Licht definiert seinen eigenen geschützten Weg
„Schilde hoch!“
Wissenschaftler der Universität Rostock haben eine neue Art photonischer Schaltkreise entwickelt, in denen hochenergetische Lichtstrahlen ihren eigenen Weg definieren können – und sich dabei von äußeren Störeinflüssen abschirmen. Diese Entdeckung wurde kürzlich im renommierten Fachjournal „Science“ veröffentlicht.
„Photonen sind von Natur aus schwer zu zähmen“, erklärt Professor Alexander Szameit, Physiker von der Universität Rostock. Mit seiner Gruppe führte er die bahnbrechenden Experimente durch. „Kaum hat man sie an einem definierten Ort und zu einem definierten Zeitpunkt gesammelt, verselbstständigen sie sich schon wieder.“
Tatsächlich suchen Forscher seit Jahrhunderten nach Methoden, um Licht in gewünschte Bahnen zu lenken: Linsen und gekrümmte Spiegel konzentrieren Sonnenlicht auf einen winzigen Brennpunkt. Leistungsstarke Laser erzeugen kohärente Strahlen und kurze intensive Lichtpulse. Und optische Glasfaserkabel transportieren die gigantischen Datenmengen des Internets rund um die Welt. Dennoch sind Lichtwellen erstaunlich empfindlich. Schon ein kleiner Sprung in einer Linse, ein Staubkorn im Laserstrahl oder ein Knick in der Faser können die komplexen Mechanismen durcheinanderbringen, die das Licht zum wohl vielseitigsten Werkzeug der Menschheitsgeschichte machen.
Topologische Isolatoren sind Festkörper, deren Inneres für Elektronen undurchdringlich ist. Gleichzeitig leitet ihre Oberfläche jedoch elektrische Ströme komplett ungehindert. Diese erstaunlichen Materialien wurden 2007 das erste Mal von Laurens Molenkamp und seinem Team an der Universität Würzburg hergestellt. Ihre photonischen Gegenstücke haben Professor Szameit schon lange fasziniert. „Seit es uns das erste Mal gelungen ist, einen topologischen Isolator für Licht zu realisieren, arbeiten wir an neuen Wegen, diese einzigartigen Materialien nutzbar zu machen,“ erinnert sich der Physiker.
Photonische topologische Isolatoren führen Licht entlang genau definierter Bahnen. Die ihnen zugrundeliegenden mathematischen Prinzipien sorgen dabei für eine enorme Widerstandsfähigkeit gegenüber Herstellungsfehlern und äußeren Störeinflüssen. Aber gerade diese herausragenden Eigenschaften sind auch eine Hürde für ihren technologischen Einsatz: „Ist Licht einmal in einem topologischen Kanal gefangen, erfährt es keine Streuverluste mehr. Dies bedeutet aber auch, dass es von außen nicht mehr gesteuert werden kann, ohne den eben erst mühsam aufgebauten Schutz zu zerstören,“ bringt Koautor Dr. Matthias Heinrich, Mitarbeiter im Team von Professor Szameit, die Problematik auf den Punkt.
Auf dem Papier scheint die Lösung schnell gefunden: „Im Prinzip ist es eigentlich ganz einfach. Man braucht nur einen Schalter, mit dem man die topologischen Eigenschaften des Systems zwischen zwei aufeinanderfolgenden Lichtpulsen ein- oder ausschalten kann,“ scherzt Szameit. Die Topologie eines Systems hängt jedoch direkt mit der globalen räumlichen Anordnung seiner Bestandteile zusammen, während die Länge von ultrakurzen Laserpulsen in Femtosekunden (dem billionsten Bruchteil einer Millionstel Sekunde) gemessen wird – also viele Größenordnungen außer Reichweite der schnellsten Steuerelektronik.
In enger Zusammenarbeit mit Theoretikern aus Rostock, Barcelona, Lissabon und Moskau entwickelten die jungen Rostocker Forscher ein Material, in dem die Lichtpulse entscheiden können, ob sie den topologischen Schutz aktivieren oder sich wie in einem herkömmlichen Material ausbreiten. „Abhängig von ihrer Spitzenintensität können sich optische Pulse fundamental unterschiedlich verhalten,“ erklärt Lukas Maczewsky, Doktorand und Erstautor der Arbeit. „Das
Zauberwort heißt Nichtlinearität: In der Photonik ist zwei plus zwei manchmal deutlich mehr als vier.“
Zwei Jahre intensiver Forschungsarbeit und zahllose Stunden in den Laboren des Rostocker Instituts für Physik waren nun von Erfolg gekrönt. Der nichtlineare topologische Isolator – ein neuartiges synthetisches Material – gestattet es Lichtpulsen oberhalb einer bestimmten Leistungsschwelle, eine kurzlebige topologische Domäne in ihrem direkten Umfeld zu induzieren. „Wie die Schutzschilde der U.S.S. Enterprise folgt dieser selbsterzeugte Kokon den Pulsen auf ihrem Weg,“ so bringt der bekennende Star Trek-Fan Szameit die komplexe Physik auf den Punkt.
Das Ergebnis dieser erfolgreichen internationalen Kooperation stellt einen bedeutenden Fortschritt der Grundlagenforschung auf dem Gebiet der Quantenoptik und der topologischen Photonik dar. Auch wenn es noch einige Hürden zu überwinden gilt, bis daraus Bausteine eines funktionstüchtigen optischen Quantencomputers werden, sind der Phantasie kaum Grenzen gesetzt, wenn es um innovative Anwendungen der entwickelten Materialien geht. Photonische Datenverarbeitung und lichtbasierte neuronale Netzwerke mögen wie Science Fiction klingen, könnten aber durch den rasanten wissenschaftlichen Fortschritt schon bald Realität werden.
Die Arbeit wurde von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung gefördert.
Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Prof. Dr. Alexander Szameit
AG Experimentelle Festkörperoptik
Institut für Physik Universität Rostock
Tel.: +49 381 498-6790
E-Mail: alexander.szameit@uni-rostock.de
Originalpublikation:
Die Original-Veröffentlichung in „Science“ ist unter DOI: 10.1126/science.abd2033 verfügbar.
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