Organoiden herzustellen: Miniaturversionen von Organen, die viele Zelltypen enthalten. Sie bestehen zwar aus menschlichem Geweben, können aber ohne die ethischen Probleme genutzt werden, die entstehen, wenn man Mittel an Patient*innen testet. Solche Organoide sind bereits für gesunde Nieren gezüchtet worden, ebenso für diverse weitere Organe und für Tumore wie Darmkrebs.

„Andere Arbeitsgruppen haben es auch schon mit ccRCC versucht, waren aber nicht besonders erfolgreich“, berichtet Fendler. „Das Gewebe ist nicht sehr gut gewachsen oder hat keine Organoide gebildet. Beide Faktoren sind wichtig, wenn man Modelle für Arzneimitteltests und Behandlungen entwickelt. Patient*innen mit dieser Erkrankung benötigen schnelle verlässliche Modelle, an denen Behandlungsreaktionen getestet werden können.“

Unterschiedliche Modelle, ähnliche Ergebnisse

„Das wichtigste Ergebnis der Studie“, sagt Birchmeier, „besteht darin, dass wir die wesentlichen Rollen der WNT- und NOTCH-Signalsysteme bei ccRCC identifiziert haben und dass wir zeigen, dass man ihre Blockierung einen Einfluss auf die Tumore hat.“ Die Ergebnisse aus den Modellsystemen unterscheiden sich leicht – ein Umstand, der noch untersucht werden muss. Mäuse werden also zurzeit weiterhin gebraucht.
Derweil bietet diese Forschung neue Versuchssysteme für Wissenschaftler*innen, die die Erkrankung erforschen. Annika Fendler führt inzwischen ihre Arbeit an Nierenkrebs-Modellen am Francis Crick Institute in London fort.

Die Forschenden hoffen, dass die in den Modellen entwickelte Vorgehensweise den Sprung in die Klinik schaffen und letztlich zu maßgeschneiderten Therapien führen. Therapien, die die gefährlichsten Zellen der Tumore ins Visier nehmen.

Das Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin (MDC)
 
Das Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft (MDC) wurde 1992 in Berlin gegründet. Es ist nach dem deutsch-amerikanischen Physiker Max Delbrück benannt, dem 1969 der Nobelpreis für Physiologie und Medizin verliehen wurde. Aufgabe des MDC ist die Erforschung molekularer Mechanismen, um die Ursachen von Krankheiten zu verstehen und sie besser zu diagnostizieren, verhüten und wirksam bekämpfen zu können. Dabei kooperiert das MDC mit der Charité – Universitätsmedizin Berlin und dem Berlin Institute of Health (BIH ) sowie mit nationalen Partnern, z.B. dem Deutschen Zentrum für Herz-Kreislauf-Forschung (DHZK), und zahlreichen internationalen Forschungseinrichtungen. Am MDC arbeiten mehr als 1.600 Beschäftigte und Gäste aus nahezu 60 Ländern; davon sind fast 1.300 in der Wissenschaft tätig. Es wird zu 90 Prozent vom Bundesministerium für Bildung und Forschung und zu 10 Prozent vom Land Berlin finanziert und ist Mitglied in der Helmholtz-Gemeinschaft deutscher Forschungszentren. www.mdc-berlin.de

Prof. Dr. Walter Birchmeier
Leiter der Arbeitsgruppe „Signalvermittlung in Entwicklung und Krebsentstehung“
Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft (MDC)
+49 (0)30 9406 3800
wbirch@mdc-berlin.de

Fendler, Annika et al. (2020): „Inhibiting WNT and NOTCH in renal cancer stem cells and the implications for human patients“, Nature Communications, DOI: 10.1038/s41467-020-14700-7.

https://www.mdc-berlin.de/de/birchmeier – Arbeitsgruppe von Walter Birchmeier am MDC

Media Contact

Jana Schlütter Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft

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