Durchbruch in der Kernphysik

Aus Kollisionsdaten des ALICE-Detektors ist es gelungen, unter anderem die starke Wechselwirkung zwischen einem Proton (rechts) und dem seltensten der Hyperonen, dem Omega-Hyperon (links), das drei seltsame Quarks enthält, mit hoher Präzision zu messen.
Bild: Daniel Dominguez / CERN

Präzise Messungen der starken Wechselwirkung zwischen stabilen und instabilen Teilchen.

Eigentlich müssten sich die positiv geladenen Protonen in Atomkernen gegenseitig abstoßen, und doch halten selbst schwere Kerne mit vielen Protonen und Neutronen zusammen. Verantwortlich dafür ist die sogenannte starke Wechselwirkung. Prof. Laura Fabbietti und ihre Forschungsgruppe an der Technischen Universität München (TUM) haben nun eine Methode entwickelt, bei Teilchenkollisionen am Experiment ALICE am CERN in Genf die starke Wechselwirkung präzise zu messen.

Die starke Wechselwirkung ist eine der vier Grundkräfte der Physik. Sie ist wesentlich dafür verantwortlich, dass Atomkerne existieren, die aus mehreren Protonen und Neutronen bestehen. Protonen und Neutronen bestehen wiederum aus kleineren Teilchen, den sogenannten Quarks. Und auch diese hält die starke Wechselwirkung zusammen.

Im Rahmen des Projekts ALICE (A Large Ion Collider Experiment) des CERN in Genf haben Prof. Laura Fabbietti und ihre Forschungsgruppe an der Technischen Universität München nun eine Methode entwickelt, mit hoher Präzision die Kräfte zu ermitteln, welche zwischen Protonen und Hyperonen wirken, instabile Teilchen mit sogenannten seltsamen Quarks.

Die Messungen sind nicht nur bahnbrechend für das Gebiet der Kernphysik, sondern auch der Schlüssel zum Verständnis von Neutronensternen, einem der rätselhaftesten und faszinierendsten Objekte unseres Universums.

Vergleich zwischen Theorie und Experiment

Eine der größten Herausforderungen der modernen Kernphysik ist es, die starke Wechselwirkung zwischen Teilchen mit unterschiedlichem Quark-Gehalt mittels erster Prinzipien zu verstehen, diese also aus den Kräften zwischen den Bestandteilen der Teilchen, den Quarks und den die Kraft vermittelnden Gluonen, abzuleiten.

Die Theorie der starken Wechselwirkung erlaubt jedoch keine zuverlässigen Vorhersagen für normale Nukleonen mit up- und down-Quarks, sondern nur für Nukleonen, die schwere Quarks enthalten, wie Hyperonen.

Experimente zur Messung der Kraft sind sehr schwierig, weil Hyperonen instabile Teilchen sind, die, kaum produziert, sofort wieder zerfallen. Ein aussagekräftiger Vergleich zwischen Theorie und Experiment war daher bislang nicht möglich. Die von Prof. Laura Fabbietti verwendete Methode öffnet nun eine Tür für hochpräzise Studien der Dynamik der starken Wechselwirkung am Teilchenbeschleuniger Large Hadron Collider (LHC).

Messung der starken Kraft auch für das seltenste Hyperon

Vor vier Jahren schlug Prof. Laura Fabbietti, Professorin für Dichte und seltsame hadronische Materie an der TUM, vor, die Femtoskopie zu nutzen, um die starke Wechselwirkung am Experiment ALICE zu erforschen. Diese Technik ermöglicht Untersuchungen mit einer räumlichen Auflösung nahe einem Femtometer (10^-15 Meter). Dies entspricht etwa der Größe eines Protons und auch der räumlichen Größenordnung, in der die starke Wechselwirkung wirksam ist.

Seither gelang es Prof. Fabbiettis Gruppe nicht nur, die Kollisionsdaten für die meisten Hyperon-Nukleon-Kombinationen zu untersuchen, sondern auch die starke Wechselwirkung für das seltenste aller Hyperonen, das Omega, zu bestimmen, welches aus drei seltsamen Quarks besteht.

Darüber hinaus haben die Physiker auch einen theoretischen Rahmen entwickelt, der Vorhersagen liefern kann. „Meine TUM-Gruppe hat der Kernphysik am LHC damit einen neuen Weg zur Messung der starken Wechselwirkung eröffnet, der alle Arten von Quarks umfasst – und dies mit einer unerwarteten Präzision und an einem Ort, den vorher niemand gesehen hat“, sagt Prof. Fabbietti. In der jetzt in „nature“ veröffentlichten Arbeit wird nur ein Teil der Interaktionen präsentiert, die zum ersten Mal untersucht wurden.

Enthalten Neutronensterne Hyperonen?

Ein Verständnis der Wechselwirkung zwischen Hyperonen und Nukleonen ist auch äußerst wichtig zur Überprüfung der Hypothese, ob Neutronensterne Hyperonen enthalten. Welche Kräfte zwischen den Teilchen herrschen, hat nämlich unmittelbaren Einfluss auf die Größe eines Neutronensterns.

Bislang ist unbekannt, welche Beziehung zwischen der Masse und dem Radius eines Neutronensterns besteht. Prof. Fabbiettis Arbeit wird in Zukunft daher auch dazu beitragen, das Rätsel der Neutronensterne zu lösen.

Dem Projekt ALICE (A Large Ion Collider Experiment) am Large Hadron Collider (LHC) gehören mehr als 1000 Wissenschaftler aus über 100 Instituten in 30 Ländern an. In Deutschland sind folgende Institutionen beteiligt: Universität Bonn, Universität Frankfurt, GSI Helmholtzzentrum für Schwerionenforschung, Universität Heidelberg, Universität Münster, TUM, Universität Tübingen und Hochschule Worms. In Deutschland erhält ALICE finanzielle Förderung vom BMBF und dem GSI Helmholtzzentrum für Schwerionenforschung.

Wissenschaftliche Ansprechpartner:

Prof. Dr. Laura Fabbietti
Professorin für Dichte und seltsame hadronische Materie
Technische Universität München
James-Franck-Str. 1, 85748 Garching
Tel. +49 89 289 12433
E-Mail: laura.fabbietti@tum.de

Originalpublikation:

ALICE Collaboration: Unveiling the strong interaction among hadrons at the LHC
Nature 588 , 232–238, 2020 – DOI: 10.1038/s41586-020-3001-6

Weitere Informationen:

https://www.tum.de/nc/die-tum/aktuelles/pressemitteilungen/details/36350/ Presseinformation auf der TUM-Website
https://www.nature.com/articles/s41586-020-3001-6 Originalpublikation
https://www.groups.ph.tum.de/denseandstrange/ Website der Forschungsgruppe

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