TV-Doku: Wissenschaft im Datenraum
In einer umfangsreichen Studie wurde die wissenschaftliche Arbeit von nahezu zweihundert Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern im Bereich der Hirnforschung untersucht. Ziel war es festzustellen, ob die Art der Datenanalyse der Aufnahmen aus Hirnscannern das Endresultat der Forschung beeinflusst – oder, pointierter gesagt: Wie weit man umfänglich ausgewerteten, digitalen Daten als Grundlage wissenschaftlicher Interpretationen trauen darf. Über die Studie und ihre doch bemerkenswerten Ergebnisse sprach Susanne Päch von HYPERRAUM.TV mit ihrem Initiator, dem Neurologen Simon Eickhoff in der TV-Doku Wissenschaft im Datenraum – Wie digitale Daten den Erkenntnisprozess verändern.
Das Ergebnis der Studie: Die angewandten, validen Verfahren und Methoden führten trotz identischer Rohdaten zu abweichenden Ergebnissen. Heutige Grundlagenforschung beruht also auf Messdaten, die ihre Eindeutigkeit verloren haben. Das hat gravierende Auswirkungen für den Erkenntnisprozess – in allen Bereichen heutiger Grundlagenforschung von der Astrophysik bis hin zur Hirnforschung.
Die digital arbeitenden Instrumente der Wissenschaft des 21. Jahrhundert erfassen inzwischen Daten, die sich weit von der menschlichen Wahrnehmung entfernt haben. Der Preis für diese massive Erweiterung von Beobachtungsdaten: Die Instrumente liefern uns nur noch das, was in der Wissenschaft als Rohdaten bezeichnet wird. In dieser ursprünglichen Form sind sie jedoch nicht nutzbar. Die digitalen Daten müssen, damit sie das menschliche Gehirn der analogen Welt verstehen kann, zuerst umcodiert werden. Erst dank dieser visuell fassbaren Datenauswertung ergeben sie einen wissenschaftlich interpretierbaren Sinn.
Damit aber solche Abbilder digitaler Messdaten entstehen können, werden laufend neue und Methoden der algorithmischen Datenverarbeitung entwickelt. Zum Teil stehen sich diese auch konkurrierend gegenüber. In der Astrophysik beispielsweise sind sie so kompliziert, dass sie oft nur noch ein kleiner Teil der Wissenschaftler überhaupt versteht. Dennoch zeigt sich für Eickhoff: Viele Detailergebnisse „konvergieren“ in eine bestimmte Richtung, wie er das nennt. Für Eickhoff ist die Suche des Wissenschaftlers nach Wahrheit deshalb inzwischen zur Suche nach der Konvergenz von Fakten in Meta-Analysen geworden. Die statistische Metaanalyse ist für ihn das neue Instrument der Wissenschaft, mit der nach der wissenschaftlichen Gewissheit meta-systematisch gesucht werden kann. Und mit der künstlichen Intelligenz hat sie einen mächtigen Helfer bekommen.
Die Unbestimmtheit wissenschaftlicher Ergebnisse öffnet trotzdem nicht das Tor für Wissenschaftsleugner, Querdenker oder all jene, die alternative Fakten der Wissenschaft für belegbar halten. Denn Wissenschaft spielt sich zwar an der Grenze menschlicher Erkenntnis ab, dort, wo heute Komplexitätsforschung eben zuhause ist. Doch die Unbestimmtheit ist ein typisches Randphänomen am Übergang zum Unbekannten. Hinter ihr aber liegt ein Jahrhunderte langer Weg systematischer Erforschung der beobachtbaren Wirklichkeit, die Basis menschlicher Erkenntnis in einem gültigen Weltbild. Auf dieser Grundlage hat die Suche nach dem Unbestimmten zwar einen fest gefügten Untergrund, dennoch bleibt
eine Grauzone: Die ganz großen Forscher der Vergangenheit waren die, die sich daran wagten, das ganz Andersartige zu denken und Grenzen zu sprengen. Ihre epochalen Erkenntnisse haben das Weltbild ihrer Zeit verändert, und deshalb waren sie zuerst oft Außenseiter. Ist die Zeit solch großer Erkenntnissprünge vielleicht vorbei? – auch aufgrund von digitalen Messdaten-Artefakten, deren Kern immer mehr außerhalb der menschlichen Fassbarkeit liegt?
Festzuhalten bleibt über das Wesen der Grundlagenforschung im 21. Jahrhundert: Der statistisch getriebene Erkenntnis-Prozess hat inzwischen auch die Suche nach Wahrheit im klassischen Sinn zunichte gemacht. Sie ist längst nicht mehr das, wonach der Wissenschaftler im 21. Jahrhundert am Rande menschlicher Erkenntnis suchen kann. Die duale Logik von richtig oder falsch galt in der Wissenschaft nur so lange, wie die grundlegenden Daten für den menschlichen Geist intuitiv interpretierbar schienen. Die Wissenschaft ist damit in den letzten hundert Jahren viel tiefer vorgestoßen – für den Preis, dass menschliche Erkenntnis nichts Absolutes ist. In der Grundlagenforschung ist Wahrheit heute vom statistischen mehr oder weniger bestimmt.
Die Bedeutung der Erkenntnis des einzelnen Individuums, zu diesem Schluss kommt Susanne Päch am Ende der Doku, hat sich in der Forschung damit weitgehend aufgelöst – zuerst einmal aufgrund der durch die erforderliche Spezialisierung bedingten Arbeitsteilung in Teams. Dann aber auch aufgrund der Erfordernis von Meta-Analysen. Der einzelne wird zu einem singulären Beobachtungswert unter vielen – in einer Art Schwarmintelligenz der wissenschaftlichen Community. Erst viele Individuen lassen aus dem Chaos des Nichtverstehens das nur noch in kleinen Schritten wachsende Muster einer Erkenntnis entstehen.
Ansprechpartner:
Dr. Susanne Päch
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