Alle Eigenschaften von Atomkernen beschreiben

S-DALINAC-Beschleuniger an der TU Darmstadt.
Bild: Jan-Christoph Hartung

Experimentelle Messungen am Elektronenbeschleuniger der TU Darmstadt bestätigen hauseigene theoretische Vorhersagen.

Im Rahmen der Entwicklung und Verbesserung experimenteller Messmethoden konnte ein internationales Forschungsteam unter Leitung der TU Darmstadt den extrem schnellen elektromagnetischen Zerfall eines angeregten Lithium-Isotops mit höchster Präzision vermessen. Die Daten zeigen, wie präzise an der TU mitentwickelte moderne Theorien der Kernkräfte die Wechselwirkung von Atomkernen mit elektromagnetischen Wellen vorhersagen können. Die Ergebnisse wurden jetzt im Journal Physical Review Letters veröffentlicht.

In der Natur vorkommende Atomkerne bestehen aus Protonen und Neutronen, die durch die starke Wechselwirkung zusammengehalten werden. Eine moderne Theorie dieser „Kernkräfte“, die an der TU Darmstadt innerhalb des Sonderforschungsbereichs (SFB) 1245 „Atomkerne: Von fundamentalen Wechselwirkungen zu Struktur und Sternen“ entwickelt wird, hat das Ziel, alle Eigenschaften von Atomkernen zu beschreiben.

Anfang des letzten Jahrzehnts war die Kernphysik-Theorie so weit fortgeschritten, dass die Berechnungen für einen einzigartigen angeregten Zustand des Isotops Lithium-6 (6Li) präziser zu sein schienen als der experimentelle Wert. Insbesondere beinhaltete die Theorie einen Effekt, der die Lebensdauer dieses Zustandes um ein paar wenige Prozentpunkte beeinflussen sollte. Um nachzuprüfen, ob das tatsächlich der Fall ist, wurde ein neues Hochpräzisionsexperiment durchgeführt.

Gleichzeitig haben die Theoretiker der TU die Berechnung dank neuer Fortschritte durchführen können. Ein umfassendes Modell der Kernkräfte sollte sich nahtlos in das heute vorherrschende System aus Elementarkräften der Physik einfügen. Diese sogenannte „Chirale Effektive Feldtheorie“ hat die vorteilhafte Eigenschaft, dass sie sich schrittweise verbessern lässt.

Die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen untersuchten die Wechselwirkung von Kernen mit elektromagnetischen Wellen, die in der Quantenphysik als Lichtteilchen oder Photonen beschrieben werden. Einen besonderen Stellenwert genießt hier das Isotop 6Li, das aus jeweils drei Protonen und Neutronen besteht. Es ist das einfachste System aus Kernteilchen, dessen angeregter Zustand durch Aussenden eines Photons zerfallen kann, also sehr gut für einen Test von fundamentalen Theorien geeignet. Wie die Autoren in ihrem Artikel darlegen, war schon abzusehen, dass die nächste Verbesserungsstufe der Theorie so präzise sein würde, dass die bisherigen Messdaten nicht mehr ausreichen, um die Qualität der Vorhersagen zu beurteilen.

Hochpräzisionsexperiment am supraleitenden Elektronen-Linearbeschleuniger S-DALINAC

Daher wurde am supraleitenden Darmstädter Elektronen-Linearbeschleuniger S-DALINAC des Instituts für Kernphysik der TU Darmstadt ein Hochpräzisionsexperiment zur Messung der Lebensdauer dieses Zustandes von 6Li durchgeführt. Durch den Elektronenstrahl des S-DALINAC können Photonen mit der millionenfachen Energie von sichtbarem Licht erzeugt werden, die zur Anregung von 6Li notwendig sind.

Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Arbeitsgruppe um Professor Pietralla verbesserten eine etablierte Messmethode entscheidend, sodass sie die Lebensdauer mit einer Genauigkeit von zwei Attosekunden, also zwei Trillionstel einer Sekunde, bestimmen konnten. Der Erfolg der Messung war davon abhängig, wie das verwendete Lithiumcarbonat-Material die Absorption von Photonen beeinflusst. Hier konnte die Arbeitsgruppe um Professor Albe vom Fachgebiet Materialmodellierung entscheidende Beiträge leisten.

Begleitend zum experimentellen Fortschritt, erzielte ein Team aus drei Doktoranden aus den Gruppen um Professor Roth und Professor Schwenk von der TU Darmstadt, sowie Professor Bacca von der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, zusammen mit nationalen und internationalen Kolleginnen und Kollegen einen Durchbruch und erreichten die erwartete hohe Präzision der theoretischen Vorhersagen.

„Ein Vergleich des experimentellen Ergebnisses mit der theoretischen Vorhersage zeigte eine hervorragende Übereinstimmung“, berichtet Udo Friman-Gayer, der während seiner Promotion bei Professor Pietralla an diesem Thema gearbeitet hat und jetzt als Postdoc in den USA angestellt ist.

Im Rahmen des SFB 1245 und des kürzlich gestarteten LOEWE – Projekts „Nukleare Photonik“ sollen künftig die Anwendbarkeit der neuen Messmethode und der verbesserten Theorie erweitert werden, um der Antwort auf fundamentale Fragestellungen wie nach der Entstehung der Elemente im Universum näherzukommen.

Originalpublikation:

https://journals.aps.org/prl/abstract/10.1103/PhysRevLett.126.102501

https://www.tu-darmstadt.de/universitaet/aktuelles_meldungen/einzelansicht_300672.de.jsp

Media Contact

Mareike Hochschild Stabsstelle Kommunikation und Medien
Technische Universität Darmstadt

Alle Nachrichten aus der Kategorie: Physik Astronomie

Von grundlegenden Gesetzen der Natur, ihre elementaren Bausteine und deren Wechselwirkungen, den Eigenschaften und dem Verhalten von Materie über Felder in Raum und Zeit bis hin zur Struktur von Raum und Zeit selbst.

Der innovations report bietet Ihnen hierzu interessante Berichte und Artikel, unter anderem zu den Teilbereichen: Astrophysik, Lasertechnologie, Kernphysik, Quantenphysik, Nanotechnologie, Teilchenphysik, Festkörperphysik, Mars, Venus, und Hubble.

Zurück zur Startseite

Kommentare (0)

Schreiben Sie einen Kommentar

Neueste Beiträge

Größte bisher bekannte magnetische Anisotropie eines Moleküls gemessen

An der Berliner Synchrotronstrahlungsquelle BESSY II ist es gelungen, die größte magnetische Anisotropie eines einzelnen Moleküls zu bestimmen, die jemals experimentell gemessen wurde. Je größer diese Anisotropie ist, desto besser…

Tsunami-Frühwarnsystem im Indischen Ozean

20 Jahre nach der Tsunami-Katastrophe… Dank des unter Federführung des GFZ von 2005 bis 2008 entwickelten Frühwarnsystems GITEWS ist heute nicht nur der Indische Ozean besser auf solche Naturgefahren vorbereitet….

Resistente Bakterien in der Ostsee

Greifswalder Publikation in npj Clean Water. Ein Forschungsteam des Helmholtz-Instituts für One Health (HIOH) hat die Verbreitung und Eigenschaften von antibiotikaresistenten Bakterien in der Ostsee untersucht. Die Ergebnisse ihrer Arbeit…