Wundheilende Wellen
Wie fragen Zellen in unserem Körper nach dem Weg? Selbst ohne eine Karte, die ihnen den Weg weist, wissen sie, wohin sie gehen müssen, um Wunden zu heilen und unseren Körper zu erneuern. Edouard Hannezo und seine Gruppe am Institute of Science and Technology Austria (IST Austria) haben soeben gemeinsam mit Tsuyoshi Hirashima und seiner Gruppe an der Universität Kyoto ein neues Paper in Nature Physics veröffentlicht, das zeigt, wie mechanische und chemische Wellen die Bewegung von Zellen koordinieren.
Viele Zellen in unserem Körper sind in Bewegung und scheinen irgendwie zu „wissen“, wohin sie müssen. Aber wie erfahren ihr Ziel? Diese Frage ist der Schlüssel zum Verständnis von Phänomenen wie der Erneuerung von Zellen in unserem Körper, der Wanderung von Krebszellen und insbesondere der Wundheilung.
Edouard Hannezo und seine Gruppe am Institute of Science and Technology Austria (IST Austria) schlagen in Zusammenarbeit mit Tsuyoshi Hirashima und seiner Gruppe an der Universität Kyoto ein neues Modell für Informationstransfer vor, bei dem Zellen selbstorganisierende Wellen nutzen, um eine Wunde zu schließen. Dieses Paper wurde kürzlich in der Zeitschrift Nature Physics veröffentlicht.
Die ForscherInnen kreierten ein mathematisches Modell, um die Wechselwirkungen innerhalb einer Schicht von Zellen auf einem Substrat, ähnlich einer Hautschicht, zu beschreiben. Diese Zellen enthalten Signalproteine, die es ihnen ermöglichen, andere Zellen um sie herum chemisch wahrzunehmen, also ob an ihnen gedrückt oder gezogen wird, und ihre eigene Bewegung zu kontrollieren.
Die WissenschafterInnen fanden heraus, dass das komplexe Zusammenspiel von Zellbewegung, Wahrnehmung der Umgebung und Proteinaktivierung innerhalb der Zellen zu gekoppelten mechanischen und chemischen Wellen führt, in denen die Information über ihre Richtung kodiert ist.
Feedbackschleifen
Die mechanische Welle tritt als Bereiche von mehr oder weniger Zellendichte in Erscheinung, die sich durch die Zellschicht bewegen. Die chemische Welle erscheint als Proteinaktivität und wird durch Zellbewegung und mechanische Rückkopplung ausgelöst. Diese chemischen Prozesse in den Zellen treiben wiederum Veränderungen der Zellform und ihr Bewegungen an und erzeugen damit eine Feedbackschleife. In diesem gekoppelten System entstehen die mechanischen und chemischen Wellen spontan durch Rückkopplung und Verstärkung.
In einer normalen unverwundeten Zellschicht breiten sich diese Wellen in zufällige Richtungen aus, aber wenn auf einer Seite eine künstliche Wunde eingebracht wird, orientieren sich die Wellen neu und breiten sich ausschließlich von der Wunde weg aus. Die ForscherInnen stellten daher die Hypothese auf, dass die Wellen ein Kommunikationsmittel sein könnten, das es den Zellen ermöglicht, sehr weit von der Wunde entfernt zu spüren, in welche Richtung sie sich bewegen sollen.
Wellen lesen
Eine Dichtewelle veranlasst die Nachbarn einer Zelle, diese entlang der Ausbreitungsrichtung der Welle zu schieben und zu ziehen. Da die Kräfte, die auf die Zelle ausgeübt werden, bei jedem Wellenberg und -tal gleich und entgegengesetzt sind, hat dies zur Folge, dass sich die Zelle nur kleine Strecken hin und her bewegt, ohne dass sie sich insgesamt fortbewegt. Tatsächlich hat die Zelle keine Möglichkeit, die Richtung zu erkennen, aus der die Welle kommt, und hat daher auch keine Informationen über den Ort der Wunde.
Hier kommt die zweite Welle der Proteinaktivität ins Spiel. Sie trifft die Zelle etwas nach der Dichtewelle aufgrund der Verzögerung, welche die Proteine zur Aktivierung benötigen. Und weil die Proteinaktivität die Geschwindigkeit steuert, mit der sich die Zellen bewegen, erlaubt eine Verzögerung zwischen den beiden Wellen, dass sich die Zellen schnell bewegen, wenn sie in Richtung der Wunde gezogen werden, und langsam, wenn sie weggeschoben werden. Auf diese Weise können die Zellen die Symmetrie brechen und sich in die bevorzugte Richtung der Wunde bewegen.
Experimente aus dem Gleichgewicht
Die ForscherInnen der Universität Kyoto beobachteten dieses Verhalten außerhalb des Gleichgewichts bei In-vitro-Experimenten mit echten Zellen auf einem Substrat. Sie verwendeten eine neuartige Mikroskopietechnik, mit der sie die Proteinaktivität innerhalb jeder Zelle messen konnten: Das Protein wurde so modifiziert, dass es bei Aktivierung aufleuchtet und so Wellen der Proteinaktivierung sichtbar macht, die sich in der Zellschicht ausbreiteten. Die WissenschafterInnen konnten die Wellenmuster quantitativ vorhersagen, die sie dann auch experimentell beobachteten.
Besonders auffallend war, dass die Verzögerung zwischen den beiden Wellen nahe am theoretisch vorhergesagten Optimum lag, das den Zellen zu erlaubt, aus den Wellen ein Maximum an Information zu gewinnen.
Dieser Mechanismus der Selbstorganisation ist bemerkenswert, weil er eine robuste und spontane Kommunikation über große Entfernungen innerhalb der Zellschichten ermöglicht. Er zeigt eine Möglichkeit auf, wie in unserem Körper koordiniertes Verhalten entstehen kann, das ihm hilft, zu sich zu heilen und zu wachsen.
Projektförderung:
Dieses Projekt wurde am IST Austria mit Mitteln des Österreichischen Wissenschaftsfonds (FWF) (P 31639) und des Europäischen Forschungsrates (851288) unterstützt. T. Hirashima verweist auf Finanzierung durch JST, PRESTO (JPMJPR1949). Dieses Projekt wurde vom Forschungs- und Innovationsprogramm „Horizont 2020“ der Europäischen Union im Rahmen des Marie Skłodowska-Curie Grant Agreement Nr. 665385 (an D. Boocock), vom JSPS KAKENHI Grant Nr. 17J02107 (an N. Hino) und vom SPIRITS 2018 der Universität Kyoto (an E. Hannezo und T. Hirashima) finanziert.
Originalpublikation:
Publikation:
D. Boocock, N. Hino, N. Ruzickova, T. Hirashima, E. Hannezo. 2020. Theory of mechanochemical patterning and optimal migration in cell monolayers. Nature Physics. DOI: https://doi.org/10.1038/s41567-020-01037-7
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