Oxid-Tuning durch Ionentransfer

Kontrolle elektronischer Eigenschaften durch Elektronen- und Ionentransfer
Copyright: Rose et al., Advanced Materials (2020), DOI: 10.1002/adma.202004132 (CC BY-NC-ND 4.0)

Jülicher Forschende entdecken neue Formel zur Veränderung elektronischer und magnetischer Eigenschaften von Oxid-Grenzflächen (Advanced Materials)

Die meisten Materialien sind entweder magnetisch, oder sie sind es nicht. Wissenschaftler des Forschungszentrums Jülich haben nun aber einen neuen Mechanismus entschlüsselt, der es ermöglicht, die elektronischen und magnetischen Eigenschaften eines Materials gezielt und umkehrbar zu verändern. Der Effekt beruht auf dem Transfer von Ionen an der Grenzfläche zweier Oxide – die Forschenden konnten nun die Existenz dieses Prozesses erstmalig experimentell nachweisen.

Beide Oxide allein zeigen typischerweise weder Magnetismus noch eine signifikante elektrische Leitfähigkeit. Erst in Kombination treten beide Eigenschaften an ihrer Grenzfläche auf. Die genauen Ursachen für deren Stärke sind noch unklar. Den Forschenden gelang es aber, die magnetische Ordnung an der Grenzfläche durch die Verschiebung von Ionen zu verändern. Das Material wird dadurch magnetischer. Über die Elektronenverteilung konnten sie zudem auch die elektrischen Eigenschaften kontrollieren.

Derartig flexible Materialsysteme sind für verschiedene neuartige IT-Konzepte wie das neuromorphe Computing oder spintronische Ansätze relevant. Eine mögliche Anwendung wäre etwa ein „multifunktionaler“ Transistor, der nicht nur elektrischen Strom sondern möglichweise auch ‚Spin-Ströme‘ steuern kann (Spintronics). Ein solches Bauteil könnte dann sowohl durch das Anlegen einer Spannung als auch eines Magnetfeldes gesteuert werden.

Das untersuchte „elektronische“ Grenzflächensystem aus den Oxiden LaAlO3 und SrTiO3 wurde bereits 2004 entdeckt und hat weltweites Interesse hervorgerufen. Beide Materialien tauschen an der Kontaktfläche sowohl Elektronen als auch atomare Bestandteile in Form geladener Ionen aus, wie die Jülicher Forscher nun erstmalig zeigen konnten. An der Grenzfläche bilden sich dadurch neue elektronische Eigenschaften aus. Ein ähnliches Phänomen ist klassischerweise auch von Halbleitern bekannt. Der rein elektronische Effekt ist dort aber ausschließlich auf den Austausch von Elektronen beschränkt.

Die Forschenden des Jülicher Peter Grünberg Instituts (PGI-7/PGI-6) konnten erstmals experimentell nachweisen, dass neben dem Austausch von Elektronen auch der „ionische“ Ladungstransfer für die Veränderung der elektronischen Eigenschaften des LaAlO3/SrTiO3-Systems verantwortlich ist. Das Konzept macht es möglich, die Leitfähigkeit der Grenzfläche einzustellen und gleichzeitig magnetische Eigenschaften zu generieren.

Über verschiedene „Mischungen“ von elektronischem und ionischen Ladungstransfer konnten sie verschiedene Grenzflächen herstellen, die sich hinsichtlich ihrer elektronischen und atomaren Struktur unterscheiden. Die Forschenden konnten beispielsweise Grenzflächen erzeugen, die eine hohe Leitfähigkeit und schwachen Magnetismus aufweisen oder aber eine niedrigere Leitfähigkeit und stärkeren Magnetismus.

Der experimentelle Nachweis gelang mittels Röntgen-Photoelektronenspektroskopie unter atmosphärischen Bedingungen (‚near-ambient pressure X-ray photoelectron spectroscopy, NAP-XPS). Die Methode ist noch recht neu und erlaubt – wie jetzt nachgewiesen wurde – direkten Zugriff auf die ionischen Prozesse an atomar definierten Grenzflächen. Im Experiment kann so die Bewegung von Kationen über die Grenzfläche hinweg untersucht und dynamisch über Temperatur und Sauerstoffatmosphäre gesteuert werden. Aus diesen Daten können gezielt Rückschlüsse über den Zusammenhang von ionischer Struktur und den resultierenden elektrischen und magnetischen Eigenschaften gezogen werden.

Prozess-Steuerung durch Sauerstoff-Kontakt

Die Kontrolle des Ionentransfers erfolgt über den Kontakt mit Sauerstoff. Dieser führt dazu, dass sich Strontium-Ionen (Sr) aus der Grenzfläche hinausbewegen. Jedes fehlende Sr-Ion bindet zwei Elektronen, die dann nicht mehr zur elektrischen Leitfähigkeit beitragen können, so dass die elektrische Leitfähigkeit sinkt. Gleichzeitig entstehen bei diesem Prozess Kristalldefekte, die die magnetische Ordnung der übrigen Elektronen beeinflussen. Somit wird das System magnetischer, während es an Leitfähigkeit verliert. Dass sich diese Kationen derart frei bewegen können, wurde vorher schon von Forschern postuliert, mehrheitlich allerdings für praktisch nicht möglich gehalten. Der experimentelle Nachweis dieses Prozesses in der vorliegenden Studie setzt daher einen Meilenstein im Verständnis ionischer Prozess an Oxid-Grenzflächen.

Das Forschungsprojekt wurde unter Federführung des PGI-7 und PGI-6 unter Beteiligung der RWTH Aachen, des PGI-1 sowie internationaler Kooperationen mit Forschern der Charles University in Prag, Advanced Light Source (ALS) in Berkeley und des Pacific Northwest National Laboratory (PNNL) in Richland durchgeführt.

Wissenschaftliche Ansprechpartner:

Dr. Felix Gunkel
Peter Grünberg Institut, Elektronische Materialien (PGI-7)
Tel.: +49 2461 61-5339
E-Mail: f.gunkel@fz-juelich.de

Originalpublikation:

M. Rose, B. Šmíd, M. Vorokhta, I. Slipukhina, M. Andrä, H. Bluhm, T. Duchoň, M. Ležaić, S. A. Chambers, R. Dittmann, D. N. Mueller*, F. Gunkel*
Identifying Ionic and Electronic Charge Transfer at Oxide Heterointerfaces
Advanced Materials 2004132 (published online 2 December 2020), DOI: 10.1002/adma.202004132

Weitere Informationen:

https://www.fz-juelich.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/UK/DE/2020/fachmeldungen… Meldung des Forschungszentrums Jülich

Media Contact

Dipl.-Biologin Annette Stettien Unternehmenskommunikation
Forschungszentrum Jülich

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